Samstag, 3. Januar 2015


Von Vorsätzen, die nicht gut ausgehen, 2. Teil

Es ist der Silvesterabend 1818. Während die meisten Menschen den Jahreswechsel ausgelassen feiern, sitzt der evangelische Theologiestudent Carl Ludwig Sand in seiner Stube und brütet einen finsteren Plan aus. In seinem Tagebuch kündigt der junge Mann eine blutige Tat an: er werde den Politiker und Lustspielautor August von Kotzebue töten: So begehe ich den letzten Tag dieses Jahres 1818 in ernster, feierlicher Stimmung und bin gefasst, der letzte Christtag wird gewesen sein, den ich eben gefeiert habe. Soll es etwas werden mit unserem Streben, soll die Sache der Menschheit aufkommen in unserem Vaterlande, soll in dieser wichtigen Zeit nicht alles wieder vergessen werden und die Begeisterung wieder auflohen in unserem Lande, so muss der Schlechte, der Verräter und Verführer der Jugend, August von Kotzebue nieder; dies habe ich erkannt. Bis ich dies ausgeführt habe, habe ich nimmer Ruhe!“
Es ist dies der letzte Eintrag vor dem Mord, danach schreibt er nichts mehr. Für Sand hat alles andere seine Bedeutung verloren, es lohnt nicht, andere Erlebnisse aufzuzeichnen.
Aber wie kommt ein angehender Pfarrer, der dem Evangelium verpflichtet ist, dazu, einen Mann zu töten, den er persönlich nicht einmal kennt?
Sand ist ein tief gläubiger, idealistischer Christ, unauffällig und zurückhaltend. Er war am 5.10.1795 in einem evangelischen Elternhaus zur Welt gekommen. Seine protestantisch-christliche Erziehung zielte auf die Ausbildung sittlicher Tugenden ab und festigte seinen Glauben an den göttlichen Ratschluss. Carl Ludwig bemühte sich stets, sein Handeln in Einklang mit seinem Gewissen zu bringen. Seinem Tagebuch vertraute er seine inneren Kämpfe um das rechte Verhalten eines gläubigen Christen an. Aber als er sich an der Universität Jena inskribiert, lässt er sich in die nationalistische Bewegung hineinziehen und radikalisiert sich. Am Ende dieser Entwicklung steht die Überzeugung, zum Wohle der Deutschen den vermeintlichen Verräter seines Vaterlandes töten zu müssen und damit den Weg frei zu machen für ein geeintes Deutschland.

Das auslösende Erlebnis für den jungen Mann ist das Wartburgfest am 18. Oktober 1817 aus Anlass der 300-Jahrfeier der Reformation. Gedacht wird aber nicht nur Luthers 95 Thesen, sondern auch der Völkerschlacht bei Leipzig vor vier Jahren, die Europa vom Joch Napoleons befreit hat. 

Die Wartburg in Thüringen ist ein geschichtsträchtiger Ort für Protestanten. In dieser Festung hatte Kurfürst Friedrich der Weise einst den von Kaiser Karl V. für vogelfrei erklärten Mönch Martin Luther in Sicherheit bringen lassen, hier hatte der Reformator das Neue Testament ins Deutsche übersetzt.
Aber in der Gedenkveranstaltung kommt Luther und sein religiöses Aufbegehren nicht vor. Das Wartburgfest ist weniger eine fromme als eine nationalistische Kundgebung. Ca. 500 Studenten und etliche Professoren aus ganz Deutschland, besonders viele aus Jena, sind gekommen und fordern lautstark ein einiges Deutsches Reich. Der Nationalgedanke, der in der Französischen Revolution geboren und durch die Napoleonischen Kriege verbreitet wurde, ist auch auf die deutschen Länder übergeschwappt. Vor allem die Studenten, die aus den Befreiungskriegen an die Universitäten zurückströmen, sind von der zum Leben erwachten Einheitsidee erfüllt.
Zwar beginnen die Studenten ihre Feier mit einem Gottesdienst, danach halten viele von ihnen Reden, in denen es jedoch um Freiheit und nationale Einheit und nicht um den Glauben geht.
Die emotionale Feier endet mit einer Bücherverbrennung. Eine kleine Gruppe von Studenten geht auf den Wartberg gegenüber der Wartburg und wirft Bücher mit „undeutscher Gesinnung“, d.h. Schriften mit ihrer Meinung nach reaktionärem Inhalt, ins Feuer. Darunter auch Kotzebues „Deutsche Geschichte“. Sie meinen, nach dem Vorbild Martin Luthers zu handeln, der die Bannbulle 1520 vor den Toren Wittenbergs verbrannte.

Wer ist nun der „große Feind“, den Sand glaubte zur Rettung des Vaterlandes beseitigen zu müssen? 
August von Kotzebue ist in Weimar geboren. Nach seinem Studium lässt er sich in seiner Heimatstadt als Advokat nieder, geht aber bald darauf nach Russland, weil er dort bessere Karrierechancen vorfindet. Er wird zum „russischen Staatsrat“ erhoben und von Zar Alexander I. 1817 als Kulturbeauftragter und politischer Beobachter nach Deutschland zurückgeschickt. Das bringt ihn in den Verdacht, ein russischer Spion zu sein und im Auftrag des Zaren alle freiheitlichen Strömungen in Deutschland zu bekämpfen. Er berichtet regelmäßig seinem russischen Arbeitgeber über die deutschen Verhältnisse, und bezeichnet u.a. die deutschen Universitäten als Brutstätte der Revolution. Als einige dieser an sich geheimen Berichte über die Medien der Öffentlichkeit bekannt werden, wird Kotzebue als Verräter angefeindet. Er wird für die nationalistischen Studenten zum Inbegriff der politischen Reaktion, zum Undeutschen.
Es rettet sein Ansehen nicht, dass er der zu seiner Zeit an deutschen Bühnen meistgespielte Lustspieldichter ist. Denn in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Literarisches Wochenblatt“ beschränkt er sich nicht auf die Kunst, sondern kritisiert auch die Ideale der patriotischen Studenten in einem sehr polemischen Stil.
August von Kotzebue ist verheiratet und hat 13 Kinder. Sein vierjähriger Sohn Alexander wird die Ermordung seines Vater mitansehen müssen.

Nach dem 31.12. 1818 widmet sich Sand in erster Linie der Vorbereitung des geplanten Attentats, nimmt aber weiterhin an den Vorlesungen des Wintersemesters teil. Er arbeitet am kleinen Theologenzirkel für Erziehungsfragen mit und schreibt eine umfangreiche Abhandlung über die Vereinigung aller christlichen Bekenntnisse zu einer einzigen deutsch-christlichen Gemeinde. Niemand fällt eine Veränderung an ihm auf, Sand ist nach außen hin wie immer. Obwohl er also sein Theologiestudium fleißig betreibt, kommt ihm nicht in den Sinn, eine unchristliche Tat ausführen zu wollen.
Unbeirrt schreitet Sand zur Ausführung und kauft die Fahrkarte nach Mannheim, wo der öffentlich angefeindete Kotzebue zurückgezogen lebt. In seinem Reisegepäck befinden sich einige theologische Bücher, ein Band religiöser Gedichte des Privatdozenten Karl Follen, der propagiert hatte, die deutsche Einheit notfalls mit Gewalt und Tyrannenmord herbei zu führen, und das Johannes Evangelium.
Am 9.3 1819 kommt Sand um 10h in Mannheim an. Um 17h am Nachmittag wird der harmlos wirkende junge Mann als Besucher beim Dichter vorgelassen und sticht mit dem mitgebrachten Dolch mehrmals auf den älteren Mann ein. Der völlig überraschte Kotzebue leistet keine Gegenwehr und stirbt nach wenigen Minuten.


Mit einem zweiten Dolch versucht sich Sand nach der Tat umzubringen, aber es missglückt. Schwer verletzt wird er verhaftet und in den Kerker geworfen.
Obwohl ihm eine Welle der Sympathie für seinen Mord entgegen schlägt und er als Idealist bejubelt wird, wird er für das blutige Attentat zum Tode verurteilt und am 20. Mai 1820 vor den Toren Mannheims öffentlich durch Enthauptung mit dem Schwert hingerichtet.

In seinen letzten Worten wendet er sich an den Allmächtigen: „Du weißt es, Gott, dass ich es getan für Deutschlands Wohl!“ Er ist mit Gott und seinem Gewissen im Reinen. Ohne Reue geht er in den Tod. Er ist bis zuletzt davon überzeugt, als Christ ethisch gehandelt zu haben. Hätte Sand auf der Fahrt nach Mannheim in seinem Johannes Evangelium gelesen, hätte er erkennen müssen, dass er auf dem Irrweg ist: „Jesus spricht: Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Johannes 13,34.35) Das schließt ganz klar auch einen Tyrannenmord aus. Ungeachtet des Widerspruchs zum Evangelium wird Carl Ludwig Sand als Held der nationalen Bewegung gefeiert.

Sands Traum von einem geeinten Deutschen Reich geht erst 1871 in Erfüllung, als Kanzler Otto von Bismarck im Spiegelsaal von Versailles den preußischen König Wilhelm zum Deutschen Kaiser Wilhelm I. ausrufen lässt. Aber mit Sands Tat hat dieses Ereignis nichts zu tun. Er hat völlig für nichts gemordet und sein eigenes Leben weggeworfen.

1 Kommentar:

  1. fand ich äußerst interessant, vorallem, weil ich von sand nie zuvor gehört habe! Hat meinen geschichtlichen Horizont erweitert :) hoffe es kommt mal wieder eine geschichte!

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