Es ist
der Silvesterabend 1818. Während die meisten Menschen den
Jahreswechsel ausgelassen feiern, sitzt der evangelische
Theologiestudent Carl Ludwig Sand in seiner Stube und brütet einen
finsteren Plan aus. In seinem Tagebuch kündigt der junge Mann eine
blutige Tat an: er werde den Politiker und Lustspielautor August von
Kotzebue töten: „So
begehe ich den letzten Tag dieses Jahres 1818 in ernster, feierlicher
Stimmung und bin gefasst, der letzte Christtag wird gewesen sein, den
ich eben gefeiert habe. Soll es etwas werden mit unserem Streben,
soll die Sache der Menschheit aufkommen in unserem Vaterlande, soll
in dieser wichtigen Zeit nicht alles wieder vergessen werden und die
Begeisterung wieder auflohen in unserem Lande, so muss der Schlechte,
der Verräter und Verführer der Jugend, August von Kotzebue nieder;
dies habe ich erkannt. Bis ich dies ausgeführt habe, habe ich nimmer
Ruhe!“
Es ist
dies der letzte Eintrag vor dem Mord, danach schreibt er nichts mehr.
Für Sand hat alles andere seine Bedeutung verloren, es lohnt nicht,
andere Erlebnisse aufzuzeichnen.
Aber
wie kommt ein angehender Pfarrer, der dem Evangelium verpflichtet
ist, dazu, einen Mann zu töten, den er persönlich nicht einmal
kennt?
Sand
ist ein tief gläubiger, idealistischer Christ, unauffällig und
zurückhaltend. Er war am 5.10.1795 in einem evangelischen Elternhaus
zur Welt gekommen. Seine protestantisch-christliche Erziehung
zielte auf die Ausbildung sittlicher Tugenden ab und festigte seinen
Glauben an den göttlichen Ratschluss. Carl Ludwig bemühte sich
stets, sein Handeln in Einklang mit seinem Gewissen zu bringen.
Seinem Tagebuch vertraute er seine inneren Kämpfe um das rechte
Verhalten eines gläubigen Christen an. Aber als er sich an der
Universität Jena inskribiert, lässt er sich in die nationalistische
Bewegung hineinziehen und radikalisiert sich. Am Ende dieser
Entwicklung steht die Überzeugung, zum Wohle der Deutschen den
vermeintlichen Verräter seines Vaterlandes töten zu müssen und
damit den Weg frei zu machen für ein geeintes Deutschland.
Das
auslösende Erlebnis für den jungen Mann ist das Wartburgfest am 18.
Oktober 1817 aus Anlass der 300-Jahrfeier der Reformation. Gedacht
wird aber nicht nur Luthers 95 Thesen, sondern auch der
Völkerschlacht bei Leipzig vor vier Jahren, die Europa vom Joch
Napoleons befreit hat.
Die
Wartburg in Thüringen ist ein geschichtsträchtiger Ort für
Protestanten. In dieser Festung hatte Kurfürst Friedrich der Weise
einst den von Kaiser Karl V. für vogelfrei erklärten Mönch Martin
Luther in Sicherheit bringen lassen, hier hatte der Reformator das
Neue Testament ins Deutsche übersetzt.
Aber
in der Gedenkveranstaltung kommt Luther und sein religiöses
Aufbegehren nicht vor. Das Wartburgfest ist weniger eine fromme
als eine nationalistische Kundgebung. Ca. 500 Studenten und etliche
Professoren aus ganz Deutschland, besonders viele aus Jena, sind
gekommen und fordern lautstark ein einiges Deutsches Reich. Der
Nationalgedanke, der in der Französischen Revolution geboren und
durch die Napoleonischen Kriege verbreitet wurde, ist auch auf die
deutschen Länder übergeschwappt. Vor allem die Studenten, die aus
den Befreiungskriegen an die Universitäten zurückströmen, sind von
der zum Leben erwachten Einheitsidee erfüllt.
Zwar
beginnen die Studenten ihre Feier mit einem Gottesdienst, danach
halten viele von ihnen Reden, in denen es jedoch um Freiheit und
nationale Einheit und nicht um den Glauben geht.
Die
emotionale Feier endet mit einer Bücherverbrennung. Eine kleine
Gruppe von Studenten geht auf den Wartberg gegenüber der Wartburg
und wirft Bücher mit „undeutscher Gesinnung“, d.h. Schriften mit
ihrer Meinung nach reaktionärem Inhalt, ins Feuer. Darunter auch
Kotzebues „Deutsche Geschichte“. Sie meinen, nach dem Vorbild
Martin Luthers zu handeln, der die Bannbulle 1520 vor den Toren
Wittenbergs verbrannte.
Wer
ist nun der „große Feind“, den Sand glaubte zur Rettung des
Vaterlandes beseitigen zu müssen?
August von Kotzebue ist in Weimar
geboren. Nach seinem Studium lässt er sich in seiner Heimatstadt
als Advokat nieder, geht aber bald darauf nach Russland, weil er dort
bessere Karrierechancen vorfindet. Er wird zum „russischen
Staatsrat“ erhoben und von Zar Alexander I. 1817 als Kulturbeauftragter
und politischer Beobachter nach Deutschland zurückgeschickt. Das
bringt ihn in den Verdacht, ein russischer Spion zu sein und im
Auftrag des Zaren alle freiheitlichen Strömungen in Deutschland zu
bekämpfen. Er berichtet regelmäßig seinem russischen Arbeitgeber
über die deutschen Verhältnisse, und bezeichnet u.a. die deutschen
Universitäten als Brutstätte der Revolution. Als einige dieser an
sich geheimen Berichte über die Medien der Öffentlichkeit bekannt
werden, wird Kotzebue als Verräter angefeindet. Er wird für die
nationalistischen Studenten zum Inbegriff der politischen Reaktion,
zum Undeutschen.
Es
rettet sein Ansehen nicht, dass er der zu seiner Zeit an deutschen
Bühnen meistgespielte Lustspieldichter ist. Denn in der von ihm
herausgegebenen Zeitschrift „Literarisches Wochenblatt“
beschränkt er sich nicht auf die Kunst, sondern kritisiert auch die
Ideale der patriotischen Studenten
in einem sehr polemischen Stil.
August
von Kotzebue ist verheiratet und hat 13 Kinder. Sein vierjähriger
Sohn Alexander wird die Ermordung seines Vater mitansehen müssen.
Nach
dem 31.12. 1818 widmet sich Sand in erster Linie der Vorbereitung des
geplanten Attentats, nimmt aber weiterhin an den Vorlesungen des
Wintersemesters teil. Er arbeitet am kleinen Theologenzirkel für
Erziehungsfragen mit und schreibt eine umfangreiche Abhandlung über
die Vereinigung aller christlichen Bekenntnisse zu einer einzigen
deutsch-christlichen Gemeinde. Niemand fällt eine Veränderung an
ihm auf, Sand ist nach außen hin wie immer. Obwohl er also sein
Theologiestudium fleißig betreibt, kommt ihm nicht in den Sinn, eine
unchristliche Tat ausführen zu wollen.
Unbeirrt
schreitet Sand zur Ausführung und kauft die Fahrkarte nach
Mannheim, wo der öffentlich angefeindete Kotzebue zurückgezogen
lebt. In seinem Reisegepäck befinden sich einige theologische
Bücher, ein Band religiöser Gedichte des Privatdozenten Karl
Follen, der propagiert hatte, die deutsche
Einheit notfalls mit Gewalt und Tyrannenmord herbei zu führen, und
das Johannes Evangelium.
Am 9.3
1819 kommt Sand um 10h in Mannheim an. Um 17h am Nachmittag wird der
harmlos wirkende junge Mann als Besucher beim Dichter vorgelassen und
sticht mit dem mitgebrachten Dolch mehrmals auf den älteren Mann
ein. Der völlig überraschte Kotzebue leistet keine Gegenwehr und
stirbt nach wenigen Minuten.
Obwohl ihm eine Welle der Sympathie für seinen Mord entgegen schlägt und er als Idealist bejubelt wird, wird er für das blutige Attentat zum Tode verurteilt und am 20. Mai 1820 vor den Toren Mannheims öffentlich durch Enthauptung mit dem Schwert hingerichtet.
In seinen letzten Worten wendet
er sich an den Allmächtigen: „Du weißt
es, Gott, dass ich es getan für Deutschlands Wohl!“
Er ist mit Gott und seinem Gewissen im Reinen.
Ohne Reue geht er in den
Tod. Er ist bis zuletzt davon überzeugt, als Christ ethisch
gehandelt zu haben. Hätte Sand auf der Fahrt nach Mannheim in seinem
Johannes Evangelium gelesen, hätte er erkennen müssen, dass er auf
dem Irrweg ist: „Jesus spricht: Ein
neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich
euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird
jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe
untereinander habt“ (Johannes
13,34.35) Das
schließt ganz klar auch einen Tyrannenmord aus. Ungeachtet des
Widerspruchs zum Evangelium wird Carl
Ludwig Sand als Held der nationalen Bewegung gefeiert.
Sands
Traum von einem geeinten Deutschen Reich geht erst 1871 in Erfüllung,
als Kanzler Otto von Bismarck im Spiegelsaal von Versailles den
preußischen König Wilhelm zum Deutschen Kaiser Wilhelm I. ausrufen
lässt. Aber mit Sands Tat hat dieses Ereignis nichts zu tun. Er hat
völlig für nichts gemordet und sein eigenes Leben weggeworfen.
fand ich äußerst interessant, vorallem, weil ich von sand nie zuvor gehört habe! Hat meinen geschichtlichen Horizont erweitert :) hoffe es kommt mal wieder eine geschichte!
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