Sonntag, 16. September 2018


Der Rangstreit der Jünger

Das Ziel von Jesus war eine Glaubensgemeinschaft, in der die Menschen einander mit Rücksicht und Verständnis begegnen: „Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.“ (Johannes 15,12) Wie es funktionieren kann, hat er auf seinen Wanderungen in Galiläa vorgezeigt.

Dem Rabbi aus Nazareth war jeder willkommen: Männer und Frauen, Alte und Junge, Reiche und Arme, Gesunde und Kranke. Er setzte sich auch über gesellschaftliche Ausgrenzungen hinweg und hielt Tischgemeinschaft mit den verachteten Zöllnern und hatte keine Berührungsängste mit Aussätzigen. Für Jesus war jeder, der zu ihm kam, gleich viel wert. Aber er wartete nicht nur darauf, dass sich Menschen an ihn wandten, sondern ging auch oft auf jene zu, die offensichtlich seine Hilfe brauchten. Vorurteile und Überheblichkeit kannte Jesus nicht.

Jesus ist für uns Christen der Maßstab unseres Handelns und unser Vorbild, dem es gilt nachzueifern. Dabei ist klar: die Latte liegt hoch! Wie schwierig es tatsächlich ist, zeigt uns das Verhalten seiner Jünger,  die doch den Rabbi Tag für Tag auf seinen Wanderungen begleiteten. Sie erlebten live mit, wie Jesus im Gemeinschaftsleben starre Regeln und kultische Normen durch bedingungslose Nächstenliebe ersetzte, und wieviel Gutes er damit bewirkte. Es muss für Jesus deshalb eine herbe Enttäuschung gewesen sein, als er bemerkte, dass seine Jünger um Vorrangstellungen innerhalb ihrer Gruppe konkurrierten.

Sie waren auf dem Rückweg nach Kapernaum, um einige Ruhetage einzulegen. Als sie daheim (wahrscheinlich im Haus des Petrus) angekommen waren, fragte Jesus die Jünger zu ihrer Überraschung: „Was habt ihr auf dem Weg verhandelt?“ (Markus 9,33b) Die Männer antworteten nicht, sondern schwiegen beschämt. Offenbar war Jesus ein Stück entfernt von ihnen gegangen, und sie hatten sich unbeobachtet geglaubt. Durch die Frage von Jesus aber sahen sie sich bei einem Vergehen ertappt, „denn sie hatten auf dem Weg miteinander verhandelt, wer der Größte sei.“ (Markus 9,34) Damit verstießen sie gegen die Lehre Jesu von der Gleichwertigkeit aller Menschen. Der Rabbi warnte sie vor den Folgen ihres Konkurrenzkampfes: „Und er setzte sich und rief die Zwölf und sprach zu ihnen: Wenn jemand will der Erste sein, der soll der letzte sein von allen und sein Diener.“ (Markus 9,35) Damit erteilte Jesus jeder Wichtigtuerei und Überheblichkeit eine klare Absage: „Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht.“ (Matthäus 23,12) Denn Gott wird die Reihung umdrehen. Demut statt Selbstgerechtigkeit ist die Richtschnur für christliches Leben.

Die Zebedäusbrüder haben scheinbar nicht richtig hingehört, als Jesus erklärte, dass er von Über- und Unterordnung nichts halte. Denn eines Tages gingen Jakobus und Johannes zu Jesus und verlangten besondere Privilegien: „Gib, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit im Reich Gottes.“ (Markus 10,37) 
Jesus wies ihr Ansinnen zurück und belehrte sie nochmals über das Wesen von christlichem Leben: „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch der Messias ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“ (Markus 10,42-45)

Warum ist es so vielen Menschen wichtig, andere zu übertrumpfen? Aus Neid, Eifersucht, Ehrgeiz? Kain brachte seinen Bruder Abel sogar um, weil er sich zurückgesetzt fühlte. Und Petrus meinte, als der Auferstandene seinen Jüngern am See Genezareth erschien, er müsse sich Sorgen machen, dass ein anderer Jünger eine größere Aufgabe von Jesus zugeteilt bekomme als er: „Herr, was wird mit diesem?“ (Johannes 21,21b) Aber Jesus hatte nach wie vor kein Verständnis für den Wunsch nach Bevorzugungen: „Was geht es dich an? Folge du mir nach!“ (Johannes 21,22b) Jeder Christ hat seine spezielle Aufgabe, und jede ist gleich wichtig für das Funktionieren der christlichen Gemeinschaft.

Nach dem Evangelium gibt es keine wichtigen und unwichtigen Gemeindemitglieder – und auch keine geheiligten und wichtigsten. Der Verfasser des Epheserbriefes formuliert deutlich das Wesen der Nachfolge Jesu: „Seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.“ (Epheser 4,3-6) 

Die Einigkeit im Glauben und die Gleichwertigkeit im Zusammenleben sind die Stärken des Christentums – werden sie durch Ehrgeizlinge, Ideologen und Wichtigtuer gebrochen, wird auch das Fundament, das Jesus gelegt hat, zerstört. Dann tritt für das Gebäude der christlichen Kirche das ein, was Jesus am Ende seiner Bergpredigt prophezeit hat: „Wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, gleicht einem törichten Menschen, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein, und sein Fall war groß.“ (Matthäus 7,26.27)



1 Kommentar:

  1. es ist so wahr!
    ein sehr schöner text mit vielen tollen stellen, die einen berühren! danke!

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