Die
Salbung Jesu in Betanien
Jesus hatte mit seinen Jüngern
Galiläa verlassen und wanderte mit ihnen durch Samaria nach
Jerusalem. Dort angelangt verbrachte er noch einige Tage in der
heiligen Stadt und predigte im Tempel, bevor sich seine Mission am
Karfreitag erfüllen sollte. Zwei Tage vor dem Passafest ging Jesus
mit seinen Jüngern in das benachbarte Betanien, weil sie in das Haus
von Simon, dem Aussätzigen, zum Essen eingeladen waren.
Der Hinweis auf die Krankheit des
Gastgebers lässt den Schluss zu, dass es ein Mann war, den Jesus
geheilt hatte. Denn wäre die Krankheit noch immer akut, dürfte
Simon nicht in der Dorfgemeinschaft leben. Aussätzige wurden aus
Angst vor Ansteckung abgesondert. Der Evangelist Lukas berichtet
(17,11-19), dass Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem zehn Aussätzige
geheilt hat. Vielleicht war Simon, der ihn jetzt in seinem Haus
bewirtete, einer von ihnen.
Die Männer saßen gemeinsam am
Tisch und ließen sich das leckere Mahl schmecken. Plötzlich betrat
eine Frau, deren Name nicht genannt wird, das Haus und wandte sich
Jesus zu: „Da
kam eine Frau, die hatte ein Glas mit unverfälschtem und kostbarem
Nardenöl, und sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt.“
(Markus
14,3) Jesus ließ es geschehen, aber
bei den Jüngern löste das Vorgehen der Frau große Empörung aus:
„Was
soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr
als 300 Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen
geben.“ (Markus
14,4.5) Die Jünger
fuhren die Frau grob an. Sie waren überzeugt davon, dem Willen ihres
Meisters zu entsprechen. Doch zu ihrer Überraschung war
dem nicht so. Jesus ergriff Partei für die Frau und wies seine
Jünger zurecht: „Lasst
sie in Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir
getan!“ (Markus
14,6) Das
verstanden die Jünger jetzt gar nicht. Da hatte ihr Rabbi immer
gepredigt, man müsse den Bedürftigen helfen, seinen Besitz mit den
Mittellosen teilen und drohte den Reichen sogar damit, dass sie nicht
ins Reich Gottes kommen würden. Und jetzt befürwortete er, dass
eine Frau so einen Haufen Geld beim Fenster hinaus warf, um ihm,
Jesus, ihre Wertschätzung zu erweisen.
Judas Ischariot schien das
„widersprüchliche“ Verhalten seines Meisters besonders verstört
zu haben, denn er ging nach diesem Essen zu den Hohepriestern: „Was
wollt ihr mir geben? Ich will ihn euch verraten. Und sie boten ihm 30
Silberlinge. Und von da an suchte er eine Gelegenheit, dass er Jesus
verriete.“
(Matthäus
26,15.16)
Judas gab
sich mit einem Zehntel dessen zufrieden, was die Salbe gekostet
hatte: wollte er damit auf die in seinen Augen ungeheuerliche
Verschwendung hinweisen, die er so heftig verurteilte und die ihn zum
Bruch mit Jesus verleitete? Hatte er seinen Meister im Verdacht, mit
zweierlei Maß zu messen und sich Privilegien herauszunehmen?
Diesen Verdacht hatten die
anderen Elf nicht. Sie verstanden ihren Meister zwar nicht, aber sie
hörten seiner Erklärung zu und blieben: „Denn
Arme habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit.
Dass sie das Öl auf meinen Leib gegossen hat, das hat sie für mein
Begräbnis getan.“
(Matthäus
26,11.12) Mit
dieser neuerlichen Leidensankündigung konnten die Jünger allerdings
genauso wenig anfangen wie schon zuvor in Galiläa, aber ungeachtet
dessen vertrauten sie ihrem Meister auch weiterhin. Schließlich
hatten sie auch in Galiläa nicht alles, was Jesus
gepredigt
und getan hatte,
nachvollziehen können. Aber
sie hatten gesehen, dass es stets zum Guten führte. Und
ganz klar wollten die Jünger nichts von einem Sterben Jesu
in naher Zukunft hören. Ihre panikartige Flucht nach der Verhaftung
von Jesus beweist, dass sie tatsächlich
nicht mit dem gewaltsamen
Ende ihres Rabbis gerechnet hatten.
Aber anders als für Judas
Ischariot war die
Begebenheit
im Hause von Simon dem Aussätzigen für die restlichen elf Jünger
kein Grund, mit ihrem Meister zu brechen. Die Männer aus Galiläa
hatten sich einst Jesus von Nazareth angeschlossen, weil sie von
seiner Person beeindruckt waren. Sie begleiteten ihn auf seinen
Wanderungen und verinnerlichten seine Lehre vom liebenden Gott, für
den Nächstenliebe wichtiger ist als Opferungen. Sie bemühten sich,
die moralischen Werte, die ihr Meister predigte, umzusetzen.
Aber im Laufe der Zeit verschwand
für die Jünger die Person Jesu hinter seinem Werk. Jesus wurde als
Rabbi für die Jünger so selbstverständlich, dass es ihnen nicht
mehr in den Sinn kam, ihm ihre Zuneigung und ihre Wertschätzung zu
zeigen. Das tat die Frau, als sie Jesus mit dem teuren Salböl ehrte.
Sie wollte ihm persönlich dafür danken, dass er ihrem Leben einen
neuen Sinn gegeben hatte (in welcher Weise wissen wir nicht). Das
hatten die Jünger schon sehr lange nicht mehr getan.
Wir Christen heute verhalten uns
wie die Jünger damals. Jesus ist zwar der Gründer unserer
Glaubensgemeinschaft, aber er gerät zunehmend in den Hintergrund.
Die Kirchen erwähnen Jesus in Predigten und öffentlichen Aktionen
immer seltener und machen ihn so zu einer Randerscheinung. Deshalb
verliert Jesus als
Messias für immer mehr Christen an Bedeutung. Sie
vergessen ihn einfach.
Aber eine christliche Kirche, die
Jesus Christus nicht mehr
als Mittelpunkt
hat, ist zum Untergang verurteilt.
Die Botschaft, die die Begebenheit aus Betanien an uns richtet, macht
das deutlich: wenn man Jesus vergisst, wendet
man sich vom Evangelium ab.
Denn
finanzielle Freigiebigkeit kann den Glauben an den Messias nicht
ersetzen. Die
Jünger, mit Ausnahme von Judas Ischariot, haben das begriffen und in
der Mission den Menschen den Glauben an den Messias gebracht. Und
daraus haben sich nach ihrer Taufe die neuen moralischen Werte in
ihrer Lebensführung ergeben – nicht umgekehrt.
Sehr interessant. Es ist sicher nicht immer leicht Jesus/Gott zu verstehen, aber ich denke, das ist auch in Ordnung. Wir verstehen nicht immer alles.
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