Sonntag, 12. März 2017


Pontius Pilatus, der „unschuldige“ Henker ?

Den Evangelien zufolge haben die höchsten jüdischen Geistlichen Jesus vor dem Statthalter des 'Aufruhrs gegen Rom' angeklagt. Das war ein Verbrechen, das mit der Kreuzigung bestraft wurde. Die Unterschrift unter das Todesurteil setzte der römische Statthalter Pontius Pilatus. Als Repräsentant der Besatzungsmacht unterstand ihm allein die Blutgerichtsbarkeit.

Obwohl Jesus ohne die Letztentscheidung des Präfektors nicht hätte hingerichtet werden können, stellen die Evangelisten den Statthalter als jemanden dar, der von der Unschuld Jesu überzeugt war und ihn unfreiwillig ans Kreuz nageln ließ. Pontius Pilatus habe sogar versucht, den Rabbi aus Galiläa zu retten, indem er, einem religiösen Brauch folgend, dem Volk die Auswahl zwischen zwei Angeklagten ließ: dem Verbrecher Barabas und dem Prediger Jesus. Doch die aufbrachte Menge schrie: „Hinweg mit diesem, gib uns Barabbas los!“ (Lukas 23,18) Und anstatt Rückrat zu beweisen (wie es einem Politiker in einer Leitungsfunktion zustehen würde), knickte der Statthalter ein: „Und Pilatus urteilte, dass ihre Bitte erfüllt werde, und ließ den los, der wegen Aufruhr und Mordes ins Gefängnis geworfen war, um welchen sie baten; aber Jesus übergab er ihrem Willen.“ (Lukas 23,24.25

Und um zu beweisen, dass er sich von Priesterschaft und Volk zum Todesurteil gegen Jesus wider besseres Wissen genötigt fühlte, „nahm er Wasser und wusch sich die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig an seinem Blut, seht ihr zu!“ (Matthäus 27,24b) Aber war er wirklich dazu gezwungen worden, einen Unschuldigen in den Tod zu schicken? Hatte der mächtige Statthalter, der Legionen befehligen konnte, wirklich keine Wahl?

Die Evangelisten verweisen auf den Heilsplan Gottes, den Pilatus – wenn auch ohne ihn zu kennen - mit seiner Unterschrift erfüllte. Aber spricht ihn das von seiner persönlichen Schuld am Tod eines unschuldigen Menschen frei?
Rufen wir uns die Worte Jesu in Erinnerung, die er beim letzten Abendmahl zu dem Verräter Judas Ischariot sagte: „Der Messias geht zwar dahin, wie von ihm geschrieben steht; doch weh dem Menschen, durch den der Messias verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre!“ (Matthäus 26,24) Durch seinen Verrat hat sich Judas Ischariot mitschuldig gemacht am Tod seines Meisters, und dafür würde er laut Jesus zur Verantwortung gezogen werden. Aber warum sollte Jesu Drohung nicht auch für den Präfekten gelten, der durch seine Unterschrift den Messias definitiv in den Tod schickte? Der Heilsplan Gottes rettet den Verräter Judas Ischariot nicht – könnte denn etwas für die Rettung des Statthalters sprechen?

Eher nicht, meint der Evangelist Johannes und deckt schonungslos die Zwangslage, in der sich Pontius Pilatus selbstverschuldet befunden und die zu seinem Fehlurteil geführt hatte, auf. Seine ungeschickte Amtsführung im Umgang mit der jüdischen Religion hatte ihn erpressbar gemacht. Er hatte im Umgang mit den jüdischen Gläubigen kein Fingerspitzengefühl bewiesen und eine angespannte Situation provoziert. Seine Respektlosigkeit gegenüber dem jüdischen Monotheismus rächte sich jetzt. Als er sich gegen die Instrumentalisierung durch die jüdische Geistlichkeit wehren wollte, drohte ihm das aufgebrachte Volk: „Wenn du Jesus frei läßt, bist du kein Freund des Kaisers!“ (Johannes 19,12) Das ist der Schlüssel zur Erklärung seines Schuldspruchs. Pilatus sah seine Karriere bedroht und hatte Angst, seinen einträglichen Posten zu verlieren. Er wusste, dass er seiner wichtigsten Aufgabe, für ein ruhiges Palästina zu sorgen, nur sehr mangelhaft nachgekommen war und damit Roms Interessen verletzt hatte.

Palästina war ein heikles Statthaltertum. Eigentlich war es nur eine untergeordnete Dienststelle, denn der wichtige und Pilatus übergeordnete Statthalter war der in Syrien mit einer großen Militärstreitmacht. Palästina war für die Römer aber strategisch wichtig als Landbrücke zwischen Syrien und Ägypten, der Kornkammer des Imperiums. Wenn im Land am Nil Aufstände ausbrachen, mussten die Generäle in der Lage sein, schnell ihre Truppen aus Damaskus nach Ägypten zu verlegen. Dafür waren sie auf ein befriedetes Palästina angewiesen. Das heikle Problem in diesem schmalen Landstreifen war die monotheistische Religion der Juden mit ihrem strengen Bilderverbot.

Damit hatte der Statthalter, Anhänger einer Religion mit vielen Göttern und deren bildlichen Darstellungen, von Anfang an ein Problem. Gleich nach seinem Amtsantritt verletzte Pontius Pilatus rücksichtslos die religiösen Gefühle der Juden. In der Feldzeichenaffäre ließ er die Standarten mit dem Bild des Kaisers, die seit Augustus nach ihrem Tod vergöttlicht wurden, durch Jerusalem tragen und in der Festung Antonia aufstellen. Dadurch schändete er den Tempel, denn die Festung war an die Tempelmauer angebaut und dadurch ein Teil des Heiligtums. Massiver gewaltloser Protest der Bevölkerung zwang ihn zum Nachgeben, und er ließ die Standarten widerwillig entfernen. Die Beziehung zwischen Präfekt und Volk blieb aber feindselig.

Pontius Pilatus war der fünfte Statthalter in Judäa, seine Amtszeit dauerte ungefähr zehn Jahre von 26/27 bis 36/37. Er rückte ins grelle Licht der Geschichte, weil er in seiner Funktion als Präfekt den Rabbi Jesus von Nazareth zum Tode am Kreuz verurteilte. Das an sich wäre noch kein historisches Ereignis gewesen, denn erstens waren Hinrichtungen auch in diesem Winkel des Römischen Reiches an der Tagesordnung, und zweitens war Jesus als Wanderprediger über die Grenzen Palästinas hinaus unbekannt. Pilatus erlangte seine geschichtliche Bedeutung erst, als sich nach der Auferstehung Jesu eine Religion herausbildete, die die kaiserliche Gewalt nicht unterdrücken konnte.

Über sein Leben vor und nach der Zeit als Präfekt von Judäa sind keine zuverlässigen biographischen Daten von Pontius Pilatus vorhanden. Seine Herkunft liegt im Dunklen. Der Zeitpunkt seiner Geburt ist unbekannt. Aus welcher Gegend Italiens er kommt, kann nicht gesagt werden. Seinen Vornamen weiß man nicht; der Geschlechtername Pontius ist sehr häufig und lässt keine genauen Anhaltspunkte zu. Der Beiname Pilatus ist in seiner Bedeutung nicht klar.
Der Hinweis im Matthäusevangelium auf seine Ehefrau ist nichts Herausragendes: Singles waren damals äußerst selten. Weitere Fakten sind auch von dieser Frau nicht bekannt: weder weiß man ihren Namen noch ob sie sich tatsächlich dem Christentum angeschlossen hat.

Das einzig gesicherte historische Faktum ist seine Präfektur in Judäa. Sein Aufenthalt in Palästina lässt sich archäologisch durch die Pilatus-Inschrift in Caesarea Maritima nachweisen, diese ist zudem der einzige zeitgenössische Beleg für seine Existenz. Bei Ausgrabungen italienischer Archäologen 1961 im ehemaligen Theater von Cäesarea fand man einen Widmungsstein von Pontius Pilatus in der Größe von 82 x 68 x 20 cm, auf dem Name und Amtstitel „Praefectus Iudaeae“ klar zu identifizieren waren. Heute befindet sich der Stein im Israel-Museum in Jerusalem.

Sein Einlenken im Prozess Jesu rettete Pontius Pilatus nur vorübergehend. Einige Jahre später sollte ihm eine andere Fehlentscheidung zum Verhängnis werden. Im Sommer 36 führte ein Priester eine größere Gruppe von Samaritanern auf ihren heiligen Berg Garizim, um ihnen Gegenstände aus der Stiftshütte zu zeigen, die Moses dort angeblich vergraben hatte. Pontius Pilatus hielt es für einen Aufstand gegen Rom, weil die teilnehmenden Männer einem Brauch entsprechend Waffen mit sich trugen. Übereilt gab der Präfekt den Befehl, die vermeintliche Revolte blutig niederzuschlagen. Viele Aufständische, auch vornehme, wurden hingerichtet. Das ließ sich aber der Hohe Rat der Samaritaner nicht gefallen und verklagte ihn beim syrischen Statthalter Lucius Vitellius.
Dieser schenkte den Beschwerden Glauben und enthob Pontius Pilatus daraufhin wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung seines Amtes. Es wurden ihm weiters auch Bestechlichkeit und andere gewalttätige Übergriffe vorgeworfen. Pontius Pilatus musste nach Rom zurückkehren, um sich vor Kaiser Tiberius zu verantworten. Als er 37 in Italien ankam, war aber ein Regierungswechsel im Gange. Kaiser Tiberius war gestorben und sein Großneffe Caligula bestieg als neuer Hoffnungsträger den Thron. Wie es mit Pontius Pilatus weiterging, ist durch historische Belege nicht nachweisbar. Wurde er nach Gallien verbannt, wie einige Gerüchte behaupten? Oder beging er Selbstmord, wie der Kirchenlehrer Euseb verkündete?

Das Leben des Pontius Pilatus nach seiner Statthalterschaft liegt genauso im Dunklen wie das davor. Und hätte nicht einer seiner Deliquenten eine Weltreligion begründet, wäre sein Name völlig in Vergessenheit geraten. Er war letztendlich nur einer von vielen tausenden Beamten im Römischen Reich, die die Macht des Imperiums absicherten und jederzeit bereit waren, für die Vorherrschaft Roms Gewalt anzuwenden.

So bleibt am Schluss nur noch die Frage zu klären, ob Pontius Pilatus ein „Opfer“ des Heilsplans Gottes wurde und deshalb nicht für sein vorsätzliches Fehlurteil zur Verantwortung gezogen werden kann. Ein Unschuldiger war er wohl kaum, denn jemand, der schwer bewaffnete Legionen hinter sich weiß, kann nicht als wehrlos angesehen werden. Und es ist unwahrscheinlich, dass der Kaiser ihn dafür bestraft hätte, dass er einen Mann freilässt, von dem nachweislich keine Bedrohung für die römische Besatzungsmacht ausgegangen ist. Mit seiner Aussage „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ (Matthäus 22,21) machte Jesus seine unpolitische Position deutlich.
Die Evangelisten lassen den Statthalter deshalb so gut wegkommen, weil sie betonen wollen, dass die Auseinandersetzung um den Wanderprediger Jesus von Nazareth ein innerjüdischer Konflikt zwischen diesem und der Geistlichkeit um unterschiedliche Auffassungen von der Tora ist. Deshalb weisen die Evangelisten die alleinige Schuld den Priestern und Pharisären zu und lassen Pontius Pilatus lediglich als ängstlichen Schwächling dastehen.

Der Heilsplan Gottes verlangte den Opfertod Jesu am Kreuz, damit wir Sünder durch sein Blut reingewaschen und mit unserem Schöpfer versöhnt werden. Zur Umsetzung nötig war ein römischer Statthalter, der die Macht und den Willen hatte, ein politisches Todesurteil gegen einen unpolitischen Rabbi zu unterschreiben. Es kam nicht auf die besondere Person des Pilatus an, sondern auf das allgemeine Amt des Präfekten. Bei Aufrührern gingen die Römer grundsätzlich gnadenlos vor, so hätte wohl jeder andere Statthalter auch – vielleicht bedenkenloser als Pilatus - das Todesurteil gegen Jesus unterschrieben.

Immerhin blieb Pontius Pilatus ein welthistorischer Nachruhm als „unschuldiger“ Henker, auch wenn er tatsächlich so unschuldig nicht war. So wenig wie Judas Ischariot, der sich für seinen Verrat vor Gott verantworten muss. Beide hatten die Wahl, nein zu sagen.

1 Kommentar:

  1. es ist sehr interessant, mal mehr von ihm zu hören. Er war sicher auch in seiner Zeit, wo er sich auf andere Dinge konzentroerte und nicht auf Gottes Sohn, kann ich mr denken

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