Samstag, 1. Oktober 2016

Wie hat Jesus Christus ausgesehen?


Gleich im Voraus: wir wissen es nicht. Jesus hat uns keinen Einblick in sein persönliches Leben gewährt. Der Mann „Jesus, Sohn Josephs aus Nazareth“ verschwindet hinter der Gestalt des „Messias“, der in Galiläa als Wanderprediger den Auftrag Gottes ausführte. Es gibt keine einzige Beschreibung seines Aussehens. Seine Kindheit und Jugend liegen im Dunklen. Sie werden in den Evangelien des Matthäus und Lukas nur soweit genannt, als die beiden es für den Nachweis, dass Jesus der prophezeite Messias ist, für nötig erachteten. Diese Notwendigkeit konnten die Evangelisten Markus und Johannes nicht erkennen und haben deshalb mit ihren Berichten erst beim erwachsenen Jesus angefangen.

Traditionell wird Jesus als großer, schlanker Mann mit langen, schwarzen Haaren und mit einem schwarzen Vollbart in einem gut geschnittenen, hübschen Gesicht dargestellt. Als Kleidungsstück trägt er einen bodenlangen, ganzteiligen Rock mit Ärmeln. Dieses Bild entspricht der damaligen Männermode und wird verbunden mit dem Schlankheitsideal unserer Zeit.

Vielleicht entspricht der historische Jesus von Nazareth dieser Beschreibung, vielleicht auch nur in Ansätzen, vielleicht aber auch gar nicht. Doch ganz offensichtlich hat er nicht als „Modeltyp“ Anklang bei den Menschen gefunden, sondern wegen seiner Ausstrahlung als Sohn Gottes. Das schließt natürlich nicht aus, dass Jesus ein attraktiver Mann war. Aber sein Aussehen hat für seinen Erfolg bei den Menschen keine Rolle gespielt, sondern sein Charisma. Er hat durch seine Predigten und durch seine Nächstenliebe die Zuhörer überzeugt. Wäre dem nicht so gewesen, hätten die Evangelisten, deren Absicht es war, Leben und Wirken Jesu als Botschaft der göttlichen Erlösung zu verkünden, seinen Körperbau nicht unerwähnt lassen. Doch sie wollten ein Glaubensbuch schreiben und keine Biographie, deshalb haben sie alles weggelassen, was für dieses Ziel unbedeutend war.
Und auch in den Briefen finden sich keine persönlichen Angaben zum Menschen Jesus von Nazareth. Das Neue Testament stellt Jesus Christus und seine Aktivitäten als Gottesgeschichte dar und nicht als Lebensgeschichte einer bedeutenden geschichtlichen Persönlichkeit.

Was wissen wir also über den Menschen Jesus? Er lebte einen normalen Alltag und lehnte jede asketische Lebensweise ab. Er feierte Feste und Gastmähler, hielt sogar Tischgemeinschaft mit kultisch Unreinen. Jesus predigte an unterschiedlichen Orten in Galiläa und berief Menschen in seine Nachfolge. Er unterschied sich in seinem Auftreten von dem anderer Lehrer und Geistlicher, wie der Evangelist Matthäus betont: „Und es geschah, als Jesus diese Worte vollendet hatte, da erstaunten die Volksmengen sehr über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer der Vollmacht hat und nicht wie ihre Schriftgelehrten.“ (Matthäus 7,28.29) Und aus diesem Grund scharte sich die Menge um ihn und glaubte seiner Botschaft vom Reich Gottes.

Wenn also das Aussehen von Jesus für seine Zeitgenossen, die ihm in Massen zuströmten, keine Bedeutung hatte, warum ist es dann uns heute so wichtig? Die Antwort lautet: weil Jesus immer mehr „vermenschlicht“ und auf sein soziales Wirken reduziert wird. Das beginnt damit, dass immer weniger Christen an die leibliche Auferstehung glauben. Damit fällt Jesu göttliche Seite weg, und er wird zur reinen geschichtlichen Person  Jesus, Sohn Josephs aus Nazareth: Biographie statt göttlicher Mission.

Das Bemühen, das Aussehen Jesu doch zu erfahren, treibt seltsame Blüten. Gegen alle Vernunft und Wissenschaft will man wissen, wie Jesus ausgesehen hat und greift dafür nach jedem Strohhalm. Der berühmteste ist natürlich das Grabtuch von Turin, das den Körperabdruck des toten Jesus mit einem gut sichtbaren Gesicht zeigen soll.
Eine Radiokarbon-Analyse hatte 1988 ergeben, dass es sich um eine mittelalterliche Fälschung handelt. Viele Forscher, die dem römischen Katholizismus oder christlichen Fundamentalistengruppen nahe stehen, wollen diese Tatsache nicht akzeptieren und versuchen, doch noch „Beweise“ für die Echtheit zu entdecken. Da werden aramäische Zeichen und Pollen „gefunden“ und irgendwelche Manuskripte von Edessa „ausgegraben“.
Und doch helfen alle diese „Beweise“ nicht, um das Leichentuch von Turin für echt zu erklären. Es kann aufgrund der religiösen Tradition des Judentums unmöglich echt sein. Die Jünger, die auch nach der Auferstehung Jesu ihrem jüdischen Glauben anhingen, gingen laut Apostelgeschichte nach Pfingsten weiterhin in den Tempel: „Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel“ (Apostelgeschichte 2,46a).
Das durften aber nur kultisch Reine. Im 19. Kapitel des 4. Buch Mose werden genaue Vorschriften bezüglich der Verunreinigung durch Leichen und den erforderlichen Reinigungsritualen gegeben. In Vers 13 wird sehr drastisch formuliert: „Wenn aber jemand irgendeinen toten Menschen anrührt und sich nicht entsündigen will, so macht er die Wohnung des Herrn unrein, und solch ein Mensch soll ausgerottet werden aus Israel. Weil das Reinigungswasser nicht über ihn gesprengt ist, ist er unrein; seine Unreinheit bleibt an ihm.“ Demnach hätte der Besitz des Grabtuches Jesu, weil es um einen Toten gewickelt war, seine Jünger kultisch unrein gemacht und ihnen den Zutritt zum Tempel verwehrt, und sie wären das auch geblieben, denn von Entsündigungsritualen wird in der Apostelgeschichte nichts berichtet.
Darüber hinaus entsprach es nicht jüdischem Brauch, Reliquien zu sammeln. Ein Leichentuch mit dem Gesichtsabdruck darauf hätte auch dem strengen Bilderverbot der Tora widersprochen. Und als letzter, aber besonders wichtiger Grund bleibt noch anzuführen, dass die Jünger die Rückkehr von Jesus und den Anbruch des Reiches Gottes zu ihren Lebzeiten erwarteten: also warum hätten sie gegen ihre Religion verstoßen und ein verunreinigendes Leichentuch als Erinnerungsstück an jemanden, der bald zurückkommt, behalten sollen?

Auch wenn es schwer zu akzeptieren ist, so steht fest, dass das Aussehen Jesu für uns im Dunklen bleibt. Was aber sichtbar ist für uns, ist die Faszination, die von ihm ausging und die die Menschen in Palästina für ihn einnahm. Und die die Menschen auch in den nächsten zwei Jahrtausenden nicht los ließ. Doch in unserer Zeit scheint es damit vorbei zu sein: kein Gesicht, keine Interesse? Oder gilt nach wie vor, was der Verfasser des Hebräerbriefes schreibt: Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit.“ (Hebräerbrief 13,8 )

Nichts spricht dagegen, sich von Neuem auf den Messias Jesus einzulassen und sich nicht mit dem sozial engagierten Menschen aus Nazareth zu begnügen. Doch wo können wir Jesus Christus, dem Heiland und Erlöser der Welt, 2000 Jahre nach den Ereignissen in Palästina begegnen?
Das ist einfach zu beantworten: wir brauchen nur das Neue Testament aufzuschlagen und zu lesen beginnen. Dann werden wir einen revolutionären Prediger kennenlernen, der keine Scheu hatte, mit religiösen Tabus zu brechen, um die Menschen zurück zu Gott zu führen. Und wenn seine Ausstrahlung als Sohn Gottes uns für ihn gewinnt und in seine Nachfolge führt, kann es uns egal sein, wie Jesus ausgesehen hat.



1 Kommentar:

  1. eine spannende Frage, aber ich denke auch, dass der Mensch immer etwas braucht zum Vorstellen, allerdings ist es nicht in erster Linie wichtig, wie Jesus ausgehen hat, sondern, wie er war :)

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