Sonntag, 4. Oktober 2015


Die Heilung der blutflüssigen Frau
(Markus 5,25-34; Lukas 8,43-48; Matthäus 9,20-22)

Jesus wandert mit seinen Jüngern am Ufer des Sees Genezareth entlang. Er ist von seinen Anhängern umringt, als Jairus, Vorsteher einer Synagoge, mit einer Bitte an ihn herantritt. Seine Tochter liegt im Sterben, und er fleht Jesus verzweifelt um Hilfe an. Ohne zu zögern geht der Rabbi mit ihm, die Menschenmenge folgt ihnen. Darunter befindet sich auch eine Frau, die seit 12 Jahren von einem ständigen Blutfluss geplagt wird.
Auch sie ist verzweifelt. Die Frau hat bereits all ihr Geld für Ärzte ausgegeben, aber keiner konnte ihr helfen. Der Rabbi aus Nazareth ist ihre letzte Hoffnung.
Im Schutz der Menge schleicht sie sich von hinten an Jesus heran und berührt sein Gewand. Denn sie ist überzeugt: „Wenn ich nur seine Kleider berühren könnte, so würde ich gesund!“ (Mk 5,28) Entsprechend dem jüdischen Gesetz ist sie unrein, solange sie blutet. Und so wagt sie es als „Unreine“ nicht, den frommen Lehrer direkt um Hilfe zu bitten. 

Aber natürlich bemerkt Jesus die Berührung und dreht sich fragend um: Wer war das? Zitternd vor Angst fällt die Frau vor Jesus auf die Knie und gesteht unter Tränen. Sie befürchtet, dass der Rabbi sie schelten wird, weil sie ihn durch ihre Berührung kultisch verunreinigt hat.
Jesus tut aber nichts dergleichen. Er sieht nur ihren Glauben und ihr Vertrauen und hilft ihr. Er sagt zu der Frau die tröstlichen Worte: „Meine Tochter, dein Glaube hat dich gesund gemacht; geh hin in Frieden und sei gesund von deiner Plage!“ (Mk 5,34)
Überglücklich kehrt die Frau nach Hause zurück. Jesus hat nicht nur ihr Leiden geheilt, sondern ihr auch wieder eine Zukunft in der Gesellschaft gegeben.

Entsprechend Leviticus (3 Mose) 15,19-33 gilt eine menstruierende Frau als unrein: „Wenn eine Frau ihren Blutfluss hat, so soll sie 7 Tage für unrein gelten. Wer sie anrührt, der wird unrein bis zum Abend. Und alles, worauf sie liegt, solange sie ihre Zeit hat, wird unrein, und alles, worauf sie sitzt, wird unrein.“ (Lev 15,19.20)
Der Blutfluss, d.h. die Monatsblutung, bedeutet somit den zeitlichen Ausschluss aus Familienleben und Synagoge bzw. Tempel, solange die Blutung anhält. Wenn sie endet, muss eine vorgeschriebene Reinigung, entweder durch Untertauchen in einem rituellen Bad („Mikwa“) oder durch ein Opfer beim Priester, vorgenommen werden. Danach kann die Frau ihren Platz in der Gemeinschaft wieder einnehmen.
Hart wird die Situation für eine Frau, wenn sie unter Zwischenblutungen leidet: „Wenn aber eine Frau den Blutfluss eine lange Zeit hat, zu ungewöhnlicher Zeit oder über die gewöhnliche Zeit hinaus, so wird sie unrein, solange sie ihn hat.“ (Lev 15,25)
Die unbekannte Frau hat also viele Jahre gesellschaftlicher und religiöser Isolation hinter sich. Sie ist am Ende ihrer Kraft und sucht als letzte Hoffnung den berühmten Wanderprediger aus Nazareth auf. Sie hat gehört, dass er sich der Ausgegrenzten und Verachteten annimmt, auch gegen den Widerstand der jüdischen Geistlichkeit, die ihn dafür hart kritisiert. Obwohl sie seit langem vom religiösen Leben ausgeschlossen ist, hat sie ihren Glauben an Gott nicht verloren. Sie ist fest davon überzeugt, dass Jesus von Nazareth der von den Propheten verheißene Gesandte Gottes ist und von diesem die Vollmacht zum Heilen erhalten hat.
In dieser Gewissheit macht sie sich auf den Weg zu Jesus, hat aber dann nicht den Mut, vor ihn zu treten. Weggehen kann sie aber auch nicht. Und so wählt sie den Mittelweg und berührt heimlich seine Kleidung. Sie kennt das Gesetz und weiß, dass Jesus durch die Berührung der unreinen Frau selbst unrein wird. Sie denkt, dass er es gar nicht spüren kann, wenn sie sein Kleid nur am Saum anfasst, aber vor Jesus kann man nichts verheimlichen.
Doch zu ihrer großen Erleichterung reagiert Jesus keineswegs verärgert, sondern ist von ihrem Glauben tief beeindruckt. Er sieht eine verzweifelte Frau vor sich, die seiner Hilfe voll vertraut.

Jesus bedeuten Äußerlichkeiten nichts: das Gesetz der Tora (5 Bücher Mose) verliert für ihn seine Bedeutung, wenn es um die Nächstenliebe geht. Gott zu dienen bedeutet für ihn aus Liebe zu handeln und nicht, Normen und Regeln um jeden Preis einzuhalten. Deshalb kann ihn auch kein hilfesuchender Mensch verunreinigen, sei es durch Blut oder Aussatz. Jesus unterzieht sich selbst nach der Berührung von Toten keinen kultischen Reinigungsbädern. Auch nachdem ihn die blutflüssige Frau berührt hat, geht er unmittelbar weiter in das Haus des Jairus und macht dessen Tochter gesund.

Jesus hat eine andere Definition von Reinheit und Unreinheit als die Pharisäer und Schriftgelehrten. Er behält sie auch nicht für sich, sondern wirft den jüdischen Geistlichen in aller Öffentlichkeit vor: „Ihr hebt Gottes Wort auf durch eure Satzungen, die ihr überliefert habt!“(Mk 7,13)
Nicht das, was die körperliche Beschaffenheit des Menschen ausmacht, kann ihn laut Jesus verunreinigen. Sie gehört zu den Naturgesetzen, die Gott in der Schöpfung festgelegt hat. Und warum also soll Menstruationsblut eine Frau verunreinigen, wenn doch Gott den monatlichen Eisprung als Form der Fortpfanzung geschaffen hat? 
 
Ebenso kann Jesus nirgends unreine Speisen erkennen: „Was zum Mund hineingeht, das macht den Menschen nicht unrein; sondern was aus dem Mund herauskommt, das macht den Menschen unrein.“ (Mt 15,11)
Jesu Erklärung ist einfach und verständlich: „Alles, was zum Mund hineingeht, das geht in den Bauch und wird danach in die Grube ausgeleert. Was aber aus dem Mund herauskommt, das kommt aus dem Herzen, und das macht den Menschen unrein.“ (Mt 15,17.18)
Jesus zählt im nächsten Vers in einem Sündenkatalog auf, was er unter Unreinheiten versteht: „Denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsches Zeugnis, Lästerung.“ (Mt 15,19) Es ist demnach scheinheilig, bestimmte Speisen nicht zu essen, aber einen Arbeitskollegen oder Nachbarn zu beschimpfen. Das ist nicht fromm, sondern Frömmelei.
Damit erklärt Jesus alle Speisen für rein, und Christen können essen was sie wollen. Es gibt für sie keine unreinen Tiere, denn sie alle sind Geschöpfe Gottes und er liebt sie alle. 
Das gilt auch für Schweine und Hunde. Nachdem Gott am 5. Tag die Tiere des Wassers und die Vögel erschaffen hat und am 6. Tag die Landbewohner „sah er, dass es gut war“. Das schließt alle Tiere ein.

Jesus lehnt es strikt ab, Menschen aufgrund körperlicher Gebrechen  oder wegen des Genusses sogenannter unreiner Speisen vom religiösen und sozialen Leben auszuschließen. Entsprechend der Lehre Jesu gründet der Apostel Paulus die christliche Kirche auf dem Fundament der Nächstenliebe, einer grenzenlosen Liebe, die über dem Gesetz steht, weil auch uns Gott grenzenlos liebt: „Denn das ganze Gesetz ist in einem Wort erfüllt, liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ (Gal 5,14






1 Kommentar:

  1. Ich finde den Beitrag sehr gut! Man kann Menschen nicht nach körperlichen Beschaffenheiten verurteilen, denn dafur kann man nichts. Was man tut, also die Taten, sollten mehr wiegen und nicht nur das Ergebnis- das zählt nicht so sehr, wie das, was man tut.

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