Sonntag, 19. Februar 2017


 
Die Zwei-Schwerter-Lehre

Denn wer das Schwert nimmt,
der soll durchs Schwert umkommen.“
(Matthäus 26,52)

Papier ist geduldig, heißt es – und das gilt ganz besonders für heilige Glaubensbücher. Nichts kann so leicht verfälscht und für politische Zwecke umgedeutet und missbraucht werden wie religiöse Texte. Menschen, die ihren Glauben ernst nehmen, bemühen sich besonders eindringlich, nach den Geboten und Regeln ihrer Religion zu leben. Das kann sich aber zu einer bedrohlichen Situation entwickeln. Denn je gläubiger jemand ist, desto leichter kann er von Fanatikern manipuliert werden. Wer will schon zurückstehen, wenn andere alles für den – vermeintlich richtigen – Weg mit Gott aufgeben?

Die größte Gefahr geht von jenen aus, die Zitate aus den Glaubensbüchern aus dem Zusammenhang reißen und damit den Eindruck erwecken, sie wären theologisch gebildet. Das verleiht ihnen bei vielen Mitgliedern ihrer Glaubensgemeinschaft, die sich selbst nicht sehr intensiv mit den heiligen Schriften beschäftigen, eine hohe Glaubwürdigkeit dort, wo Vorsicht angebracht wäre.

Haben Ideologen einmal in der Gesellschaft Fuß gefasst, wird es immer schwerer sie einzubremsen. Da sie sich als Auserwählte betrachten, sehen sie sich letztendlich legitimiert, ihre ganz persönlichen Vorstellungen von ihrer Religion mit Gewalt durchzusetzen, wenn ihnen die Mitmenschen nicht freiwillig folgen wollen. In Wahrheit handelt es sich nicht um religiösen Eifer, sondern es geht um Macht und Herrschaftsansprüche unter dem Deckmantel des aufrichtigen Glaubens.

Gutes kommt dabei nicht heraus, wie man täglich aus den Medien erfahren kann. Und selbst wenn man noch so weit in die Geschichte zurückgeht, muss man feststellen, dass Gewalt im Namen Gottes noch nie Segen gebracht hat.

Ein besonders tragisches Beispiel mit sehr weitreichenden blutigen Folgen ist der Machtkampf zwischen dem französischen König Philipp IV. dem Schönen, der von 1285-1314 regierte, und Papst Bonifaz VIII., der von 1294 – 1303 die Tiara trug.

Bonifaz VIII. war als Neffe von Papst Alexander IV. in der Kurie groß geworden. Von 1275-94 war er päpstlicher Legat. Als solcher fiel er in Frankreich durch seinen hochfahrenden und autoritativen Charakter und die Härte seines Wesens unangenehm auf. Er umgab sich als Papst mit kostspieligem Prunk, kleidete sich gern als römischer Imperator und betrieb Machtpolitik für seine Familie.

Sein Gegenspieler König Philipp IV. aus der Dynastie der Kapetinger war ein sehr frommer Mann. Er fastete regelmäßig, trug ein Büßerhemd und ließ sich mit einer kleinen Kette geißeln. Er war untadelig und bescheiden in seinem Privatleben und führte mit seiner Gemahlin Johanna von Navarra eine vorbildliche Ehe. Aber Philipp IV., der wegen seines attraktiven Aussehens den Beinamen 'der Schöne' bekam, war zutiefst erfüllt von seiner göttlichen Sendung als König von Frankreich und duldete keine andere irdische Autorität über sich. Wer sich ihm nicht beugte, wurde mitleidlos und grausam aus dem Weg geräumt. Das galt auch für kirchliche Autoritäten.

Aber unterwürfig war eben auch Papst Bonifaz VIII. nicht. Und auch er war von seiner göttlichen Sendung erfüllt und anerkannte als Stellvertreter Christi auf Erden keine andere Autorität über sich als Gott selbst.

Der Machtkampf der beiden Kontrahenten gipfelte letztendlich in der Frage: Ist die staatliche Gewalt generell der päpstlichen unterworfen? Bonifaz VIII. glaubte, die Frage eindeutig beantwortet zu haben, als er im Jahre 1302 die Bulle „Unam sanctam“ erließ. Der Papst berief sich auf die Stelle im Lukasevangelium, als die Jünger nach dem letzten Abendmahl Jesus zwei Schwerter reichen wollten: Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter.“ (Lukas 22,38a).
Überzeugt, fest auf dem Boden der biblischen Theologie zu stehen, ließ Bonifaz VIII. festschreiben, dass sich sowohl das geistliche als auch das weltliche Schwert als Symbole der irdischen Macht in der Hand der Kirche befänden. Das geistliche wird von der Kirche geführt, das weltliche für die Kirche nach dem Willen und Einverständnis des Papstes. Die Überordnung der geistlichen über die weltliche Gewalt sei von Gott gewollt. Ein König ist also nur ein Untertan des Papstes - wie jeder andere Getaufte auch.

Demzufolge ist der Papst auch berechtigt, einen Herrscher bei Vergehen zu richten. Und in diesem Sinne bereitete Bonifaz die Exkommunikation von Philipp IV. vor, um ihm zu beweisen, dass er, der Papst, der Herr auf Erden ist. Das hätte den Sturz des Königs bedeutet, denn einem Herrscher, der von den Sakramenten ausgeschlossen ist, brauchte keiner im Lande loyal und gehorsam zu sein.
Es überrascht nicht, dass Philipp IV. seinem Untergang nicht tatenlos zusah. Er verhinderte seine Exkommunikation mit Gewalt. Sein Kanzler Nogaret und die mit dem Papst verfeindete Familie der Colonna überfielen Bonifaz in Agnani und setzten ihn gefangen. Wahrscheinlich wurde er auch ins Gesicht geschlagen. Am nächsten Tag befreite ihn zwar die Bevölkerung und brachte ihn nach Rom zurück, aber von diesem Gewaltakt erholte er sich nicht mehr. Einen Monat später am 11.10.1303 starb Bonifaz VIII. als gebrochener Mann. Der französische König war überzeugt, aus der Konfrontation als Sieger hervor gegangen zu sein.

Aber es sollte sich im Laufe der Jahre zeigen, dass tatsächlich keine Partei wirklich gewonnen hat. Der grundlegende Irrtum, der die anderen Fehlentscheidungen ins Rollen brachte, war die unsinnige Verwendung eines halben Bibelverses, der in seiner zweiten Hälfte die Bulle „Unam sanctam“ ad Absurdum führte und deshalb vom Papst ignoriert wurde. Denn Jesus lehnte die Verwendung der Schwerter, die ihm die Jünger hinhielten, klar ab: Er aber sprach zu ihnen: Es ist genug.“ (Lukas 22,38b) Und als die unbelehrbaren Jünger bei seiner Verhaftung in Gethsemane doch zum Schwert griffen, drohte Jesus: „Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen.“ (Matthäus 26,52)

Offenbar haben sowohl Papst Bonifaz VIII. als auch König Philipp IV. nur die Texte in der Bibel gelesen, die ihren Plänen nützlich waren: zu ihrem Unglück und das der Menschen, die von ihren Entscheidungen betroffen waren.

Das Papsttum geriet nach Bonifaz' Tod unter französische Kontrolle. Zum neuen Papst Clemens V. (1305-1314) wurde nach massiver Einflussnahme Philipps der Erzbischof von Bordeaux gewählt, der seine Residenz in Avignon, einem Randgebiet des französischen Königreiches, aufschlug und Rom fern blieb. Es begann das „Babylonische Exil“ (in Anlehnung an das Exil der Juden in Babylon), das 70 Jahre dauerte. Als Päpste dann endlich wieder ab 1377 in Rom residierten, kam es zum „Großen Schisma“ (1378-1415): Kardinäle in Avignon wählten trotzig einen Papst und Kardinäle in Rom auch: aber wer von den beiden war jetzt der Rechtmäßige? Die christliche Kirche begann in Streit und Machtkampf zu versinken, die einfachen Gläubigen blieben auf der Strecke. 
Das Konzil von Konstanz (1414-18) trat zusammen, um die Spaltung zu beseitigen und wieder Ordnung in die Kirche zu bringen. Martin V. (1417-31) wurde zum alleinigen Papst gewählt. Und weil man schon beim Ordnen war, beseitigte man den kritischen Prager Theologieprofessor Jan Hus und verbrannte ihn als Ketzer. Die Folge dieser Gewalttat waren die blutigen Hussitenkriege in Böhmen (1419-1436).


Der siegestrunkene Philipp IV. kostete seine neue Überlegenheit über das Papsttum skrupellos aus. Mit einem willfährigen Papst ausgestattet ging der König nun gegen eine andere mächtige religiöse Organisation in seinem Königreich vor.
Der reiche und unabhängige Tempelorden, der seine Zentrale in Paris hatte, war ihm schon lange ein Dorn im Auge. In einer Überraschungsaktion am 13. Oktober 1307 wurden der Großmeister und alle Templer in Frankreich gleichzeitig verhaftet. Viele starben bereits unter der Folter aufgrund größter Brutalität.
Der Papst in Avignon hielt sich mit Kritik zurück und hob gehorsam am 22. April 1312 den Orden auf. Am 18.3.1314 setzte die Verbrennung des Großmeisters und seines Stellvertreters in Paris den Schlusspunkt der Aktion. König Philipp IV. war zufrieden: nicht nur, dass seine Schatztruhen nun prall gefüllt waren, er war auch zum unumschränkten Herrscher im Land aufgestiegen, weil er jede Konkurrenz erfolgreich mit Gewalt ausgeschaltet hatte. Der fromme Philipp kannte keine Barmherzigkeit, wenn es um seine Königswürde ging.

Nicht alle Untertanen teilten das Triumpfgefühl ihres Herrschers. Die zuschauende Menge bei der Verbrennung der Templer war bestürzt und sah darin einen Frevel, für den die Verantwortlichen würden bezahlen müssen. Und so kam es auch. Innerhalb der nächsten sechs Monate starben die Drahtzieher: König Philipp IV., sein Kanzler Nogaret und Papst Clemens V. Es verbreitete sich das Gerücht, der Großmeister habe sie vor den Richterstuhl Gottes geladen.

König Philipp IV. erlag mit 46 Jahren am 29.11.1314 den Verletzungen eines Reitunfalls. Aber er starb in dem Bewusstsein, sein Haus gut bestellt zu haben: seine Thronfolge schien mit drei gesunden, zeugungsfähigen Söhnen gesichert und die französische Krone hatte keine Konkurrenz mehr zu fürchten. Doch das sollte sich als Irrtum heraus stellen. 

Die drei Söhne folgten dem Vater in rascher Folge auf den Thron: Ludwig X. starb am 5.6.1316; Philipp V. am 7.1.1322; Karl IV. am 1.2.1328. Ihre Söhne überlebten das Säuglingsalter nicht. Die weibliche Thronfolge gab es nicht. 1328 erlosch die direkte Linie der Kapetinger.
Tragischerweise für Frankreich erreichte doch ein Enkel von Philipp IV. das Erwachsenenalter: der englische König Edward III., dessen Mutter die Tochter von Philipp IV. war. Selbstverständlich erhob Edward III. sofort nach dem Tod des letzten Onkels Anspruch auf den französischen Thron. Die französischen Adeligen sprachen ihm aber das Thronfolgerecht ab, weil er es über seine Mutter Isabella beanspruchte und in Frankreich Frauen nicht thronfolgeberechtigt waren. Sie wählten als König einen Abkömmling aus der Seitenlinie der Valois. Das nahm der englische König jedoch nicht hin und setzte mit einem Heer nach Frankreich über. Damit löste er den 100jährigen Krieg um die Krone Frankreichs aus mit tausenden Todesopfern.

Gewonnen hat im Machtkampf der Obrigkeiten keiner, verloren aber alle.

Entscheidend ist, was Glaubensbücher tatsächlich lehren, und nicht, was einige wenige daraus machen. Wer seinen Glauben ernst nimmt, kommt nicht umhin, selbst die heiligen Schriften zu lesen und darf sich nicht darauf verlassen, was manche „Fromme“ behaupten, an Weisheiten darin zu finden.
Aus einem so umfangreichen Buch wie der Bibel, die in einem Zeitraum von über 1000 Jahren geschrieben wurde (ca. 1000 v. Chr. - ca. 150 n.Chr.), kann man sich leicht alles das herauspicken, was für den eigenen Zweck brauchbar ist. Mit christlicher Lehre hat das aber dann nicht mehr viel zu tun.

Viele Forderungen, die Jesus an die Nachfolge stellt, sind unbequem und schwer zu erfüllen. So will Jesus eine Gesellschaft, die auf Nächstenliebe und Barmherzigkeit aufgebaut ist und nicht auf egoistischem Machtstreben. Und deshalb warnt Jesus alle die, die Gewalt als legitimes Instrument zur Durchsetzung religiöser Interessen befürworten, dass ihnen das keinen Erfolg bringen wird: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“ (Matthäus 5,5)


1 Kommentar:

  1. sehr interessant, anhand eines geschichtlichen Beispieles dies vor Augen zu führen.
    Es ist traurig, weil die Religion soll Menschen helfen, und sie sollen sie nicht so missbrauchen

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