Die Heilung
eines Kranken am Teich Betesda
Wo
die Medizin nicht helfen kann, hoffen die Menschen auf alternative
Heilmethoden. Das galt auch schon in der Antike. Beim Schaftor in
Jerusalem befand sich damals ein Teich, der hieß im Hebräischen
Betesda. Ihm wurden Heilungen durch ein Wunder zugeschrieben. Die
Menschen glaubten, dass von Zeit zu Zeit ein Engel aus dem Himmel
herab kam und das Wasser bewegte. Und derjenige unter den wartenden
Patienten, der es als erster in den Teich schaffte, wurde gesund,
egal an welcher Krankheit er litt. Betesda zog viele Leidende an. Für
sie wurden fünf Hallen errichtet, in denen die Kranken, Blinden,
Lahmen und Ausgezehrten lebten und warteten und hofften.
Eines
Tages kam Jesus beim Schaftor vorbei. Dort fiel ihm ein alter Mann
auf, der am Rande der Hallen auf dem Boden lag und vor sich hin
starrte. Er sah schon ziemlich entmutigt aus, immerhin hielt er sich
schon seit 38 Jahren als Kranker hier auf. Der Rabbi aus Nazareth
blieb neben ihm stehen: „Als Jesus den liegen
sah und vernahm, dass er schon so lange gelegen hatte, sprach er zu
ihm: Willst du gesund werden?“ (Johannes 5,6) Eigentlich
kannte Jesus die Antwort von vornherein, aber er wollte zuerst einmal
mit dem Kranken ins Gespräch kommen. Und was ihm der Mann alles zu
sagen hatte, war sehr bedrückend: „Herr, ich
habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn sich das
Wasser bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir
hinein.“ (Johannes 5,7)
Der
alte Mann war sich nicht bewusst, dass jener Rabbi aus Galiläa vor
ihm stand, der in seiner Heimat schon viele unheilbar Kranke geheilt
hatte. Deshalb klagte er Jesus nur sein Leid und kam nicht auf die
Idee zu sagen, ja, ich will gesund werden – er freute sich schon
darüber, dass ihn einer angeredet und nach seinem Befinden gefragt
hatte. Das war jahrelang nicht passiert. Achtlos waren die Passanten
an dem Mann vorüber gegangen. Keiner fühlte sich veranlasst ihm zu
helfen, denn schließlich wartete dieser ja ohnehin auf ein Wunder,
und das würde seine Probleme schon lösen! Und deshalb brauchte man
sich nicht um ihn zu kümmern! Sicher, keiner der Menschen hätte ihn
gesund machen können, aber Anteilnahme zeigen und Hilfe anbieten
wäre möglich gewesen. Zumindest hätte sich der Kranke nicht so
einsam und verlassen gefühlt. Jesus konnte beides: seine
Nächstenliebe zeigen und den Mann gesund machen: „Jesus
sprach zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! Und sogleich
wurde der Mann
gesund und nahm sein Bett und ging hin.“ (Johannes 5,8.9)
Für diesen alten Mann begann nach 38 Jahren Einsamkeit ein neues
Leben in der Gemeinschaft – weil ein Gesunder nicht weggeschaut
hatte.
Ein
Wunder ohne Hilfe kann es nicht geben, aber braucht man noch ein
Wunder, wenn einem ein aufmerksamer Mitmensch hilft? Wir leben in
einer Zeit, in der wir Jesus nicht mehr persönlich auf der Straße
begegnen. Das heißt nicht, dass er nicht ständig präsent ist. Seit
seiner Auferstehung und Rückkehr in den Himmel ist er immer um uns,
auch wenn wir ihn nicht sehen können. Ein Gebet genügt, um mit ihm
in Kontakt zu treten. Und zudem er hat uns sein Vermächtnis im
Evangelium hinterlassen: „Was ihr tut einem
von meinen geringsten Mitmenschen, das habt ihr mir getan.“
(Matthäus 25,40) Das ist keine Aufforderung zu publicitywirksamen
Großtaten, mit denen man etwa in den Medien Eindruck schinden kann,
sondern dazu, im Alltag aufmerksam zu sein für die großen aber auch
kleinen Nöte der Mitmenschen: „Wer im
Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu; und wer im
Geringsten untreu
ist, der ist auch im Großen untreu.“ (Lukas 16,10)
Oft
genügt eine kleine Hilfeleistung, eine nette Geste, eine aufmerksame Nachfrage im
Alltag, um das Zusammenleben in der Gemeinschaft freundlicher zu
gestalten und in einer Atmosphäre der Toleranz und Nächstenliebe
auch die Schwächsten miteinzubeziehen.
So wie Jesus es uns
vorgezeigt hat, der nicht achtlos an einem Bedürftigen vorüber
gegangen ist, sondern ihn angesprochen und gefragt hat, ob er ihm
helfen kann. Das ist der Anspruch, den Jesus an uns Christen in
seiner Nachfolge hat: mit offenen Augen für die Bedürfnisse unserer
Mitmenschen durch den Alltag zu gehen: „Ein
Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan
habe.“ (Johannes 13,15) Sich darauf zu verlassen, dass schon
andere oder einfach nur der Staat sich kümmern werden, ist nicht
das, was Jesus von uns erwartet.
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