Sonntag, 28. August 2016


Das fließende Licht der Gottheit“

geistliche Frauen im 13. Jahrhundert

Mechthild war 12 Jahre alt, als sie sich von Jesus Christus in seine Nachfolge berufen fühlte. Um 1207 in eine adelige Familie hineingeboren entschied sie sich, ihrer theologischen Berufung zu folgen und auf ihre traditionelle Frauenrolle zu verzichten.

Das war leichter gesagt als getan. Denn im 13. Jahrhundert war ein eigenständiges Leben für eine Frau eine gewagte Entscheidung, die viel Mut erforderte und in der streng patriachalischen Gesellschaft jener Zeit nicht vorgesehen war. Und wenn es noch dazu eine geistliche Laufbahn war, wurde sie zu einem Stein des Anstoßes. Das galt natürlich nicht für Nonnen, die ein der kirchlichen Hierarchie genehmes, den Priestern gegenüber unterwürfiges Leben hinter Klostermauern führten. Diesen Weg wollte Mechthild aber nicht einschlagen, sie hatte andere Pläne: sie wollte Begine werden.

Das war eine neuartige Lebensform, mit der Frauen gegen ihre geschlechtliche Diskriminierung im kirchlichen Bereich aufbegehrten. Beginen waren selbstbewusste, unabhängige Frauen, die sich intellektuell den Männern als gleichwertig ansahen und dies auch öffentlich zeigten.
Seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert entschieden sich immer mehr Frauen dafür, eine von Priestern unabhängige Frömmigkeit leben. Sie kamen hauptsächlich aus dem Adel und verließen die Burgen, um sich in Gemeinschaften mit Gleichgesinnten in den Städten anzusiedeln. Sie trugen einheitliche Kleidung (aber keine Ordenstracht), lebten nicht in Klausur, legten kein Gehorsamsgelübde ab und leisteten keinen Besitzverzicht. Anfangs waren Beginen besonders im karitativen Bereich tätig, dann aber erteilten sie auch Unterricht. Sie konnten Vorsteherinnen von elementaren Mädchenschulen werden, die für Töchter der Oberschicht immer mehr an Bedeutung gewannen. Und einige gingen sogar dazu über, religiöse Schriften zu veröffentlichen.

Damit bekamen sie Probleme mit der männerdominierten Kirche. Thomas von Aquin, führender Theologe jener Zeit, postulierte, dass Frauen nur für die Fortpflanzung unersetzlich wären, und hielt das Schreiben von Frauen für gefährlich. Er berief sich auf Bibelstellen (1 Mose 3,16; 1 Korinther 14,34.35; 1 Timotheus 2,11.12), aufgrund der die Männer den Vorrang in Gesellschaft und Kirche beanspruchten. Aquins Kollege Heinrich von Gent war schon etwas fortschrittlicher, als er religiöse Betätigungen von Frauen in Ausnahmefällen wegen der Größe der Ernte und dem Mangel an Arbeitern befürwortete. Aber er beschränkte die Erlaubnis zur religiösen Lehre auf den privaten Bereich ein und verbot öffentliche Auftritte. Was sollte eine Frau den Männern auch theologisch zu sagen haben, wenn sie doch ein Mensch zweiter Klasse war? Sicherheitshalber – man weiß ja nie - waren die Frauen von den Kathedralschulen und Universitäten ausgeschlossen.

Damit verbunden war von der Kirche ein Verbot des „öffentlichen Theologietreibens“ für Frauen erlassen worden, aber zunehmend begannen die Beginen dagegen zu verstoßen. Denn sie beriefen sich auf Jesus Christus direkt, der laut Evangelien Frauen niemals „zurück an den Herd verwiesen“ und ihnen nicht das öffentliche Reden über Glaubensfragen verboten hat. Im Gegenteil, Jesus hat eine Pionierleistung erbracht, indem er mit den patriachalischen Traditionen seiner Zeit gebrochen und die Frauen in seinem Jüngerkreis seinen männlichen Jüngern stets gleichgestellt hat.
Und sie nahmen sich den Apostel Paulus zum Vorbild, der immer unterschieden hat zwischen dem „Herrenwort“ (also der Predigt Jesu), das für Paulus unbedingt verbindlich war, und zwischen seiner persönlichen Meinung, die man befolgen konnte, aber nicht musste. Die Beginen gingen davon aus, dass das „Herrenwort“ auch in der Kirche über der persönlichen Meinung von Päpsten, Bischöfen und Theologen stehen muss.

Im Vertrauen auf das Evangelium entschloss sich Mechthild, entsprechend ihrer Berufung zu leben. Sie bezog mit anderen Beginen ein Haus in Magdeburg und verbrachte dort ihr weiteres Leben. 

Nach etwa 20 Jahren ging sie noch einen Schritt weiter und griff zur Feder. In ihrem Werk „Das fließende Licht der Gottheit“ berichtet sie in mystischen Beschreibungen von dem Gott, der ihr als Lichtgestalt nahe gekommen ist. Das Buch ist durchglüht vom Verlangen nach persönlicher Vereinigung mit dem Göttlichen. Es ist ein Jubelschrei aufgrund einer intensiven Gottes- und Christusbegegnung.
Aber nicht genug damit, dass Mechthild religiöse Texte schrieb, sie brach ein weiteres Tabu, als sie diese der Öffentlichkeit zugänglich machte. Sie wurden in interessierten Kreisen wie städtischen Beginenkonventen, Frauenklöstern und auch Disputationszirkeln von geistlichen Bewegungen vorgelesen und riefen großes Entzücken hervor. Durch Mundpropaganda erweiterte sich der Leserkreis immer weiter, und schließlich wurde das Buch, das im volkssprachlichen Deutsch geschrieben war, noch zu Mechthilds Lebzeiten ins Lateinische, der Universalsprache der damaligen Theologie, übersetzt.
Ungefährlich war das Unterfangen nicht, denn Frauen war es verboten, theologische Werke zu veröffentlichen. Das Recht dazu stand nur Männern zu. Ihr Buch war deshalb von Beginn an umstritten, ihre Schrift vom Verbrennen bedroht. 

 
Misstrauisch beobachtet von der kirchlichen Obrigkeit gelang es Mechthild letztendlich aber, als alte Frau im Zisterzienserinnenkloster Helfta ihren Lebensabend zu verbringen. Sie starb hochbetagt und erblindet, der genaue Zeitpunkt ist nicht bekannt. Ihr Buch machte sie zur berühmtesten Schriftstellerinnen des deutschsprachigen Mittelalters.

Ihre französische Kollegin Marguerite Porete hatte weniger Glück. Sie büßte für ihren Anspruch, theologisch auf der selben Stufe wie die Männer zu stehen, mit dem Leben. Sie wurde am Pfingstmontag, 1.6.1310, in Paris am Place de Greve hingerichtet. 
Aus dem aufgeschichteten Holzhaufen ragte in der Mitte ein Holzpfahl in die Höhe, an den die Verurteilte mit Ketten festgebunden wurde. Eine Menschenmenge umringte den Scheiterhaufen, der von Soldaten bewacht wurde. Dann wurde das Feuer entzündet, und die Frau starb einen qualvollen Tod in den Flammen.

Was war Marguerites Verbrechen gewesen? Sie hatte ein von ihr verfasstes Buch Der Spiegel der einfachen Seelen“ („Mirouer“) veröffentlicht. Marguerites Zielsetzung war es gewesen, ein Anleitungsbuch für den Weg der Seele zu Gott zu schreiben. Dafür wählte sie ebenso wie Mechthild von Magdeburg die Volkssprache und nicht das Lateinische.
Ihre Texte zeigen, dass sie eine theologisch geschulte Frau war. Woher bezog sie ihre Bildung? Ihre vielen Briefkontakte und der Schreibstil sprechen für eine Herkunft aus der patrizischen Oberschicht einer Stadt. Sie war eine Frau, die sich ebenso wie ihre deutsche Kollegin aus religiöser Berufung zu einem Leben als Begine entschlossen hatte - und ungeachtet aller Gefahren zum Schreiben eines religiösen Werkes.

Der große Erfolg ihres Buches war der kirchlichen Obrigkeit ein Dorn im Auge. Aber anders als in Magdeburg griff die Diözesanleitung in Frankreich hart durch. Marguerites erste Verurteilung erfolgte in Valenciennes unter dem Bischof von Cambrai, Guy II. von Colmieu (im Amt 1296-1306). 

Ihr „ketzerisches“ Buch wurde in ihrer Anwesenheit verbrannt, ihr wurde jedes weitere öffentliche Auftreten verboten: Dagegen habe sie laut Prozessakten verstoßen und trotz Verbot ihr Buch weiter propagiert. Deshalb wurde Marguerite Porete zum Tod durch das Feuer verurteilt und öffentlich hingerichtet. Und mundtot gemacht.

Je stärker sich die Frauen im Mittelalter von der priesterlichen Vorherrschaft emanzipierten, desto brutaler reagierte die kirchliche Obrigkeit. Zunehmend wurde den Beginen das Leben schwer gemacht, und zahlreiche Verordnungen schränkten sie in ihrem Wirken ein. Ein generelles Verbot der beginischen Lebensweise verhängte das Vienner Konzil 1311/12. Danach setzten die Verfolgungen ein und die Zahl der Beginen ging drastisch zurück. Die Anschuldigungen wegen Ketzerei waren immer wirkungsvoll und einschüchternd und sicherten den Männern ihre dominante Stellung. Unterwürfige Frauen, die sich auf Heim und Herd beschränkten, wollten die Kirchenherrn und keine ihnen ebenbürtigen Theologinnen – die ihnen vielleicht sogar intellektuell überlegen sein können. Dieses Risiko konnte man nicht eingehen!

Traurigerweise muss man sagen, dass sich bis heute in weiten Teilen des Christentums nichts an der Männerdominanz, die sich auf herausgepickte, aus dem Zusammenhang gerissene Bibelstellen beruft, geändert hat. Aber Jesus zu ignorieren, um patriachalische Strukturen abzusichern, ist eine riskante Sache, wenn man die Lehre Jesu ernst nimmt. Denn unser Messias warnt: „Ich sage euch aber, dass die Menschen Rechenschaft geben müssen am Tag des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie geredet haben.“ (Matthäus 12,36) Also ist es hilfreich, nochmals in den Evangelien nachzulesen, wie Jesus die Rollenverteilung der Geschlechter sieht, besser gesagt, dass er sie nicht sieht.

Und was soll uns Frauen, egal welcher Konfession, daran hindern, das „Herrenwort“ über die persönliche Bibelauslegung rückständiger Kirchenmänner zu stellen?

1 Kommentar:

  1. sehr interessant und gehört gesagt, denn hören tut man von solchen Taten nichts. Ich fnde es wichtig, dass man von solchen Geschehnissen in Kenntnis gesetzt wird!

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