„Das
fließende Licht der Gottheit“
geistliche
Frauen im 13. Jahrhundert
Mechthild
war 12 Jahre alt, als sie sich von Jesus Christus in seine Nachfolge
berufen fühlte. Um 1207 in eine adelige Familie hineingeboren
entschied sie sich, ihrer theologischen Berufung zu folgen und auf
ihre traditionelle Frauenrolle zu verzichten.
Das
war leichter gesagt als getan. Denn im 13. Jahrhundert war ein
eigenständiges Leben für eine Frau eine gewagte Entscheidung, die
viel Mut erforderte und in der streng patriachalischen Gesellschaft
jener Zeit nicht vorgesehen war. Und wenn es noch dazu eine
geistliche Laufbahn war, wurde sie zu einem Stein des Anstoßes. Das
galt natürlich nicht für Nonnen, die ein der kirchlichen Hierarchie
genehmes, den Priestern gegenüber unterwürfiges Leben hinter
Klostermauern führten. Diesen Weg wollte Mechthild aber nicht
einschlagen, sie hatte andere Pläne: sie wollte Begine werden.
Das
war eine neuartige Lebensform, mit der Frauen gegen ihre
geschlechtliche Diskriminierung im kirchlichen Bereich aufbegehrten.
Beginen waren selbstbewusste, unabhängige Frauen, die sich
intellektuell den Männern als gleichwertig ansahen und dies auch
öffentlich zeigten.
Seit
dem ausgehenden 12. Jahrhundert entschieden sich immer mehr Frauen
dafür, eine von Priestern unabhängige Frömmigkeit leben. Sie kamen
hauptsächlich aus dem Adel und verließen die Burgen, um sich in
Gemeinschaften mit Gleichgesinnten in den Städten anzusiedeln. Sie
trugen einheitliche Kleidung (aber keine Ordenstracht), lebten nicht
in Klausur, legten kein Gehorsamsgelübde ab und leisteten keinen
Besitzverzicht. Anfangs
waren Beginen besonders im karitativen Bereich tätig, dann aber
erteilten sie auch Unterricht. Sie konnten Vorsteherinnen von
elementaren Mädchenschulen werden, die für Töchter der Oberschicht
immer mehr an Bedeutung gewannen. Und einige gingen sogar dazu über,
religiöse Schriften zu veröffentlichen.
Damit
bekamen sie Probleme mit der männerdominierten Kirche. Thomas von
Aquin, führender Theologe jener Zeit, postulierte, dass Frauen nur
für die Fortpflanzung unersetzlich wären, und hielt das Schreiben
von Frauen für gefährlich. Er berief sich auf Bibelstellen (1 Mose
3,16; 1 Korinther 14,34.35; 1 Timotheus 2,11.12), aufgrund der die
Männer den Vorrang in Gesellschaft und Kirche beanspruchten. Aquins
Kollege Heinrich von Gent war schon etwas fortschrittlicher, als er
religiöse Betätigungen von Frauen in Ausnahmefällen wegen
der Größe der Ernte und dem Mangel an Arbeitern befürwortete. Aber
er beschränkte die Erlaubnis zur religiösen Lehre auf den privaten
Bereich ein und verbot öffentliche Auftritte. Was sollte eine Frau
den Männern auch theologisch zu sagen haben, wenn sie doch ein
Mensch zweiter Klasse war? Sicherheitshalber – man weiß ja nie -
waren die Frauen von den Kathedralschulen und Universitäten
ausgeschlossen.
Damit
verbunden war von der Kirche ein Verbot des „öffentlichen
Theologietreibens“ für Frauen erlassen worden, aber zunehmend
begannen die Beginen dagegen zu verstoßen. Denn sie beriefen sich
auf Jesus
Christus direkt, der laut Evangelien Frauen niemals „zurück an den
Herd verwiesen“ und ihnen nicht das öffentliche Reden über
Glaubensfragen verboten hat. Im Gegenteil, Jesus hat eine
Pionierleistung erbracht, indem er mit den patriachalischen
Traditionen seiner Zeit gebrochen und die Frauen in seinem
Jüngerkreis seinen männlichen Jüngern stets gleichgestellt hat.
Und
sie nahmen sich den Apostel Paulus zum Vorbild, der immer
unterschieden hat zwischen dem „Herrenwort“ (also der Predigt
Jesu), das für Paulus unbedingt verbindlich war, und zwischen seiner
persönlichen Meinung, die man befolgen konnte, aber nicht musste.
Die Beginen gingen davon aus, dass das „Herrenwort“ auch in der
Kirche über der persönlichen Meinung von Päpsten, Bischöfen und
Theologen stehen muss.
Im
Vertrauen auf das Evangelium entschloss sich Mechthild, entsprechend
ihrer Berufung zu leben. Sie bezog mit anderen Beginen ein Haus in
Magdeburg und verbrachte dort ihr weiteres Leben.
Nach etwa 20 Jahren
ging sie noch einen Schritt weiter und griff zur Feder. In ihrem Werk
„Das fließende Licht der Gottheit“ berichtet sie in
mystischen Beschreibungen von dem Gott, der ihr als Lichtgestalt nahe
gekommen ist. Das Buch ist durchglüht vom Verlangen nach
persönlicher Vereinigung mit dem Göttlichen. Es ist ein Jubelschrei
aufgrund einer intensiven Gottes- und Christusbegegnung.
Aber
nicht genug damit, dass Mechthild religiöse Texte schrieb, sie brach
ein weiteres Tabu, als sie diese der Öffentlichkeit zugänglich
machte. Sie wurden in interessierten Kreisen wie städtischen
Beginenkonventen, Frauenklöstern und auch Disputationszirkeln von
geistlichen Bewegungen vorgelesen und riefen großes Entzücken
hervor. Durch Mundpropaganda erweiterte sich der Leserkreis immer
weiter, und schließlich wurde das Buch, das im volkssprachlichen
Deutsch geschrieben war, noch zu Mechthilds Lebzeiten ins
Lateinische, der Universalsprache der damaligen Theologie, übersetzt.
Ungefährlich
war das Unterfangen nicht, denn Frauen war es verboten, theologische
Werke zu veröffentlichen. Das Recht dazu stand nur Männern zu. Ihr
Buch war deshalb von Beginn an umstritten, ihre Schrift vom
Verbrennen bedroht.
Misstrauisch beobachtet von der kirchlichen
Obrigkeit gelang es Mechthild letztendlich aber, als alte Frau im
Zisterzienserinnenkloster Helfta ihren Lebensabend zu verbringen. Sie
starb hochbetagt und erblindet, der genaue Zeitpunkt ist nicht
bekannt. Ihr Buch machte sie zur berühmtesten Schriftstellerinnen
des deutschsprachigen Mittelalters.
Ihre
französische Kollegin
Marguerite Porete hatte
weniger Glück. Sie büßte für ihren Anspruch, theologisch auf der
selben Stufe wie die Männer zu stehen, mit dem Leben. Sie wurde am
Pfingstmontag, 1.6.1310, in Paris am Place de Greve hingerichtet.
Aus
dem aufgeschichteten Holzhaufen ragte in der Mitte ein Holzpfahl in
die Höhe, an den die Verurteilte mit Ketten festgebunden wurde. Eine
Menschenmenge umringte den Scheiterhaufen, der von Soldaten bewacht
wurde. Dann wurde das Feuer entzündet, und die Frau starb einen
qualvollen Tod in den Flammen.
Was
war Marguerites
Verbrechen gewesen? Sie hatte ein von ihr verfasstes Buch „Der
Spiegel der einfachen Seelen“
(„Mirouer“)
veröffentlicht. Marguerites
Zielsetzung war es gewesen, ein Anleitungsbuch
für den Weg der Seele zu Gott zu schreiben. Dafür wählte sie
ebenso wie Mechthild von Magdeburg die Volkssprache und nicht das
Lateinische.
Ihre
Texte zeigen, dass sie eine theologisch geschulte Frau war. Woher
bezog sie ihre Bildung? Ihre vielen Briefkontakte und der Schreibstil
sprechen für eine Herkunft aus der patrizischen Oberschicht einer
Stadt. Sie war eine Frau, die sich ebenso wie ihre deutsche Kollegin
aus religiöser Berufung zu einem Leben als Begine entschlossen hatte
- und ungeachtet aller Gefahren zum Schreiben eines religiösen
Werkes.
Der
große Erfolg ihres Buches war der kirchlichen Obrigkeit ein Dorn im
Auge. Aber anders als in Magdeburg griff die Diözesanleitung in
Frankreich hart durch. Marguerites
erste Verurteilung erfolgte in Valenciennes
unter dem Bischof von Cambrai, Guy II. von Colmieu (im Amt
1296-1306).
Ihr „ketzerisches“ Buch wurde in ihrer Anwesenheit
verbrannt, ihr wurde jedes weitere öffentliche Auftreten verboten:
Dagegen habe sie laut Prozessakten verstoßen und trotz Verbot ihr
Buch weiter propagiert. Deshalb wurde Marguerite
Porete zum Tod durch das Feuer verurteilt und
öffentlich hingerichtet. Und mundtot gemacht.
Je
stärker sich die Frauen im Mittelalter von der priesterlichen
Vorherrschaft emanzipierten, desto brutaler reagierte die kirchliche
Obrigkeit. Zunehmend wurde den Beginen das Leben schwer gemacht, und
zahlreiche Verordnungen schränkten sie in ihrem Wirken ein. Ein
generelles Verbot der beginischen Lebensweise verhängte das Vienner
Konzil 1311/12. Danach setzten die Verfolgungen ein und die Zahl der
Beginen ging drastisch zurück. Die Anschuldigungen wegen Ketzerei
waren immer wirkungsvoll und einschüchternd und sicherten den
Männern ihre dominante Stellung. Unterwürfige Frauen, die sich auf
Heim und Herd beschränkten, wollten die Kirchenherrn und keine ihnen
ebenbürtigen Theologinnen – die ihnen vielleicht sogar
intellektuell überlegen sein können. Dieses Risiko konnte man nicht
eingehen!
Traurigerweise
muss man sagen, dass sich bis heute in weiten Teilen des Christentums
nichts an der Männerdominanz, die sich auf herausgepickte, aus dem
Zusammenhang gerissene Bibelstellen beruft, geändert hat. Aber Jesus
zu ignorieren, um patriachalische Strukturen abzusichern, ist eine
riskante Sache, wenn man die Lehre Jesu ernst nimmt. Denn unser
Messias warnt: „Ich sage euch aber, dass die
Menschen Rechenschaft geben müssen am Tag des Gerichts von jedem
nichtsnutzigen Wort, das sie geredet haben.“ (Matthäus
12,36) Also ist es hilfreich, nochmals in den Evangelien
nachzulesen, wie Jesus die Rollenverteilung der Geschlechter sieht,
besser gesagt, dass er sie nicht sieht.
Und
was soll uns Frauen, egal welcher Konfession, daran hindern, das
„Herrenwort“ über die persönliche Bibelauslegung rückständiger
Kirchenmänner zu stellen?
sehr interessant und gehört gesagt, denn hören tut man von solchen Taten nichts. Ich fnde es wichtig, dass man von solchen Geschehnissen in Kenntnis gesetzt wird!
AntwortenLöschen