Sonntag, 19. November 2017


Das Gleichnis vom 
verlorenen Schaf

Ein Gott, der sich um Menschen bemüht - wie Jesus ihn verkündete - war in der Antike etwas völlig Neues. In allen Kulturen und Religionen kannte man es nur umgekehrt: die Gottheit bzw. die Götter herrschten absolut über die Welt und verlangten von ihren irdischen Geschöpfen Unterwürfigkeit und Dienstbarkeit. Die Menschen mussten sich durch Opferungen in den Tempeln die Gunst der im Himmel thronenden Götter erkaufen. Es war eine Win-Win-Situation: gibst du der Gottheit, gibt sie auch dir!

Auch das Judentum praktizierte es so, nicht nur durch Tieropfer im Tempel von Jerusalem, sondern auch durch die rigorose Befolgung der Reinheits- und Kultgebote. Die Pharisäer predigten den Gläubigen, dass Gott ihnen nur dann gewogen ist, wenn sie seine Vorschriften streng einhielten.
Doch dann kam Jesus, der Rabbi aus Nazareth, und verkündete genau das Gegenteil. Er sprach vom Gott der Liebe, den solche Gehorsamsleistungen nicht interessieren. Die Menschenmenge um Jesus herum horchte erstaunt auf.

Damit seine Anhänger verstanden, was er meinte, erzählte Jesus ihnen ein Gleichnis aus ihrer Lebenswelt: „Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eins von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er‘s findet? Und wenn er‘s gefunden hat, so legt er sich‘s auf die Schultern voller Freude. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war!“ (Lukas 15,4-6)

Dieses Beispiel verstanden alle. Das Bild vom besorgten Schafhirten war allen Zuhörern geläufig. Schließlich gehörte die Kleintierzucht mit Schafen zu den Haupteinnahmequellen galiläischer Bauern. Schon die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob waren als Nomaden mit ihren Herden durch Kanaan gezogen.

Jedes einzelne Tier war für den Besitzer wertvoll, deshalb achtete er darauf, keines zu verlieren. Und darin liegt der tiefere Sinn dieser Geschichte. Die Schafe sind wir Menschen, der Besitzer Gott, unser Schöpfer. Seine Liebe gehört ausnahmslos allen Erdbewohnern und lässt sich auch nicht durch unsere Sünden und unser Fehlverhalten zum Erlöschen bringen. Und aufgrund dieser Liebe will Gott, dass alle Menschen nach der Apokalypse in sein Himmelreich eingehen. Er will keines seiner Geschöpfe verlieren, sondern am Ende der Zeit sicher in sein Reich hinein bringen. Deshalb ergreift Gott die Initiative und bemüht sich, auch jene zurückzugewinnen, die sich auf Abwegen verirrt haben: die nicht mehr an ihn glauben; die sich anderen Gottheiten zugewandt haben; die das Evangelium als veraltet ablehnen.

Die Aufgabe, die Schafe am Ende des Tages sicher nach Hause in den Stall zu bringen, fiel dem Hirten zu, den der Besitzer engagiert hatte. Zu seinem Hirten hat Gott Jesus bestimmt: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.“ (Johannes 3,16.17). Der Messias soll durch die Verkündigung des Evangeliums den vom rechten religiösen Weg Abgekommenen zeigen, wie sie zu Gott zurückfinden können. Und auch wenn dies ein längerer Entwicklungsprozess ist, wartet Gott voller Geduld: „So wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.“ (Lukas 15,7) Für Gott entscheidend ist die Gesinnung und nicht die kultische Leistung. „Dein Glaube hat dir geholfen!“ versicherte Jesus immer jenen, die sich mit einem Anliegen an ihn gewandt hatten.

Ein Gott der Liebe ist aber nicht nur eine Beruhigung, um beim Jüngsten Gericht bestehen und ins Paradies eingehen zu können. Gottes Liebe erschöpft sich nicht im Hinblick auf das ewige Leben, sondern bietet uns Schutz und Geborgenheit und Zuversicht in unserer unsicheren Welt. Der christliche Glaube ist das Fundament eines ganzheitlichen Lebens: das Vertrauen auf Jesus Christus nimmt uns die Angst, Leistungsansprüche von Gott und Gesellschaft nicht erfüllen zu können, weil diese durch das Evangelium keine Bedeutung mehr haben. Und in weiterer Folge verändert diese Einstellung auch das Zusammenleben der Menschen, weil auch hier nicht entscheidend ist, der Beste und Reichste zu sein: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ (Johannes 13,34.35)

Gott nimmt uns so an, wie wir sind, wir müssen uns nicht als Supergläubige unter Beweis stellen. Wir dürfen ohne Druck aber mit großer Freude Christen sein: „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! (Johannes 14,1) Um den Glauben sollen wir uns bemühen im Vertrauen darauf, dass uns Gott dem besten Hirten anvertraut hat, den es geben kann, nämlich Jesus Christus: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“ (Johannes 10,27.28)


1 Kommentar:

  1. Der Beitrag ist super, sehr schön und anregend zum Nachdenken. Ich habe mich gleich wohl gefühlt, und von Gott aufgehoben nachdem ich fertig gelesen hatte.

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