Das
Gleichnis vom verlorenen Sohn
(Lukas
15,11-32)
Ein
Bauer hatte zwei Söhne. Beide arbeiteten fleißig am Hofe des Vaters
mit, doch zufrieden mit seinem Leben war nur der Ältere. Der jüngere
Sohn lehnte sich gegen die Tradition auf und bestand darauf, sich
außerhalb des elterlichen Betriebes ein eigenes Leben aufzubauen.
Bekanntlich geht das mit einer finanziellen Starthilfe leichter, und
deshalb verlangte der junge Mann die Auszahlung seines Erbteiles.
Schweren Herzens willigte der Bauer ein und ließ sein geliebtes Kind
ziehen. Er wollte ihn nicht zu einem Leben zwingen, das dieser nicht
freiwillig und gerne führen wollte.
Es
zeigte sich, dass der jüngere Sohn zwar wusste, was er nicht wollte,
aber keinen Plan hatte, was er statt dessen Sinnvolles anfangen
konnte. Sein Scheitern ließ nicht lange auf sich warten: „Und
er zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit
Prassen.“ (Lukas 15,13b) Er ließ sich treiben und
verbrachte seine Tage mit Spaß und Vergnügungen. Wie anders war das doch
als die tägliche Plackerei auf den Feldern des Vaters mit seinen
Einschränkungen und Verpflichtungen!
Aber
es war nur eine Frage der Zeit, bis er sein Geld aufgebraucht hatte
und Not litt. Um nicht zu verhungern, nahm er in seiner Verzweiflung
eine niedrige Arbeit an: „Er ging hin und
hängte sich an einen Bürger jenes Landes, der ihn
auf seinen Acker schickte, um die
Schweine zu
hüten.“ (Lukas 15,15) Sein Sturz war tief - und der jüngere
Sohn begriff es. Was für ein abgesichertes Leben unter der Leitung
seines verantwortungsvollen Vaters hatte er bloß aufgegeben? Und
während der junge Mann enttäuscht und traurig im Schweinekobel saß,
sehnte er sich nach der Liebe und Geborgenheit seines Vaterhauses
zurück. Jetzt erst wurde ihm bewusst, warum es in seinem Elternhaus
allen gut ging: weil jeder etwas gab und etwas bekam. In dieser
Gemeinschaft waren alle füreinander da, und der Vater kümmerte sich
darum, dass es funktionierte.
Sollte
der Sohn es wagen, zurückzukehren? Der junge Mann bereute seinen
Weggang sehr, aber würde ihm der Vater verzeihen? Er hatte sich
schließlich ziemlich großkotzig verabschiedet und den Vater auch
noch um viel Geld gebracht. So hoffte er, dass er wenigstens als
Tagelöhner wieder Zuhause leben durfte. Er warf sich dem Vater voller Reue zu Füßen: „Ich
habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht
mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.“ (Lukas 15,21) Aber
der Vater empfing ihn nicht mit Vorwürfen und Kälte, sondern hob
ihn auf, fiel ihm um den Hals und küsste ihn erleichtert: sein Kind
war zurückgekehrt, und nichts Anderes zählte für ihn: „Dieser
mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren
und ist gefunden worden.“ (Lukas 15,24)
Der
alte Bauer ist so außer sich vor Freude, dass er sie mit seinem
ganzen Haus teilen will. Er lässt ein gemästetes Kalb schlachten
und ein großes Festessen ausrichten. Aber dann kommt ein Misston in
die Feierstimmung: der ältere Sohn, der die ganze Zeit brav Zuhause
geschuftet hatte, kehrte von der Feldarbeit nach Hause und teilte die
Wiedersehensfreude seines Vaters keineswegs. Verbittert hielt er ihm
vor: „Siehe, so viele Jahre diene ich dir und
habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock
gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre. Nun
aber, da dieser Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren
verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet.“
(Lukas 15,29.30)
Der
Vater ließ die Vorwürfe des älteren Sohnes nicht gelten und
erinnerte ihn daran, dass er stets gut für ihn gesorgt habe: „Mein
Sohn, du bist alle Zeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist
dein.“ (Lukas 15,31) Er forderte ihn auf, sich über die
Rückkehr des Bruders zu freuen, denn die Großzügigkeit gegenüber
dem reumütigen Heimkehrer würde keineswegs bedeuten, dass er, der
ältere, in Hinkunft weniger bekommen werde. Es sei genug für alle
da, sowohl materielle Werte als auch Liebe.
Jesus
lässt es in seinem Gleichnis offen, ob der ältere Sohn zum Fest
geht und den Bruder willkommen heißt oder ob er sich grollend und
eifersüchtig zurückzieht. Jesus überlässt es jedem einzelnen von
uns, sich sein Urteil zu bilden und danach zu handeln. Dass der Rabbi
aus Nazareth hofft, dass wir uns den Vater zum Vorbild nehmen, kommt
auch so klar heraus. Sehen wir das auch so? Vermutlich werden wir in
einer ersten Gefühlsaufwallung empört dem älteren Bruder Recht
geben und den Vater als ungerecht verurteilen. Weiß der denn nicht
zu schätzen, was sein erstgeborener Sohn all die Jahre für ihn
getan hat? Doch, das weiß er, würde uns Jesus antworten. Nur weil
der Vater sich über die Rückkehr des jüngeren Sohnes freut, wertet
er nicht die Beständigkeit und Treue des älteren ab.
Seine
Liebe gilt beiden – so wie auch Gottes Liebe für alle Menschen
reicht, die beständigen und die untreuen. Oft ist die Verlockung,
ein freizügiges Leben ohne Gottes Gebote zu führen, zu groß, um
ihr widerstehen zu können. Aber auch wenn sich Menschen von Gott
abwenden, tut er dasselbe nicht. Er hält eine bedingungslose
Rückkehrmöglichkeit für jeden Menschen offen, der sich aus
Eigennutz oder irregeleiteter Ideale von ihm entfernt hat. „So
wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße
tut!“ (Lukas 15,10)
Bereits
in der Alten Kirche kam es zu einer Situation wie in dem Gleichnis
vom verlorenen Sohn. Und wegen der unversöhnlichen Haltung einiger,
die sich wie der ältere Bruder benachteiligt fühlten, kam es zu
einer Kirchenabspaltung. Der erste römische Kaiser, der mit der
systematischen Verfolgung der Christen begann, was Decius, der von
249-251 regierte. Er erließ im Jahre 250 eine Verordnung, die es
jedem Bewohner im Römischen Reich vorschrieb, einmal im Jahr vor der
Statue eines vergöttlichten Kaisers ein Opfer darzubringen. Wer sich
weigerte, wurde hingerichtet. Für die junge Kirche war dies eine
unerfüllbare Forderung. Es gab viele tapfere Märtyrer, viele waren
geflohen und lebten im Verborgenen. Aber sehr viele Christen beugten
sich aus Todesangst dem Befehl des Kaisers und fielen von Jesus ab.
Als nach dem Tod des Herrschers das Edikt aufgehoben wurde, wollten
die Abgefallenen wieder in die Kirche zurückkehren. Dagegen regte
sich der Widerstand jener, die ihrem Glauben in der Gefahr treu
geblieben waren. Sollten jetzt die Feiglinge wieder einfach
zurückkehren dürfen? Cyprian, der Bischof von Karthago (gestorben
258) erklärte die Wiederaufnahme nach einem strengen Bußverfahren
für möglich, weil Jesus stets gefordert hatte, dass man verzeihen
muss. Diese Position setzte sich in der Kirche durch, und das ist
richtig so, weil Jesus es gelehrt hat. „Seid
barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“
(Lukas 6,36)
Aber
die „Reinen“ (wie sich die Standhaften nannten) unter der Führung
des römischen Presbyters Novatian anerkannten die Barmherzigkeit
gegenüber den reuevollen Schwachen nicht und spalteten sich ab. Sie
beharrten in ihrer Selbstgerechtigkeit darauf, dass alle Sünder aus
der christlichen Gemeinschaft für immer auszuschließen seien. Sie
ignorierten die Worte, die Jesus zu den Anklägern der Ehebrecherin
gesagt hatte: „Wer unter euch ohne Sünde
ist, der werfe den ersten Stein.“ (Johannes 8,7)
In
welcher Gesellschaft wollen wir leben? In einer, die vom Verhalten
des Vaters geprägt ist, oder in einer, die wie der ältere Sohn
reagiert? Kein Mensch ist perfekt – da ist es doch beruhigend zu
wissen, dass man Fehler wieder gut machen kann. Die
Vergebungsbereitschaft ist das entscheidende Kriterium, an dem Gott
uns Christen am Ende der Zeit messen wird: „Richtet
nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn nach welchem Recht ihr
richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt,
wird euch zugemessen werden.“ (Matthäus 7,1.2)
Neid
und Missgunst dürfen in der Kirche Jesu Christi keinen Platz
haben. Sie höhlen die Gemeinschaft aus, die auf Nächstenliebe und
Barmherzigkeit aufgebaut ist und zerstören sie letztendlich. Dem entgegen zu wirken ist die Aufgabe von uns allen, die wir die Nachfolge
unseres Herrn Jesus Christus ernst nehmen. So wie es einst der Apostel Paulus getan hat, der sein ganzes Leben in den Dienst des Evangeliums gestellt hat –
und dessen Worte uns auch heute Mut machen: „Wachet,
steht im Glauben, seid mutig und stark! Alle eure Dinge lasst in der
Liebe geschehen.“ (1 Korintherbrief 16,13.14)
ein sehr anregender Beitrag zum Nachdenken :) sehr schön geschrieben!
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