Sonntag, 14. Juli 2019


Das Gleichnis vom verlorenen Sohn
(Lukas 15,11-32)

Ein Bauer hatte zwei Söhne. Beide arbeiteten fleißig am Hofe des Vaters mit, doch zufrieden mit seinem Leben war nur der Ältere. Der jüngere Sohn lehnte sich gegen die Tradition auf und bestand darauf, sich außerhalb des elterlichen Betriebes ein eigenes Leben aufzubauen. Bekanntlich geht das mit einer finanziellen Starthilfe leichter, und deshalb verlangte der junge Mann die Auszahlung seines Erbteiles. Schweren Herzens willigte der Bauer ein und ließ sein geliebtes Kind ziehen. Er wollte ihn nicht zu einem Leben zwingen, das dieser nicht freiwillig und gerne führen wollte.

Es zeigte sich, dass der jüngere Sohn zwar wusste, was er nicht wollte, aber keinen Plan hatte, was er statt dessen Sinnvolles anfangen konnte. Sein Scheitern ließ nicht lange auf sich warten: „Und er zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen.“ (Lukas 15,13b) Er ließ sich treiben und verbrachte seine Tage mit Spaß und Vergnügungen. Wie anders war das doch als die tägliche Plackerei auf den Feldern des Vaters mit seinen Einschränkungen und Verpflichtungen!

Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis er sein Geld aufgebraucht hatte und Not litt. Um nicht zu verhungern, nahm er in seiner Verzweiflung eine niedrige Arbeit an: „Er ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes, der ihn auf seinen Acker schickte, um die Schweine zu hüten.“ (Lukas 15,15) Sein Sturz war tief - und der jüngere Sohn begriff es. Was für ein abgesichertes Leben unter der Leitung seines verantwortungsvollen Vaters hatte er bloß aufgegeben? Und während der junge Mann enttäuscht und traurig im Schweinekobel saß, sehnte er sich nach der Liebe und Geborgenheit seines Vaterhauses zurück. Jetzt erst wurde ihm bewusst, warum es in seinem Elternhaus allen gut ging: weil jeder etwas gab und etwas bekam. In dieser Gemeinschaft waren alle füreinander da, und der Vater kümmerte sich darum, dass es funktionierte.

Sollte der Sohn es wagen, zurückzukehren? Der junge Mann bereute seinen Weggang sehr, aber würde ihm der Vater verzeihen? Er hatte sich schließlich ziemlich großkotzig verabschiedet und den Vater auch noch um viel Geld gebracht. So hoffte er, dass er wenigstens als Tagelöhner wieder Zuhause leben durfte. Er warf sich dem Vater voller Reue zu Füßen: „Ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.“ (Lukas 15,21) Aber der Vater empfing ihn nicht mit Vorwürfen und Kälte, sondern hob ihn auf, fiel ihm um den Hals und küsste ihn erleichtert: sein Kind war zurückgekehrt, und nichts Anderes zählte für ihn: „Dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden.“ (Lukas 15,24)


Der alte Bauer ist so außer sich vor Freude, dass er sie mit seinem ganzen Haus teilen will. Er lässt ein gemästetes Kalb schlachten und ein großes Festessen ausrichten. Aber dann kommt ein Misston in die Feierstimmung: der ältere Sohn, der die ganze Zeit brav Zuhause geschuftet hatte, kehrte von der Feldarbeit nach Hause und teilte die Wiedersehensfreude seines Vaters keineswegs. Verbittert hielt er ihm vor: „Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre. Nun aber, da dieser Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet.“ (Lukas 15,29.30)

Der Vater ließ die Vorwürfe des älteren Sohnes nicht gelten und erinnerte ihn daran, dass er stets gut für ihn gesorgt habe: „Mein Sohn, du bist alle Zeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein.“ (Lukas 15,31) Er forderte ihn auf, sich über die Rückkehr des Bruders zu freuen, denn die Großzügigkeit gegenüber dem reumütigen Heimkehrer würde keineswegs bedeuten, dass er, der ältere, in Hinkunft weniger bekommen werde. Es sei genug für alle da, sowohl materielle Werte als auch Liebe. 

Jesus lässt es in seinem Gleichnis offen, ob der ältere Sohn zum Fest geht und den Bruder willkommen heißt oder ob er sich grollend und eifersüchtig zurückzieht. Jesus überlässt es jedem einzelnen von uns, sich sein Urteil zu bilden und danach zu handeln. Dass der Rabbi aus Nazareth hofft, dass wir uns den Vater zum Vorbild nehmen, kommt auch so klar heraus. Sehen wir das auch so? Vermutlich werden wir in einer ersten Gefühlsaufwallung empört dem älteren Bruder Recht geben und den Vater als ungerecht verurteilen. Weiß der denn nicht zu schätzen, was sein erstgeborener Sohn all die Jahre für ihn getan hat? Doch, das weiß er, würde uns Jesus antworten. Nur weil der Vater sich über die Rückkehr des jüngeren Sohnes freut, wertet er nicht die Beständigkeit und Treue des älteren ab.

Seine Liebe gilt beiden – so wie auch Gottes Liebe für alle Menschen reicht, die beständigen und die untreuen. Oft ist die Verlockung, ein freizügiges Leben ohne Gottes Gebote zu führen, zu groß, um ihr widerstehen zu können. Aber auch wenn sich Menschen von Gott abwenden, tut er dasselbe nicht. Er hält eine bedingungslose Rückkehrmöglichkeit für jeden Menschen offen, der sich aus Eigennutz oder irregeleiteter Ideale von ihm entfernt hat. „So wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut!“ (Lukas 15,10)

Bereits in der Alten Kirche kam es zu einer Situation wie in dem Gleichnis vom verlorenen Sohn. Und wegen der unversöhnlichen Haltung einiger, die sich wie der ältere Bruder benachteiligt fühlten, kam es zu einer Kirchenabspaltung. Der erste römische Kaiser, der mit der systematischen Verfolgung der Christen begann, was Decius, der von 249-251 regierte. Er erließ im Jahre 250 eine Verordnung, die es jedem Bewohner im Römischen Reich vorschrieb, einmal im Jahr vor der Statue eines vergöttlichten Kaisers ein Opfer darzubringen. Wer sich weigerte, wurde hingerichtet. Für die junge Kirche war dies eine unerfüllbare Forderung. Es gab viele tapfere Märtyrer, viele waren geflohen und lebten im Verborgenen. Aber sehr viele Christen beugten sich aus Todesangst dem Befehl des Kaisers und fielen von Jesus ab. Als nach dem Tod des Herrschers das Edikt aufgehoben wurde, wollten die Abgefallenen wieder in die Kirche zurückkehren. Dagegen regte sich der Widerstand jener, die ihrem Glauben in der Gefahr treu geblieben waren. Sollten jetzt die Feiglinge wieder einfach zurückkehren dürfen? Cyprian, der Bischof von Karthago (gestorben 258) erklärte die Wiederaufnahme nach einem strengen Bußverfahren für möglich, weil Jesus stets gefordert hatte, dass man verzeihen muss. Diese Position setzte sich in der Kirche durch, und das ist richtig so, weil Jesus es gelehrt hat. „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ (Lukas 6,36)
Aber die „Reinen“ (wie sich die Standhaften nannten) unter der Führung des römischen Presbyters Novatian anerkannten die Barmherzigkeit gegenüber den reuevollen Schwachen nicht und spalteten sich ab. Sie beharrten in ihrer Selbstgerechtigkeit darauf, dass alle Sünder aus der christlichen Gemeinschaft für immer auszuschließen seien. Sie ignorierten die Worte, die Jesus zu den Anklägern der Ehebrecherin gesagt hatte: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ (Johannes 8,7)

In welcher Gesellschaft wollen wir leben? In einer, die vom Verhalten des Vaters geprägt ist, oder in einer, die wie der ältere Sohn reagiert? Kein Mensch ist perfekt – da ist es doch beruhigend zu wissen, dass man Fehler wieder gut machen kann. Die Vergebungsbereitschaft ist das entscheidende Kriterium, an dem Gott uns Christen am Ende der Zeit messen wird: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden.“ (Matthäus 7,1.2)

Neid und Missgunst dürfen in der Kirche Jesu Christi keinen Platz haben. Sie höhlen die Gemeinschaft aus, die auf Nächstenliebe und Barmherzigkeit aufgebaut ist und zerstören sie letztendlich. Dem entgegen zu wirken ist die Aufgabe von uns allen, die wir die Nachfolge unseres Herrn Jesus Christus ernst nehmen. So wie es einst der Apostel Paulus getan hat, der sein ganzes Leben in den Dienst des Evangeliums gestellt hat – und dessen Worte uns auch heute Mut machen: „Wachet, steht im Glauben, seid mutig und stark! Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.“ (1 Korintherbrief 16,13.14)

1 Kommentar:

  1. ein sehr anregender Beitrag zum Nachdenken :) sehr schön geschrieben!

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