Samstag, 2. November 2019


Jesus und Philippus


Jesus stand am Anfang seines öffentlichen Wirkens. Noch kannte ihn kaum jemand. Aber er hatte bereits seine Familie in Nazareth verlassen, um den Menschen von der Liebe Gottes zu predigen. Bevor er jedoch öffentlich auftrat, ging er an den Jordan zu Johannes dem Täufer, der am Ufer des Flusses die Leute zum religiösen Neubeginn aufrief: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ (Matthäus 3,2) 

Als sichtbares Zeichen ihrer Umkehrbereitschaft ließen sich die Menschen von ihm symbolisch mit Wasser von ihrem alten Leben reinigen. Zum Täufer waren aber nicht nur Gläubige gekommen, die wieder nach Hause zurückkehrten, sondern es hatten sich ihm auch Jünger angeschlossen. Diese sahen seine Reaktion, als Jesus hinzu trat: „Siehe, das ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Dieser ist‘s, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich!“ (Johannes 1,29.30) Die Jünger des Johannes begriffen sofort, dass er von der Messiasprophezeiung des alttestamentlichen Sehers Jesaja sprach: „Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn.“ (Jesaja 11,1.2a)

Zwei dieser Männer, die dem Täufer zugehört hatten, waren neugierig geworden und wollten Jesus näher kennnenlernen. Sie gingen zu ihm, und als Jesus sie einlud, bei ihm zu bleiben und sich ihm als seine Jünger anzuschließen, erklärten sie sich sofort bereit dazu. Es waren die beiden Brüder Andreas und Simon Petrus. Für sie stand fest: „Wir haben den Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte.“ (Johannes 1,41) Sie sollten nicht die einzigen Jünger bleiben, die Jesus auf dem Weg zurück nach Galiläa begleiteten. Unterwegs „findet er Philippus und spricht zu ihm: Folge mir nach“ (Johannes 1,43)

Dass er dem verheißenen Messias gegenüberstand, das erkannte auch Philippus sofort. Er beschloss, wie Andreas und Simon Petrus vor ihm, bei Jesus zu bleiben und mit ihm nach Galiläa zu gehen. Zuvor wollte er aber noch Nathanael, einen Bekannten oder auch Freund (von einem Verwandtschaftverhältnis wird in den Evangelien nichts berichtet), die großartige Nachricht überbringen: „Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth.“ (Johannes 1,45) Philippus pries also nicht irgendeinen Prediger mit großem Charisma an, sondern den ersehnten Erlöser, den Gott dem Volk Israel versprochen hatte. Aber theologisch gebildet war auch Nathanael. Klar wusste jeder in Israel über die Messiasprophezeiung des Jesaja Bescheid, aber jeder wusste auch, dass der erwartete Messias aus der Geburtsstadt Davids kommen sollte: und das war Bethlehem und nicht Nazareth. Deshalb reagierte Nathanael ablehnend: „Was kann aus Nazareth Gutes kommen!“ (Johannes 1,46) Aber als der euphorische Philippus nicht locker ließ, ging er mit, um sich den hochgepriesenen Prediger anzuschauen. 

Die Begegnung verlief jedoch anders, als Nathanael es erwartet hatte: „Jesus sah ihn kommen und sagte von ihm: Siehe, ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist.“ (Johannes 1,47) Großes Erstaunen bei dem jungen Mann! Woher weiß der Rabbi das? Aber Jesus fuhr fort: „Bevor Philippus dich rief, als du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich.“ (Johannes 1,48) 

Und plötzlich begriff Nathanael, dass nicht der Herkunftsort darüber entscheidet, ob Jesus der Messias ist oder nicht, sondern seine Taten, die nur der von Gott Gesandte vollbringen konnte. Und so pflichtete er Philippus bei und sagte ehrfürchtig zu Jesus: „Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel.“ (Johannes 1,49)

Ob Nathanael mit Jesus mitging und ihn auf seinen Wanderungen begleitete, ist unbekannt, denn nach dieser Begebenheit wurde sein Name nicht mehr erwähnt. Zum Unterschied von Philippus, der in den Aufzählung der 12 Jünger in den ersten drei Evangelien immer zusammen mit einem Bartholomäus, über den aber keine näheren Angaben vorliegen, genannt wird (Matthäus 10,3; Markus 3,18; Lukas 6,14). Und von Philippus erfahren wir Biographisches: „Er war aus Bethsaida, der Stadt des Andreas und Petrus.“ (Johannes 1,44) In den Evangelien wird nicht über alle 12 Jünger gleich viel Auskunft gegeben. Aber einige der namentlich genannten, die eine größere Rolle spielten, eben die Brüder Simon Petrus und Andreas sowie die Zebedäusbrüder Johannes und Jakobus und natürlich Judas Ischariot zeigen uns, dass auch Jünger keine perfekten Gläubige waren. Und das trifft auch auf Philippus zu, der zwar Jesus nachgefolgt ist, weil er in ihm den Messias erkannt hat, aber dann doch die Tragweite dieser Tatsache nicht ganz begriffen hat.

Der Evangelist Johannes berichtet, dass bei der Speisung der Fünftausend Jesus den Philippus auf die Probe stellte: „Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?“ (Johannes 6,5) Philippus gab ihm eine Antwort, die zeigte, dass er weltlich dachte und erst einmal das vorhandene Geld zählte: „Für 200 Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder ein wenig bekomme.“ (Johannes 6,7) Eigentlich wollte Jesus eine andere Antwort hören, eine, die ihm gezeigt hätte, dass sein Jünger ihm als Messias eine Lösung zugetraut hätte. Sie kam auch, bekanntlich ließ Jesus seinen Jünger Philippus nicht in den nächsten Ort gehen, um Essen um die 200 Silbergroschen zu kaufen. Der Rabbi ließ die Vorräte, die einige Leute mitgebracht hatten, in Körbe einsammeln und dann neu verteilen: und siehe, es blieben sogar noch Reste übrig, nachdem alle satt geworden waren. Das war wiederum ein Zeichen dafür, dass Jesus von Nazareth nicht ein einfacher Prediger war, sondern der Sohn Gottes: „Als nun die Menschen das Zeichen sahen, das Jesus tat, sprachen sie: Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll.“ (Johannes 6,14)

Die Antwort von Philippus nach dem Speisewunder ist nicht überliefert, aber irgendwie haftet der Zweifel an ihm. Immer wieder fällt er dadurch auf. Eines Tages erzählte Jesus folgendes Gleichnis, um den Zuhörern seine Bedeutung für die Menschen deutlich zu machen: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich!“ (Johannes 14,6) Und als er geendet hatte, trat ausgerechnet sein Jünger Philippus mit der Forderung auf: „Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns.“ (Johannes 14,8) Jesus war enttäuscht: „Solange bin ich bei euch, und du kennst mich nicht, Philippus? Wer mich sieht, der sieht den Vater. Wie sprichst du dann: Zeige uns den Vater?“ (Johannes 14,9)

Das Beispiel von Philippus zeigt auch, wie schwer es selbst jenen fiel, an Jesus als den Messias zu glauben, die zu seiner persönlichen Anhängerschaft zählten. Wenn einem das Unglaubliche passiert und eine so entscheidende, religiöse Prophezeiung in Erfüllung geht, ist das für den menschlichen Verstand ein harter Brocken. Schließlich scheint man es nicht unmittelbar beweisen zu können, alles klingt so unwirklich. Aber wie der Evangelist Johannes nicht müde wird zu betonen, muss man bei den Werken ansetzen, die Jesus von Nazareth als Sohn Gottes vollbrachte: „Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht von mir selbst aus. Und der Vater, der in mir wohnt, der tut seine Werke durch mich.“ (Johannes 14,10)  

Und am Ende seines irdischen Wirkens erbrachte Jesus den ultimativen Beweis für seine Messianität: er überwand den Tod und kehrte nach drei Tagen im Grab ins Leben zurück. Es war ein überwältigendes Ereignis, das auch für seine Jünger alles in den Schatten stellte, was sie bisher mit ihrem Rabbi erlebt hatten. Aber unglaubwürdig erschien die Auferstehung Jesu weder seinen Anhängern noch den vielen Zeitgenossen, die Jesus am Kreuz hatten sterben sehen und sich jetzt zu Pfingsten (nur 50 Tage später) auf seinen Namen taufen ließen. Sie begriffen die Hoffnung, die Gott ihnen durch die Auferstehung Jesu zugesagt hatte. Und sie vertrauten auf die Botschaft, die Jesus in Galiläa verkündet hatte: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“ (Johannes 11,25.26) - weil auf ihn das ewige Leben in Reich Gottes wartet.


1 Kommentar:

  1. Ein sehr schöner und spannender Beitrag! Es ist interessant mal von einem Jünger zu lesen, von dem sonst kaum die Rede ist. Ich fand es auch sehr spannend, dass durch Phillipus gezeigt wird, wie klein der menschliche Verstand sein kann. Ich denke, es fällt uns Menschen durchaus schwer.

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