Sonntag, 11. November 2018


Von den Arbeitern im Weinberg
(Matthäus 20,1-16)

Die Zeit der Weinlese war gekommen. Der Besitzer des Weinbergs sah erfreut, dass ihm eine reiche Ernte ins Haus stand – aber dafür brauchte er Arbeiter, die sie einbrachten. So ging er schon am frühen Morgen hinaus auf den Marktplatz, um Männer anzuwerben: „Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in den Weinberg.“ (Matthäus 20,2) Fleißig gingen sie ans Werk.

Der Besitzer des Weinberges fand aber, dass die Weinstöcke, an denen so reichlich die reifen Trauben hingen, noch mehr Arbeiter nötig machten: Und er ging um die dritte Stunde und sah andere müßig auf dem Markt stehen und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe.“ (Matthäus 20,3-5) Und obwohl es schon die elfte Stunde war, schickte der Besitzer noch ein letztes Mal zusätzliche Männer hinaus zur Weinlese.

Dann war die Arbeit getan, und die gepflückten Trauben lagen in den Bottichen. Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde eingestellt waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen.“ (Matthäus 20,8.9) Diese Vorgangsweise löste bei den Wartenden große Hoffnungen auf Besserstellung bei der Bezahlung aus: „Als aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und auch sie empfingen ein jeder seinen Silbergroschen.“ (Matthäus 20,10) So wurden sie in ihren Erwartungen enttäuscht, doch nicht betrogen: der Besitzer gab ihnen, was ausgemacht war. Und obwohl die Männer am Morgen mit dem Silbergroschen einverstanden gewesen waren, empfanden sie sich jetzt als Benachteiligte. Denn dass nun alle Arbeiter den gleichen Lohn empfingen, egal wie lange sie sich im Weinberg abgemüht hatten, sorgte für beleidigtes Gemurre unter jenen Männern, die schon in der Früh mit der Ernte begonnen hatten. Sie beschuldigten den Besitzer der Ungerechtigkeit: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben.“ (Matthäus 20,12)

Nach menschlichem Ermessen haben diese Arbeiter tatsächlich Recht: wer mehr leistet, muss auch Anspruch auf ein höheres Gehalt haben. Sofort stellt sich bei den Lesern dieser Textstelle Mitgefühl mit den unzufriedenen Männern ein, die seit dem Morgen schwer geschuftet haben und nun mit derselben Summe abgespeist werden wie diejenigen, die erst kurz vor dem Ende dazu gekommen sind. Doch der Weinbergbesitzer weist den Vorwurf der Ungerechtigkeit mit deutlichen Worten zurück: „Und er sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tue dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem letzten dasselbe geben wie dir!“ (Matthäus 20,13.14)

In Zeiten wie den unseren, in denen der Profit das erstrebenswerte Ideal ist, ist den murrenden Arbeitern unsere Solidarität gewiss und ebenso dem „ungerechten“ Besitzer die Empörung. Aber die Geschichte von den Arbeitern im Weinberg ist keine Sozialreportage, die die Ausbeutung eines Kapitalisten anprangern will, sondern eines der zahlreichen Gleichnisse vom Reich Gottes, die Jesus erzählt hat. Und diesen tieferen Sinn machte Jesus bereits in der Einleitung klar: Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen.“ (Matthäus 20,1)

Was uns Jesus damit sagen will, ist, dass für Gott andere Werte gelten als für die menschliche Gesellschaft: Neid, Missgunst und Eifersucht haben bei Gott keinen Platz – deshalb lässt Jesus den Weinbergbesitzer zu den aufgebrachten Arbeitern sagen: Habe ich nicht die Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin?“ (Matthäus 20,15) Gottes „Geschäftsmodell“ weicht klar von den üblichen in der Arbeitswelt ab, die wir heute kennen: Güte statt Profitsucht – wäre das nicht ein Gewinn für alle auch in der irdischen Welt?


Gott sagt jedem Menschen die Chance auf das Paradies zu. Seine Einladung hat kein zeitliches Limit im irdischen Leben (erst mit dem Tod ist die Sache gelaufen). Ob man früher oder später zu Gott findet, ist nicht das Entscheidende, sondern wichtig ist, Gottes Einladung anzunehmen. So wie der Hausherr des Weinberges nicht müde wird, Arbeiter in seinen Weinberg zu rufen, so gibt Gott keinen Menschen verloren und lässt seit Jesu Wirken das Evangelium immer aufs Neue verkünden. Solange die Apokalypse nicht eingetreten ist, bleibt für jeden Menschen noch Zeit, das Evangelium anzunehmen und Jesus nachzufolgen. Und so wie Gott sich über jeden Menschen freut, der kehrt macht und zum christlichen Glauben findet, so sollen sich all jene Christen, die schon lange nach dem Wort Gottes leben, darüber freuen, dass wieder jemand den Lohn Gottes – das Paradies – erhalten wird. Für eine Denkweise, die Ärger darüber verrät, dass alle mit demselben Himmelreich belohnt werden, sowohl die, die sich ein ganzes Leben lang um Gott bemühen, als auch die, die nur eine kurze Zeitspanne vor dem Weltuntergang zu Jesus gefunden haben, ist im Christentum kein Platz – für Neid, Missgunst und Eifersucht darf bei allem Verständnis menschlicher Gefühle kein Platz sein.

Jesus will uns mit diesem Gleichnis deutlich machen, dass vor Gott eine andere Gerechtigkeit gilt als vor den Menschen. Statt neidisch auf die Erfolge der anderen zu blicken und sich benachteiligt zu fühlen, erwartet Jesus von uns Christen, dass wir uns mitfreuen, wenn unseren Nächsten etwas Gutes gelingt. Um den missgünstigen Arbeitern, die ihren Kollegen nicht denselben Lohn vergönnen, eine Lektion zu erteilen, ruft ihnen der Besitzer des Weinberges noch zu: „So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein!“ (Matthäus 20,16) Wir sollten nicht müde werden, uns an Gottes Güte ein Vorbild zu nehmen - dann wird die christliche Gemeinschaft allen Freude bereiten. 


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