Samstag, 13. Oktober 2018


Martha und Maria

Jesus kam auf seiner Wanderung durch Galiläa mit seinen Jüngern eines Tages in ein kleines Dorf. Dort lebten zwei Schwestern, die Anhängerinnen von ihm waren. Begeistert luden sie ihn ein, Gast in ihrem Haus zu sein, und Jesus nahm gerne an.

Martha machte sich sogleich mit großer Geschäftigkeit daran, den prominenten Besucher und seine Jünger zu bewirten. Maria dagegen „setzte sich zu den Füßen Jesu nieder und hörte seinem Wort zu.“ (Lukas 10,39) Sie fand es wichtig, vom Rabbi persönlich das Evangelium vom Reich Gottes zu hören und ihm Fragen stellen zu können. Ihre Schwester dagegen wollte den Rabbi mit einer reichhaltigen Tafel beeindrucken.

Martha ärgerte sich über Maria, die ihrer Meinung nach faul herum saß und sie bei der Arbeit im Stich ließ. Deshalb wandte sich Martha an Jesus und hoffte auf seine Unterstützung: „Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich allein gelassen hat zu dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfe!“ (Lukas 10,40) Jesu Reaktion war allerdings anders als Martha erwartet hatte: „Du bist besorgt und beunruhigt um viele Dinge; eins aber ist not. Maria aber hat das gute Teil gewählt, das nicht von ihr genommen werden wird.“ (Lukas 10,41.42) Jesus wollte damit nicht Marthas eifrige Bemühungen um sein leibliches Wohl schmälern, sondern ihr nur zu verstehen geben, dass für ihn nicht in erster Linie materielle Werte zählen. Er wäre auch mit weniger Essen zufrieden, dafür hätte Martha Zeit, sich auch zu ihm zu setzen. Für Jesus gelten andere Prioritäten, und er forderte sie auch von seinen Anhängern ein: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen.“ (Matthäus 6,33) Jesus möchte, dass Martha das über ihre häuslichen Besorgnisse nicht vergisst.

Aber noch ein anderer Aspekt in dieser Begebenheit bringt uns zum Nachdenken. Denn Jesus behandelte Maria gleichwertig wie seine männlichen Anhänger, die sich um ihn versammelt hatten. Er sprach ihr damit in aller Deutlichkeit das Recht zu, gleichberechtigt mit den Zwölfen neben ihm zu sitzen und an geistlichen Aktivitäten teilzunehmen.

Damit stellt Jesus klar: er will nicht, dass in seiner Kirche die Frauen vom geistlichen Amt ausgeschlossen sind und sich mit ihrer traditionellen Aufgabe als Hausfrau zufrieden geben müssen. Indem Jesus die Frauen als den Männern gleichwertig auch in religiösen Belangen behandelte, setzte er ein revolutionäres Zeichen in einer streng patriachalisch organisierten Gesellschaft. Und selbstverständlich erwartet Jesus, dass in jeder christlichen Gemeinschaft seinem Beispiel Folge geleistet wird.

Doch bis dahin sollte es noch ein sehr weiter Weg sein, und selbst in der Gegenwart werden in den meisten christlichen Kirchen die Frauen auf die „häuslichen Plätze“ verwiesen. Den Grundstein dafür legte bereits das frühe Christentum in der Antike. Es war eine Zeit völliger Rechtslosigkeit der Frau, und so kann es nicht überraschen, dass das Vorbild Jesu in den Hintergrund trat, und der männerdominierte Zeitgeist auch die Kirche übernahm. So schrieb der unbekannte Verfasser des 1. Timotheusbriefes entgegen der Forderung Jesu: „Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still. Denn Adam wurde zuerst gemacht, danach Eva. Und Adam wurde nicht verführt, die Frau aber hat sich zur Übertretung verführen lassen.“ (1Timotheusbrief 2,12-14) 

Klar, wie kann man eine gläubige Frau besser zum Schweigen bringen als mit einem Text aus ihrem Glaubensbuch, dem sie sich in ihrem religiösen Leben verpflichtet fühlt? Und der 2. Schöpfungsbericht samt Sündenfallgeschichte aus dem Alten Testament ist in dieser Hinsicht besonders ergiebig.

Die Geschichte vom ungehorsamen ersten Menschenpaar kennt jeder Christ. Gott hatte in den Garten Eden den Baum der Erkenntnis gepflanzt, von dem Adam und seine Frau nicht essen durften. Sie taten es dann doch, wurden aber von Gott dabei erwischt und zur Rede gestellt: „Da sprach Adam: Die Frau, die du mir gegeben hast, gab mir von dem Baum, und ich aß.“ (1 Mose 3,12) Die Frau wollte aber auch nicht schuld sein: „Die Schlange betrog mich, sodass ich aß.“ (1 Mose 3,13) Die Schlange blieb als Bösewicht übrig, hinter ihr kam niemand mehr.

Aber Gott ließ die Ausreden der Menschen ohnehin nicht gelten und bestrafte alle drei Beteiligten gleichermaßen mit einem mühseligen Leben. Für die Frau hieß das: „Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, aber er soll dein Herr sein.“ (1 Mose 3,16)

Darauf bezieht sich der Schreiber des 1. Timotheusbriefes: „Sie wird aber selig werden dadurch, dass sie Kinder zur Welt bringt, und wenn sie mit Sittsamkeit bleibt im Glauben und in der Liebe.“ (1Timotheusbrief 2,15) Und der Autor des Titusbriefes verlangt im selben Sinne, dass die alten Frauen in der Gemeinde die jungen anhalten sollen: „dass sie ihre Männer lieben, ihre Kinder lieben, besonnen seien, keusch, mit häuslichen Arbeiten beschäftigt, gütig, den eigenen Männern sich unterordnen, damit das Wort Gottes nicht verlästert werde.“ (Titusbrief 2,4.5) Mit dem, was Jesus sich unter einer gleichwertigen Rollenverteilung vorgestellt hat, haben diese Forderungen allerdings nichts zu tun.

Und dann ist da noch die Sache mit der Reihenfolge. Gern wird die Vorherrschaft der „christlichen“ Männer damit begründet, dass die Frau schließlich nur ein Ableger des Mannes ist: „Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm eine seiner Rippen und schloß die Stelle mit Fleisch. Und Gott der Herr baute eine Frau aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm.“ (1 Mose 2,21.22) Diesen Mythos hat die moderne Medizin inzwischen ausgeräumt: Männer und Frauen haben tatsächlich die gleiche Anzahl von Rippen. Die Frau ist also von Gott, dem Schöpfer, nachweislich nicht als Ableger des Mannes erschaffen worden. Das bekräftigt der 1. Schöpfungsbericht im Alten Testament, in dem steht, dass beide gleichzeitig erschaffen wurden: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“ (1 Mose 1,27) Warum also wird nicht diese Textstelle genommen? Etwa weil sie die Vorherrschaft der Männer nicht absichert?

Der Apostel Paulus hat in seinen Briefen stets unterschieden zwischen den ewig gültigen Wahrheiten, die Jesus Christus verkündet hat und die verbindlich sind, und seinen persönlichen Ansichten, die man annehmen kann, aber nicht muss. So wies er offen darauf hin: „Über junge Frauen habe ich kein Gebot des Herrn; ich sage aber meine Meinung als einer, der durch die Barmherzigkeit des Herrn Vertrauen verdient.“ (1 Korintherbrief 7,25) Dieses ehrliche Bekenntnis des Paulus muss man vor Augen haben, wenn man seine sogenannten „frauenfeindlichen“ Texte liest. Dass er sehr wohl die Frauen in der Gemeindearbeit achtete und respektierte, wie Jesus es gewollt hat, zeigt der Schlussteil seines Römerbriefes. Am Ende bringt Paulus eine lange Liste an Empfehlungen und Grüßen, darunter auch an namentlich genannte Frauen: „Ich aber empfehle euch unsere Schwester Phöbe, die eine Dienerin der Gemeinde in Kenchreä ist“ (Römerbrief 16,1), damit man „ihr beisteht, worin immer sie euch braucht; denn auch sie ist vielen ein Beistand gewesen, auch mir selbst.“ (Römerbrief 16,2) Und weiters ersucht er: Grüßt Maria, die viel für euch gearbeitet hat.“ (Römerbrief 16,6) Beschränkung auf häusliche Tätigkeit kann man in diese Texte nur mit viel Phantasie hinein interpretieren.

Jesus ist der Maßstab unseres christlichen Lebens - und nur er allein. Sein Evangelium ist für uns das Gesetz. Und wenn er verlangt, dass Männer und Frauen in der christlichen Gemeinschaft gleichgestellt sind in allen Tätigkeiten, dann gilt das absolut.  
Wenn also Männer den Pfarrkaffee nach dem Gottesdienst zubereiten, und die Frauen von der Kanzel herab das Wort Gottes predigen, haben wir die von Jesus Christus verlangte Gleichberechtigung verstanden.

1 Kommentar:

  1. ein toller beitrag, der sich gut auf die heutige Zeit bezieht! Sehr interessant und gut formuliert :D

    AntwortenLöschen