Sonntag, 15. Juli 2018


Vergebung oder Vergeltung?

Wer kennt nicht die Forderung Jesu: „Ich aber sage euch, wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete auch die andere dar.“ (Matthäus 5,39b) Jaja, wenn das nur so leicht wäre! Denn was ist das für eine Gerechtigkeit, wenn der Bösewicht für seine Untat auch noch belohnt wird! Unser Rechtsempfinden bäumt sich dagegen auf! Und tatsächlich leben wir Menschen vorzugsweise nach Vorstellungen, die Revanche verlangen. Wir sind doch alle mit folgenden Sprüchen vertraut: Das lasse ich mir aber nicht gefallen, das zahle ich dir heim! Du warst gemein zu mir, also bin ich jetzt gemein zu dir!

Nicht immer muss das in gewalttätiger Weise ablaufen, man kann auch mit Nichtbeachtung, Gehässigkeit und Beschimpfungen reagieren. Aber das Gerechtigkeitsdenken in unserer Welt ist damit auf jeden Fall zufrieden gestellt. Aber macht uns „Auge um Augen, Zahn um Zahn“ wirklich glücklicher und die Welt besser? Oder könnte nicht doch das Modell, das Jesus aufzeigt, jeden einzelnen von uns und in weiterer Folge die Gesellschaft zufriedener und friedlicher machen?

Im 1. Buch Mose im Alten Testament wird von einem bösen Betrug innerhalb einer Familie erzählt, der beinahe blutig ausgegangen wäre. Die Akteure sind das Ehepaar Isaak und Rebekka und ihre Zwillingssöhne Esau und Jakob. Sie lebten wie schon Isaaks Vater Abraham als Nomaden mit ihren Viehherden in Kanaan. Damals war es Sitte, dass der älteste Sohn das gesamte Erbe des Vaters durch das Ritual des Segnens zugeteilt bekam. Zum Leidwesen des ehrgeizigen Jakob war aber Esau der Erstgeborene und hatte deshalb das Recht auf Isaaks Nachfolge. Mit diesem Erstgeburtssegen verbunden waren die religiöse Stellung als Erzvater, der die göttliche Verheißung weiter trug, und das materielle Erbe des gesamten Familienbesitzes: „Gott gebe dir vom Tau des Himmels und von der Fettigkeit der Erde und Korn und Wein in Fülle. Völker sollen dir dienen und Stämme sollen dir zu Füßen fallen. Sei ein Herr über deine Brüder, und deiner Mutter Söhne sollen dir zu Füßen fallen. Verflucht sei, wer dir flucht; gesegnet sei, wer dich segnet!“ (1 Mose 27,28.29) Um das alles brachte Jakob den Bruder, weil er selbst gierig auf die Stellung war, die sein Großvater Abraham und sein Vater Isaak eingenommen hatten.

Isaak war über die hinterhältige Tat seines Jüngsten empört, aber er musste dem verzweifelten Esau sagen: „Ich habe ihn zum Herrn über dich gesetzt, und seinen Bruder habe ich ihm zum Knecht gemacht, mit Korn und Wein habe ich ihn versehen; was soll ich nun dir noch tun, mein Sohn?“ (1 Mose 27,37). Er konnte den Segen nicht mehr zurücknehmen. Zorn erfasste den Betrogenen, und er drohte laut: „Es wird bald die Zeit kommen, dass man um meinen Vater Leid tragen muss; dann will ich meinen Bruder Jakob umbringen.“ (1Mose 27,41b)

Jakob erfasste Todesangst, und er floh mit Rebekkas Hilfe zu seiner mütterlichen Verwandtschaft nach Haran im Norden Mesopotamiens. Er lebte ungefähr 20 Jahre im Haus seines Onkels Laban, heiratete dessen Töchter Lea und Rahel und baute sich eine eigene Viehherde auf, um seine Familie zu ernähren. Nach Spannungen mit seinem Schwiegervater beschloss Jakob, nach Kanaan zurückzukehren. Aber da war der ungelöste Konflikt mit seinem Bruder. Seit vielen Jahren hatten sie keinen Kontakt miteinander, und Jakob hatte auch nichts unternommen, um den um sein Erbe Gebrachten zu versöhnen. Trotz der Freude, die Heimat wieder zu sehen, hatte Jakob große Angst vor der Begegnung mit Esau. Durch Boten ließ er ihm nun seine Rückkehr in die Heimat ankündigen, und die Männer kamen mit folgender Botschaft zurück: „Er zieht dir auch entgegen mit 400 Mann.“ (1 Mose 32,7b) Panik erfasste den Betrüger, und er rechnete mit der schlimmsten Vergeltung. Und dann standen sich die Brüder gegenüber: „Esau aber lief ihm entgegen und herzte ihn und fiel ihm um den Hals und küsste ihn, und sie weinten.“ (1 Mose 33,4) Der beschämte Jakob wollte zumindest materielle Wiedergutmachung leisten, weil er den Älteren um sein Erbe betrogen hatte. Aber Esau lehnte ab: „Ich habe genug, mein Bruder; behalte, was du hast.“ (1 Mose 33,9)

Es ist ein unglaubliches Glücksgefühl, mit „jemanden wieder gut zu sein“ und sich zu vertragen, Streit und Hader hinter sich zu lassen, materielle Benachteiligungen einfach abzuhaken und wieder miteinander einen liebevollen Umgang zu pflegen. Keine Aggressionen mehr, die den Alltag vergiften, sondern Ruhe und Zufriedenheit, die das Zusammenleben heiter und liebevoll gestalten. So empfanden es Esau und Jakob, so empfindet es auch jeder in unserer Zeit, der Vergebung an die Stelle von Vergeltung setzt.

Jesus lehrte die uneingeschränkte Vergebungsbereitschaft, die verlangt, dass man auch selbst die Initiative ergreift und die Aussöhnung mit jenen sucht, die einem Böses angetan haben: „Darum, wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass dort vor dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder und dann komm und opfere deine Gabe.“ (Matthäus 5,23.24) Gut, werden jetzt einige Skeptiker einwenden, das ist veraltet und gilt nicht mehr für uns Christen heute, weil wir ja keine Opfer mehr darbringen. Aber das ist nur eine Ausrede für diejenigen, die lieber auf die Reue der „Bösewichte“ warten, als selbst den ersten Schritt zu tun.
Denn erstens ist der tiefere Sinn dieser Verse die ewig gültige Wahrheit des Evangeliums, die verlangt, dass wir Christen Nächstenliebe bedingungslos leben. Und zweitens betrifft es das Sakrament des Abendmahles, das wir in Erinnerung an den Opfertod Jesu feiern. Wer daran teilnehmen will, muss reinen Herzens sein, wie der Apostel Paulus fordert: „Denn sooft ihr von diesem Brot esst und von diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt. Wer nun unwürdig von dem Brot isst oder aus dem Kelch trinkt, der wird schuldig sein am Leib und Blut des Herrn. Der Mensch prüfe sich selbst, und so esse er von diesem Brot und trinke aus diesem Kelch. Denn wer so isst und trinkt, dass er den Leib des Herrn nicht achtet, der isst und trinkt sich selber zum Gericht.“ (1 Kor 11,26-29) Die Teilnahme am heiligen Abendmahl nur um des Brauchs willen oder weil halt alle hingehen heißt, das Opfer Jesu am Kreuz nicht verstanden zu haben und nicht ernst zu nehmen. Jesus lädt alle Getauften an seinen Tisch ein, aber die Nachtragenden und Unversöhnlichen sind ihm nicht willkommen. Und er weiß, wer aufrechter Gesinnung ist, denn er kann in unser Herz sehen.

Christen können nicht glaubwürdig auftreten, wenn sie die Nächstenliebe, die Jesus gepredigt hat, nicht konsequent leben: „Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? Und dieses Gebot haben wir von Jesus Christus, dass wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.“ (1 Johannesbrief 4,19-21

Jesus ist unser Vorbild, auch wenn es uns oft schwer fällt, seinem Beispiel zu folgen. Aber für Christen gibt es keinen anderen Weg: „Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, weil ihr den Segen ererbt habt.“ (1 Petrusbrief 3,9)

2 Kommentare:

  1. (Hier Dani)

    Wirklich guter Blog-Post und sehr schön geschrieben!
    Mit diesem Thema habe ich mich selbst auch oft beschäftigt in den letzten Jahren. Früher fiel es mir leicht, Kontakte abzubrechen, weil einem jemand etwas Böses getan oder gesagt hat, und vergeben fiel mir wirklich schwer. Aber es ist einfach nicht der richtige Weg. Und ja, Jesus sollte in der Hinsicht unser Vorbild sein. Schon als Kind hat mir Großmutter die Zeilen täglich gesagt: "... wie auch wir vergeben unseren Schuldigern". Daran sollte man sich auch wirklich versuchen zu halten, auch wenn es vielleicht schwer ist. Aber das Gefühl, sich mit jemandem wieder zu versöhnen, ist so schön.

    Ich werde noch mehr der früheren Posts lesen, gefallen mir gut, sehr informativ! :D

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  2. sehr gut geschrieben! Es ist wirklich so, dass wir vergeben sollten bzw. nicht mit anderen hadern sollten. Es lohnt sich nicht :( man ist oft wütend, aber es ist immer schöner, wenn man sich versteht! :)

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