Samstag, 25. Februar 2017


Auf der Suche nach einem gnädigen Gott

Erlösung, Sünde: was soll das bedeuten? Es klingt nach verstaubten, unnützen Worten. Sie kommen aus der christlichen Theologie, die für immer mehr Menschen auch nur noch verstaubt und unnütz ist. Von Erlösung der Sünden hört man höchstens noch am Karfreitag im Gottesdienst – sofern man hingeht, wozu sich auch immer weniger Christen aufraffen können.

Man kann sich heute gar nicht vorstellen, dass sich vor 500 Jahren ein Mann in Lebensgefahr gebracht hat, weil für ihn die Erlösung von seinen Sünden zum entscheidenden Problem in seinem Leben geworden war. Er wurde beherrscht von der Frage: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Für diesen Mann, Martin Luther aus Eisleben, war die Beantwortung so entscheidend wichtig, dass er das katholische Establishment herausforderte und selbst unter Androhung des Scheiterhaufens nicht einknickte.

Der Sohn eines thüringischen Bergmannes hatte eine glänzende Karriere vor sich. Martins Vater war als Minenpächter durch harte Arbeit zu Wohlstand gekommen und finanzierte seinem begabten Ältesten eine Universitätsausbildung in Erfurt. Ein Studienabschluss vor allem in Jus war im Spätmittelalter an der Schwelle zur Renaissance für bürgerliche Männer die einzige Chance, gesellschaftlich aufzusteigen. Die Macht im Staat lag in den Händen des Adels, aber der brauchte gebildete Hochschulabsolventen aus dem Bürgertum für seinen Verwaltungsapparat.
Martin Luther studierte sehr erfolgreich und schien die hohen Erwartungen seiner Eltern zu erfüllen. Sie waren stolz auf ihren Ältesten und malten sich aus, wie er ein berühmter Mann werden würde. Das wurde Martin auch, aber nicht so, wie es sich seine Eltern erträumten. Denn was diese nicht wussten, war, dass ihren Sohn religiöse Zweifel immer mehr niederdrückten. 
Seine Angst vor Gottes Zorn und Verdammung wurde schließlich so übermächtig, dass Martin Luther am 17. Juli 1505 sein Jusstudium hinschmiss und in den Orden der strengen Augustinereremiten in Erfurt eintrat.

Mit dieser Entscheidung glaubte Martin Luther, sein religiöses Leben in den Griff bekommen zu haben. Aber dann musste er enttäuscht feststellen, dass ihm das entbehrungsreiche Klosterleben keineswegs die innere Ruhe eines Menschen, der mit Gott im Einklang ist, einbrachte. Der junge Mann hatte alles aufgegeben, um nur für seinen Glauben zu leben, und jetzt begriff er schmerzhaft, dass ihm sein Verzicht einem gnädigen Gott keinen Schritt näher gebracht hatte. Zuerst versuchte er es mit noch strengerer Askese und noch mehr Sündenbeichten. Aber es half nicht: Luther spürte Gottes Vergebung trotz seiner immensen Bußleistungen nicht, und die Unerbittlichkeit des göttlichen Gerichts und die Verdammung zur Hölle türmten sich wie ein unüberwindliches Hindernis vor dem zitternden Mönch auf.

Das ausgehende Mittelalter war eine Zeit, in der sich die Christen noch vor den Konseqenzen der Sünde fürchteten. Luther war aufgewachsen in dem Glauben an einen Gott, der am Ende der Zeit als unbarmherziger Richter das Verdammungsurteil über den Sünder ausspricht. Aber als ein Mensch, der es ebenso wenig wie alle anderen schaffte, ohne Sünde zu leben, sehnte sich Luther nach einem Gott der Liebe und der Vergebung. Und er suchte verzweifelt nach einem Weg, wie er als Mensch trotz seiner Sündhaftigkeit vor dem Gericht Gottes bestehen kann. 

Luther kam in seiner Gewissensnot der Auftrag seines Ordens, als Professor an die neugegründete Universität von Wittenberg zu gehen, zu Hilfe. Seine Hauptaufgabe war es von nun an, Theologie zu lehren. Um seine Vorlesungen über einzelne Schriften der Bibel vorzubereiten, begann Martin Luther, sich intensiv mit den Texten der Heiligen Schrift zu beschäftigen.
So saß er alleine in seinem Turmstübchen im Wittenberger Kloster und arbeitete. Und als Luther eines Tages den Römerbrief des Apostels Paulus las, hatte er ein Erleuchtungserlebnis: „Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhms, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst errettet aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.“ (Römer 3,22-24) Luther war überwältigt: jetzt endlich hatte er den gnädigen Gott gefunden, nach dem er so viele Jahre verzweifelt gesucht hatte. Paulus zeigte ihm den Weg, indem er dem Sünder die Erlösung durch die Gnade Gottes zusagte, die dieser durch noch so viele gute Werke nicht schaffen konnte. Der Apostel verwies mit Nachdruck darauf, dass der Mensch sich die Gnade Gottes nicht durch eigene Leistungen verdienen kann: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch errettet wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ (Römer 3,28) Luthers religiöses Leben bekam durch den Römerbrief wieder eine Zukunftsperspektive. Durch Paulus hat der junge Theologieprofessor begriffen, dass sich Gott den Menschen zuwendet und nicht wartet, bis sich die Menschen durch die von der Kirche festgelegten guten Werke ihm andienen. 
Gottes voraussetzungslose Gnade ist die Brücke über den Abgrund der Sünde, der uns von ihm trennt, weil durch sie die Menschen zum Glauben finden, der sie errettet.


Der Glaube an Gott ist aber nur rechter Glaube, wenn er Jesus Christus einschließt. Daran lässt Paulus keinen Zweifel: „Da wir nun errettet worden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir den Zugang zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird.“ (Römer 5,1.2) Nach dem Neuen Testament gründet sich das Heil für die Menschen auf Christi Kreuz und Auferstehung. Es ist Luthers religionsgeschichtliche Leistung, dass er auf Jesus Christus als unseren alleinigen Herrn und Erlöser hingewiesen hat. Denn die mittelalterliche Frömmigkeit hatte den Messias an den Rand gedrängt und an seine Stelle Marien- und Heiligenverehrung sowie die Spende der Sakramente als Heilsbringer gestellt. Der Reformator hat mit dieser religiösen Praxis gebrochen und Jesus Christus als einzigem Erlöser wieder zu seinem Recht verholfen. Allein Jesus Christus (Solus Christus) hat durch seine stellvertretende Hingabe am Kreuz den Gläubigen die Vergebung von Gott verschafft. Der Tod Jesu ist ein Sühneopfer: „Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. (Röm 5,8) Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben.“ (Röm 5,11
Gott ist durch Christi Blut und allein durch dieses versöhnt: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe? Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!“ (Römer 7,24.25)

Das Wort der Bibel hat Martin Luther aus seinen Glaubensnöten befreit - nicht die Heilszusagen der Kirche. Aus dieser Erfahrung heraus hat der Reformator die Heilige Schrift zur alleinigen Glaubensnorm erklärt: nur was in der Bibel steht, ist christliche Glaubenswahrheit.
Damit ging Martin Luther noch einen radikalen Schritt weiter, indem er den Schwerpunkt von der Institution auf das Individuum verlegte: jeder Christ ist Gott direkt verantwortlich und entscheidet nach seinem Gewissen. Luther eröffnete den Gläubigen den unmittelbaren Zugang zu Gott und machte die Priester als Vermittler überflüssig. Er begründete auf dem Wort der Bibel das allgemeine Priestertum der Gläubigen und erklärte, dass jeder Getaufte bereits Priester sei: „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.“ (1 Petrus 2,9)

Der unmittelbare Zugang zu Gott erforderte aber auch den unmittelbaren Zugang zu seinem Wort, das in der Bibel aufgeschrieben wurde. Die in lateinischer Sprache vorliegende Heilige Schrift war nur wenigen Gebildeten zugänglich, die Sprachbarriere war für die breite Bevölkerung eine unüberwindliche Hürde. Dieses Hindernis beseitigte der Reformator durch seine Bibelübersetzung ins Deutsche. 
Der Buchdruck (rund ein halbes Jahrhundert früher von Gutenberg in Mainz erfunden) unterstützte die Verbreitung der neuartigen deutschsprachigen Bibel dadurch, dass er die Preise deutlich senkte und damit für größere Leserkreise erschwinglich machte.

Es war ein weiter Weg, den Luther auf seiner Suche nach einem gnädigen Gott zurückgelegt hatte. Er fand nach einigen Umwegen die Antwort in der Bibel und wollte ungeachtet der Gefahr, als Ketzer verbrannt zu werden, auch allen anderen Christen diesen Weg zu Gott aufzeigen. Seine Bibelübersetzung ins Deutsche gab nun allen Gläubigen die Chance, dem gnädigen und liebenden Gott direkt in seinem Wort zu begegnen: „Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserem Herrn.“ (Römer 6,23)

1 Kommentar:

  1. ich finde das hintergrundwissen knapp und gut dazugesetzt! vieles weiß man aus dieser zeit nicht, und da ist es gut, wenn man einen kurzen überblick bekommt.
    es ist sehr interessant über Luthers Werdegang zu lesen und über Gottes Gnade!

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