Jesus,
der Rabbi aus Nazareth, und Elia, der Prophet aus Tischbe
Die
Unsicherheit, wer Jesus von Nazareth tatsächlich ist, gab es schon
zu seinen Lebzeiten und ist keine Spezialität des 21. Jahrhunderts.
Auch schon die Zeitgenossen des Rabbis aus Galiläa waren sich über
seine Identität nicht einig. Jesus wusste das und redete darüber
mit den Zwölfen: „Und
er ging fort mit seinen Jüngern in die Dörfer bei Cäsarea
Philippi. Und auf dem Wege fragte er seine Jünger und sprach zu
ihnen: Wer sagen die Leute, dass ich sei?“ (Markus 8,27) Sie
antworteten ihm: „Einige sagen, du seist
Johannes der Täufer, einige sagen, du seist Elia; andere, du seist
einer der Propheten.“ (Markus 8,28)
Für
uns Christen heute stellt sich nach dieser Auskunft die Frage: wie
kommen die Leute in Galiläa gerade auf diese beiden frommen Männer?
Bei Johannes dem Täufer ist es noch naheliegend, denn dieser trat
schon einige Jahre vor Jesus auf und war inzwischen berühmt. Es wäre
durchaus vorstellbar gewesen, dass er seinen Wirkungsbereich am
Jordan verlassen und an den See Genezareth verlegt hätte. Aber Elia?
Dieser Prophet des alten Israel wirkte im 9. Jahrhundert vor Christus. Wie
kam man also auf die Idee, er würde jetzt wieder als Messias
lebendig auftreten?
Als
Herkunftsort des Elia nennt das Alte Testament eine Ortschaft östlich
vom Jordan: „Elia, der Tischbiter aus Tischbe
in Gilead“ (1 Könige 17,1) und beschreibt sein Aussehen:
„Er hatte langes Haar und einen Ledergurt um
seine Lenden.“ (2 Könige 1,8).
Beides sind äußerliche
Merkmale eines Propheten. Und sie erinnern an den anderen Mann
Gottes, den Täufer, den die Jünger in ihrer Antwort neben Elia
benennen: „Johannes
aber trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen
Gürtel um seine Lenden.“
(Markus 1,6a) Von Jesu Kleidung und
Haartracht dagegen
gibt es keine derartige
Beschreibung, wie sie
für das Aussehen von
Propheten üblich war. Damit macht
das
Neue Testament deutlich:
der Rabbi aus Nazareth war nicht einfach einer
der Propheten,
wie sie in der
Geschichte des jüdischen Volkes so
zahlreich vorkamen.
Es
war also schon viele Jahrhunderte her, dass Elia als Prophet den
Willen Gottes verkündete. Es herrschten damals schwere Zeiten für
den jüdischen Monotheismus. Die politische Lage beutelte die Hebräer
gewaltig und stellte sie in ihrem Glauben an den einen einzigen Gott
auf eine schwere Probe. Das Königreich, das Saul einst gegründet hatte, war in zwei souveräne Monarchien zerfallen.
Während das Südreich Juda mit Jerusalem und seinem Tempel dem
Monotheismus treu blieb, machten sich im Nordreich Israel die
Einflüsse der polytheistischen Religionen der Nachbarvölker
zersetzend bemerkbar. Im Herrscherhaus fanden sich willige
Unterstützer.
Aber
Gott hatte sein Volk, das ihm zunehmend untreu wurde und auch andere
Götter anbetete, nicht vergessen: „Siehe,
ich will euch senden den Propheten Elia, ehe der große und
schreckliche Tag des HERRN
kommt. Der soll das Herz der Väter bekehren zu den Söhnen und das
Herz der Söhne zu ihren Vätern, auf dass ich nicht komme und das
Erdreich mit dem Bann schlage.“ (Maleachi 3,23.24) Elia
folgte gehorsam der Berufung und geriet in einen lebensbedrohlichen
religiösen Konflikt mit dem regierenden Königspaar.
König
Ahab von Israel (874-853 v.Chr.) hatte eine phönizische Prinzessin
zur Frau genommen und nicht von ihr verlangt, die jüdische Religion
anzunehmen. Aber Isebel bewies weniger Toleranz und setzte sich zum
Ziel, in ihrer neuen Heimat die Verehrung des Gottes Baal, einer der
phönizischen Hauptgötter, einzuführen. Zu diesem Zweck brachte sie
hunderte Priester mit ins Land und ging mit Gewalt gegen die
jüdischen Priester vor. Viele flohen, viele bezahlten mit dem Leben.
Wie schlimm es um den Glauben an den einen Gott Israels stand,
erkennt man an der Rede, mit der sich Elia an sein Volk wandte: „Ich
bin allein übriggeblieben als Prophet
des HERRN, aber die Propheten Baals sind 450 Mann.“ (1
Könige 18,22)
Als
erstes schickte Gott Elia zu Ahab und ließ dem König mitteilen,
dass er nicht mehr länger tatenlos zusehe, wie Königin Isebel seine
Propheten verfolgen und töten lasse, um den Kult des phönizischen
Gottes Baal durchzusetzen. Elias Auftrag war es, dem Volk den wahren
Gott vor Augen zu führen durch ein Gottesurteil auf dem Berg Karmel.
Deshalb forderte er die Priester des Baals auf, mit ihm zusammen
Brandopfer darzubringen und zu sehen, welches Opfer eine göttliche
Reaktion hervorrufen würde: „Welcher Gott
nun mit Feuer antworten wird, der ist wahrhaftig Gott.“ (1
Könige 18,24) Die Baal-Priester stellten sich der Herausforderung,
sie waren von ihrem Sieg überzeugt und sahen die Chance, ein für
allemal den Gott Israels zu verdrängen.
Nachdem
die Altäre für die Brandopfer errichtet waren, stellte sich Elia
vor seinen und betete laut: „Erhöre
mich HERR, erhöre mich, damit dies Volk erkennt, dass du, HERR, Gott
bist und ihr Herz wieder zu dir kehrst!“ (1 Könige 18,37)
Und Gott verhalf seinem Propheten zu einem beeindruckenden
Schauspiel: „Da fiel das Feuer des HERRN
herab und fraß Brandopfer, Holz, Steine und Erde und leckte Wasser
auf im Graben. Als das alles Volk sah, fielen sie auf ihr Angesicht
und sprachen: der HERR ist Gott, der HERR ist Gott!“ (1
Könige 18,38.39) Die Altäre Baals blieben aber ohne Feuer, so sehr
sich seine Priester auch darum bemühten.
Elia war davon überzeugt,
nun die Verehrung Baals endgültig aus Israel verbannt zu haben. Das
sollte sich aber als schwerer Irrtum erweisen, denn Elias Sieg hatte
Königin Isebel keineswegs eingeschüchtert und zum Einlenken
gebracht. Sie ließ Elia ausrichten, dass sie ihm nun nach dem Leben
trachte. Nach dieser Drohnung ergriff Elia die Flucht und kam nach
Beerscheba in Juda. Für den Tischbiter war dies ein tiefer Fall, mit
dem er nach seinem Triumph nicht gerechnet hatte.
Verzweifelt und
resigniert zog er sich in die Einsamkeit zurück: „Er
aber ging in die Wüste eine Tagesreise weit und kam und setzte sich
unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es
ist genug, so nimm nun, HERR,
meine Seele, ich bin nicht besser als meine Väter.“ (1
Könige 19,4)
Elia muss jetzt erfahren, was allen widerfährt, die im
Dienste Gottes stehen: der Weg der Nachfolge ist ein steiniger Weg.
Es ist keineswegs so, dass jenen, die ihr Leben in den Dienst Gottes
stellen, alles gelingt, und sie von Erfolg zu Erfolg eilen.
Das
lernte jetzt auch Elia. Gott hatte ihm den leichten Weg versperrt und
Königin Isebel den Triumph über den frommen Propheten überlassen.
Trotzdem galt sein Auftrag, für den Glauben an den HERRN in Israel
zu kämpfen und den Baalsglauben zurückzudrängen, weiterhin. Und
ungeachtet der Gefahr gehorchte Elia, verließ die Wüste und
verkündete offen in Israel das Wort Gottes.
Doch
Elia wurde immer älter, und er brauchte einen Nachfolger, dem er
sein Vermächtnis übergeben konnte. Er fand ihn auf dem
Feld beim Pflügen: Elisa. Nach Prophetenbrauch ging Elia auf ihn zu
und warf seinen Mantel über ihn, woraufhin der Landmann Pflug und
Zugtiere stehen ließ und mit ihm ging. Elisa blieb treu an der Seite
seines Lehrers, bis sich Elias irdisches Wirken dem Ende zuneigte.
Und
jetzt beginnt jener Teil der Biographie Elias, der dazu führte, dass
ihn die Legende unsterblich machte - im wahrsten Sinn des Wortes:
„Als aber der
HERR Elia im Wetter gen Himmel holen wollte, gingen Elia und Elisa
von Gilgal weg.“ (2 Könige 2,1) Weil der Verfasser des
Königsbuches auf so pathetische Weise beschreibt, wie Elia am Ende
seines Lebens angelangt war und starb, lasen fromme Menschen aus
diesen Zeilen heraus, dass Elia noch vor seinem Tod in den Himmel
„entrückt“ wurde. Verstärkt wird diese wörtliche
Auslegung noch dadurch, dass der unbekannte Autor den irdischen
Abgang des Elia noch weiter dramatisch ausschmückte: „Und
als Elia und Elisa miteinander gingen und redeten, siehe,
da kam ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, die schieden die
beiden voneinander. Und Elia fuhr im Wetter gen Himmel.“ (2
Könige 2,11) Aufgrund dieser Legende, die auch noch zur Zeit Jesu
geglaubt wurde, hielten es etliche Galiläer für möglich, dass der
Rabbi aus Nazareth, der wie einst Elia so kompromisslos für den
Glauben an den einen Gott eintrat, der „entrückte“ Elia sein
könnte.
Die
Jünger aber ließen sich durch fromme Überlieferungen nicht
beirren. Sie wussten, dass nur ein einziger als Lebender in den
Himmel aufsteigen kann, weil er auch nur als einziger von dort auf
die Erde gekommen ist: nämlich der Messias, der Gesalbte Gottes, der
in der Person des Jesus von Nazareth vor ihnen stand. „Und
als Jesus
sie fragte:
Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei? Da antwortete Petrus und sprach
zu ihm: Du bist der Messias!“
(Markus 8,29)
Und dieses Bekenntnis werden sie nach Jesu
Auferstehung und Himmelfahrt in die Welt hinaus tragen. Ein
Bekenntnis, das auf jenen Tatsachen beruht, die sie selbst zu Ostern
und 40 Tage danach bei Jesu Rückkehr in den Himmel gesehen hatten,
und nicht auf frommen Formulierungen eines ausdrucksvollen Autors.
Und deshalb waren die Aposteln in ihrer Missionsarbeit auch so
erfolgreich: weil sie die
einzigartige göttliche
Rolle des Jesus von Nazareth bezeugen
konnten. Wie gut für
uns, dass sich die Jünger nicht von der öffentlichen Meinung, die
in Jesus nicht den Messias sehen wollte, beeinflussen ließen. Und
gut für uns heute, wenn wir das auch nicht tun und nicht auf jene
hören, die in Jesus von Nazareth nur einen guten und hilfsbereiten
Menschen sehen wollen.
Ein sehr interessanter Beitrag! Ich fand es vor allem sehr interessant, dass es Kennzeichen und Bräuche für und von Propheten gibt :D
AntwortenLöschenSehr gut geschrieben!