Sonntag, 8. Januar 2017


Das Gleichnis vom Sauerteig

In Galiläa zur Zeit Jesu gab es keine Bäckerei, in der die Leute einkaufen gehen konnten. Es war die Aufgabe der Hausfrau, für die Familie das tägliche Brot zu backen. Sie wusste, dass sie Sauerteig brauchte, um locker-leichtes Brot herstellen zu können. Sauerteig ist ein Triebmittel zur Lockerung von Backwaren, damit das Brot nicht flach und geschmacklos bleibt.
Auch Jesus war diese Herstellungsweise bekannt. Und so wählte er das Beispiel aus der Küche, um den Zuhörern die Bedeutung des Evangeliums vor Augen zu führen: „Das Himmelreich gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter einen halben Zentner Mehl mengte, bis er ganz durchsäuert war.“ (Matthäus 13,33) Jesus meint damit, dass das Bemühen um das Eingehen in das Reich Gottes die Gesellschaft besser macht, weil die Botschaft von der Liebe Gottes und seiner Vergebung die Menschen zum Positiven verändert, und sie als Christen diese Liebe Gottes zum verständnisvolleren Zusammenleben in die Gemeinschaft einbringen.

Der Sauerteig einer christlichen Gemeinschaft ist die religiöse Erziehung ihrer Kinder. Mit der Taufe, die fast in den meisten Familien nach wie vor an den Säuglingen vollzogen wird, verpflichten sich Eltern und Paten, das Kind im christlichen Glauben zu erziehen. 
In früheren Zeiten haben die Erwachsenen ihr Versprechen sehr ernst genommen. Die Kinder lernten im Elternhaus christliche Bräuche und Gebete kennen, nahmen am Religionsunterricht in der Schule und an der kirchlichen Jugendarbeit teil. Sie bekamen eine Bibel und lasen darin die Geschichten von Jesus von Nazareth, seiner Kreuzigung und Auferstehung. Die christlich erzogenen Heranwachsenden lernten, dass das Evangelium Teil ihres Alltags ist und gaben es als Eltern wieder an ihre Kinder weiter. So kann christliche Gemeinschaft über Generationen hinaus funktionieren und hat in den letzten 2000 Jahren auch funktioniert.

Beispiele aus der Geschichte zeigen, wie entscheidend wichtig die Vermittlung religiöser Werte durch die Erziehung ist:

Beispiel 1: Kaiser Konstantin I. der Große war selbst nicht getauft, als er 313 im Edikt von Mailand den Christen die freie Religionsausübung gestattete. Er hatte aber erkannt, dass die Zukunft des Römischen Reiches mit dieser jungen und glaubensstarken Religion verbunden war. Von ihr erwartete er, das einigende Band für die vielen unterschiedlichen Völker seines Herrschaftsgebietes zu werden. Und um die Weichen für ein christianisiertes Römisches Reich zu stellen, ließ er seine Söhne Constantin, Constantius und Constans im christlichen Glauben erziehen. Konstantins pädagogische Weitsicht trug Früchte: denn als ihm seine drei Söhne auf dem Thron nachfolgten, waren sie bereits gläubige Christen und gaben als Vorbild ihre Überzeugung an ihre Untertanen weiter. Das Römische Reich wurde nunmehr christlich.

Beispiel 2: Bitter waren die Folgen dagegen für Frankreich, weil sein erster Bourbonenkönig Heinrich IV. sich um die religiöse Erziehung seiner Kinder nicht kümmerte. Er selbst war gläubiger Hugenotte (französische Protestanten) und nach dem Erlöschen der katholischen Herrscherdynastie der Valois der legitime Thronfolger. Doch die mächtigen katholischen Adeligen verweigerten einem evangelischen König die Anerkennung. Da entschloss sich Heinrich, um Frankreich nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg zwischen den Konfessionen endlich befrieden zu können, zu konvertieren, aber zugleich den Hugenotten im Edikt von Nantes 1598 freie Glaubensausübung zu garantieren. Heinrich liebte seine Kinder, überließ aber ihre religiöse Erziehung seiner streng katholischen Gattin Maria von Medici. Die Konsequenz war, dass in der französischen Königsfamilie der Toleranzgedanke Protestanten gegenüber keinen Platz fand. Der Eklat erfolgte 1685, als Ludwig XIV. der Sonnenkönig das Edikt von Nantes aufhob und den Protestanten nicht nur ihre Religionsfreiheit nahm, sondern auch ihre Bürgerrechte. Hunderttausende flohen aus Frankreich in evangelische Länder wie England, Holland und Brandenburg und schwächten damit, da sie überwiegend dem Handwerksstand angehörten, die Wirtschaft Frankreichs entscheidend. Die Verarmung des Staates sollte hundert Jahre später zum Ausbruch der blutigen Revolution führen. Ein friedliches Zusammenleben der beiden Konfessionen hätte dies wohl verhindert, es hätte nur einer entsprechenden Erziehung der königlichen Kinder bedurft.

Aber die Gefahr geht nicht nur von einer fehlenden religiösen Erziehung aus, sondern auch von einer, die falsche Werte lehrt. Jesus warnte seine Zuhörer: „Seht zu und hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer!“ (Matthäus 16,6). Jesus verurteilt damit eine Lehre, die die Menschen dem Reich Gottes nicht näher bringt, sondern sie durch ihre Unerbittlichkeit den Sündern und Schwachen gegenüber vom Himmelreich entfernt. Eine Gesellschaft, die von Selbstgerechtigkeit und hierarchischem Denken beherrscht wird, verbreitet Kälte statt wärmende Nächstenliebe, weil sich die Stärksten und Rücksichtslosesten auf Kosten der Schwächeren Vorteile verschaffen. 

Jesus dagegen fordert, dass die Menschen Verständnis für einander haben, Nachsicht üben und Schuld vergeben sowie den Reichtum eines Landes gerecht aufteilen, damit es allen gut geht und nicht nur einigen wenigen.


Das Evangelium, das als Sauerteig die Gesellschaft durchmengt, indem es durch eine christlich-religiöse Erziehung weitergegeben wird, macht das Zusammenleben der Menschen durch die Nächstenliebe humaner. Aber das funktioniert nur, wenn die Botschaft Jesu in ihrer Radikalität ernst genommen und nicht für eigene Vorteile verfälscht wird. Jesus stellt uns vor die Entscheidung, ob wir ganz für ihn oder ganz ohne ihn leben wollen: „Niemand kann zwei Herren dienen: entweder er wird den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird an dem einen hängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ (Matthäus 6,24)

Welche Entscheidung will ich treffen?

1 Kommentar:

  1. sehr interessant! Die Vergleiche gefallen mir sehr gut! Und ich finde es toll, dass die Beispiele mit der Geschichte zu tun haben, so kann man es gut nachvollziehen.

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