Freitag, 10. April 2020


Die Abschiedsreden Jesu am Kreuz

Wenn jemand gekreuzigt wurde, starb er einen langsamen, qualvollen Tod. Das war auch durchaus beabsichtigt, denn diese Art der Hinrichtung wurde nur über antirömische Widerstandskämpfer und aufsässige Sklaven verhängt. Es galt den Herrschern in Rom als größtes Verbrechen, sich gegen ihre Besatzungsmacht aufzulehnen. Um „Nachahmungstäter“ abzuschrecken, mussten solche Übeltäter deshalb hart bestraft werden.

Da die Hinrichtungen öffentlich stattfanden, sollte das blutige Spektakel den Zuschauern Roms unnachsichtige Gewalt vor Augen führen und Angst machen. Die Verurteilten mussten den Querbalken auf ihre Schultern laden und zur Hinrichtungsstätte schleppen. Die schweren Längsbalken, die kein Mensch allein hätte tragen können, standen bereits dort und wurden auch nicht jedes Mal ausgewechselt.

Bevor sich in Jerusalem der Zug mit Soldaten, Deliquenten und Schaulustigen in Bewegung setzte, band man Jesus und den beiden anderen Verurteilten die Querbalken, die auch kein geringes Gewicht hatten, auf die Schultern. Aber Jesus war bereits so geschwächt von den Folterungen, dass er nicht imstande war, das schwere Holzstück zu tragen. Pontius Pilatus hatte ihn geißeln lassen, die Soldaten hatten ihm eine Dornenkrone aufs Haupt gedrückt und mit Stöcken geschlagen. Das blieb nicht ohne schwere Verletzungen. 
Jesus hatte bereits viel Blut verloren, bevor er noch ans Kreuz genagelt wurde. Mit letzter Kraft schaffte er es bis zur Hinrichtungsstätte, aber nur mit Hilfe: Simon von Kyrene, der gerade vom Feld kam, hatte statt Jesus den Holzpflock tragen müssen. Auf Golgatha, einem Hügel außerhalb von Jerusalem, wurde Jesus an seinen Handgelenken an den Querbalken genagelt und am Längsbalken hochgezogen. Zur besseren Festigung wurde er auch noch an den Füßen festgenagelt. So hing er am Kreuz bis der Tod eintrat, der sengenden Sonne preisgegeben. Bis zum Ende würden noch Stunden vergehen - aber Jesus sollte all der Pein zum Trotz nicht ohne letzte Botschaften an die Welt sterben.

Die Evangelisten haben unterschiedliche Worte von ihm überliefert, je nachdem, was ihnen theologisch wichtig erschien. Versuchen wir, die vorhandenen Texte in eine zeitliche Abfolge zu bringen, sodass wir uns ein Bild von den letzten Stunden im Leben des gekreuzigten Jesus machen können.

Unter furchtbaren Qualen sah Jesus nun seinem Tod entgegen und blieb trotzdem seiner Mission treu: er setzte sich auch jetzt noch für andere Menschen ein, obwohl er eigentlich derjenige gewesen wäre, der die Hilfe anderer gebraucht hätte. Ohne Groll und Hader betete er für die, die ihn ans Kreuz gebracht hatten, obwohl er ihnen nichts getan hatte: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lukas 23,34)
Die Vergebungsbereitschaft war immer das wichtigste Anliegen gewesen, das Jesus in Galiläa gepredigt hatte. Für ihn gab es keine Nächstenliebe, wenn sie nicht auf Verzeihen und Nachsicht aufgebaut war. Und jetzt am Kreuz stand er selbst für seine Forderungen ein. So wie er als Rabbi in Galiläa stets verlangt hatte, man solle dem Mitmenschen, der einem weh getan hatte, vergeben, so tat er es als Gekreuzigter auch: Jesus flehte Gott um Nachsicht an mit jenen, die seinen qualvollen Tod zu verantworten hatten.

Aber nicht nur um jene namenlose Menge, die durch ihr Gebrülltes „Kreuzige ihn!“ sein Todesurteil verschuldet hatte, war Jesus besorgt. Auch einzelne Menschen um sein Kreuz herum waren ihm trotz unerträglicher Schmerzen nicht gleichgültig.

Links und rechts von Jesus waren zwei weitere Männer ans Kreuz gehängt worden und litten wie er große Qualen: „Aber einer der Übeltäter lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!“ (Lukas 23,39) Das ließ der zweite Verbrecher aber nicht gelten: „Wir sind mit Recht verurteilt worden, denn wir empfangen, was unsere Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.“ (Lukas 23,41) Und sterbend bekannte er sich zum Glauben an den Messias: „Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ (Lukas 23,42) Und Jesus wandte sich dem Mann zu und sprach zu dem reuigen Übeltäter:Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“ (Lukas 23,43) Damit unterstrich Jesus, was er immer gepredigt hatte: Gott vergibt dem Sünder immer, selbst wenn die Reue erst im Angesicht des Todes erfolgt. Der verurteilte Verbrecher hat im Sterben begriffen, dass er den Messias vor sich hat und sich zu ihm bekannt. Es war noch rechtzeitig.

Einige Frauen aus seinem Anhängerkreis hatten Jesus auf seinem letzten Weg begleitet und standen nun weinend unter dem Kreuz, darunter seine Mutter, weiters Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Ihnen war die Gefahr für ihr eigenes Leben, weil sie einem Hochverräter die Treue hielten, egal. Sie wollten Jesus in seiner schwersten Stunde nicht alleine lassen. Jesus sah die Frauen, aber von seinen Jüngern fehlte jede Spur, nur einer stand bei ihnen.

Jesus war einst gegen den ausdrücklichen Willen seiner Mutter als Wanderprediger durch Galiläa gezogen. Es hatte deshalb Spannungen zwischen ihnen gegeben. Das hieß aber nicht, dass sich Mutter und Sohn nicht weiterhin in Liebe zugetan waren. Und nun war Maria sogar aus Galiläa nach Jerusalem gegangen, um ihrem Kind beizustehen. Bekümmert sah Jesus aber, dass kein anderer aus seiner Familie mitgekommen war. Er wollte sie aber nicht unversorgt zurücklassen: „Und als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, sprach er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn. Danach sprach er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter. Und von der Stunde an nahm der Jünger sie zu sich.“ (Johannes 19,26.27)

Warum glaubte Jesus nicht, dass sich seine Halbbrüder – er hatte vier - um die gemeinsame Mutter kümmern werden? Immerhin wird einer von ihnen, Jakobus, später als Herrenbruder in der urchristlichen Gemeinde eine führende Rolle spielen. Aber jetzt war auch er nicht da. So wenig wie die anderen aus dem Kreis der Zwölf.
Jesus, der hilflos am Kreuz hing, wusste nicht, ob sich seine Jünger und seine Halbbrüder wieder fangen würden, denn schließlich waren sie alle in Panik weggelaufen und hatten sich versteckt. So vertraute er seine Mutter, die zu dem Zeitpunkt schon eine alte Frau war und auch verwitwet, dem einzigen Jünger an, der bei ihm geblieben war. In der damaligen Zeit hatten alleinstehende Frauen keine Chance auf materielle Versorgung, sie brauchten einen männlichen Ernährer.

Wer war aber der Jünger, den Jesus lieb hatte? Es war sicher einer der Zwölf, denn er war beim Abschiedsmahl dabei: „Es war aber einer unter seinen Jüngern, den Jesus lieb hatte, der lag bei Tisch an der Brust Jesu.“ (Johannes 13,23) Er stand also Jesus nahe, Name wird keiner genannt. Simon Petrus war es nicht. Denn als Jesus ankündigte, dass einer aus der Runde ihn den Knechten des Hohepriesters verraten wird „winkte Simon Petrus dem Jünger, den Jesus lieb hatte, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete.“ (Johannes 13,24)
Warum betont aber der Evangelist Johannes – zum Unterschied zu den anderen drei Evangelisten - überhaupt, dass es einen Jünger gab, den Jesus besonders lieb hatte? Das überrascht. Schließlich wissen wir, dass Jesus alle Menschen gleich liebt und niemanden bevorzugt. Dass der Evangelist Johannes trotzdem einen der Zwölf so deutlich heraushebt, spiegelt wohl seine Bewunderung für jenen Jünger wider, der als einziger den Mut aufbrachte, seinen Rabbi nach Golgatha zu begleiten.

Je länger Jesus am Kreuz hing, desto größer wurde die körperliche Qual und desto größer seine Verzweiflung. Muskelkrämpfe durchzuckten den Leib. Der Körper sackte immer mehr nach unten ab, die Schmerzen in den Armen, die das ganze Gewicht des Gekreuzigten halten mussten, wurden unerträglich. Es fühlte sich an, als ob sie jeden Moment reißen würden, aber die Nägel hielten stand. Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte unbarmherzig auf die nackte Haut des Gekreuzigten. Schweiß rann über den blutenden Körper und lockte Fliegen an. Bewegungslos war Jesus der Tortur ausgeliefert und schrie in seinem Schmerz: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46; Markus 15,34) Er wusste, dass Gott seine Kreuzigung nicht nur zugelassen, sondern als unersetzlicher Bestandteil des göttlichen Heilsplanes verlangt hat.

Darüber war sich Jesus schon während seines öffentlichen Wirkens in Galiläa im Klaren, er hat es den Jüngern mehrfach angekündigt. Aber als seine Verhaftung im Garten Gethsemane und der Gang nach Golgatha unmittelbar bevorstanden, flehte er in panischer Todesangst Gott an: Mein Vater, ist‘s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber: doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst! (Matthäus 26,39) Der Kelch, den Jesus meinte, war seine qualvolle Hinrichtung, vor der er sich verständlicherweise fürchtete. Aber er blieb Gott auch in der Furcht treu und verdrückte sich nicht im Schutz der Dunkelheit zurück nach Galiläa. Es war auch für Jesus nicht leicht, den Willen Gottes zu erfüllen.

Alle vier Evangelisten berichten, dass Jesus als Letztes vor seinem Tod noch zu trinken bekommen hat. Es war jedes Mal ein in Essig getauchter Schwamm, aber nur bei Johannes verlangte Jesus danach: Mich dürstet.(Johannes 19,28) 

Jesus hing bereits seit Stunden am Kreuz und die Sonne brannte auf seinen geschundenen Körper herab, als er wegen unerträglichem Durst um etwas zu trinken bat und auch bekam: „Da stand ein Gefäß voll Essig. Ein Soldat füllte einen Schwamm mit Essig und steckte ihn auf einen Stab und hielt ihn Jesus an den Mund.“ (Johannes 19,29)
Bei Lukas bekam Jesus zu trinken, ohne danach zu verlangen, sondern als Teil der Verhöhnung durch die römischen Kriegsknechte: „Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten hinzu und brachten ihm Essig.“ (Lukas 23,36) Ähnlich berichten Matthäus und Markus, allerdings ohne den Spott der Kriegsknechte.   Der Essig der Bibel ist allerdings nicht derselbe Essig, wie wir ihn heute als Gewürz in der Küche verwenden. Es war ein saurer Wein mit Wasser gemischt, dementsprechend ein kostengünstiges Erfrischungsgetränk für das einfache Volk und die Soldaten.

Nach Stunden der Marter spürte Jesus, dass sein Tod unmittelbar bevorstand, und er wusste, dass er es geschafft hatte, den Willen Gottes bis zum bitteren Ende zu erfüllen. Mit letzter Kraft rief er laut:Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.“ (Lukas 23,46) Und Gott wird ihn annehmen und das Heilsgeschehen nach drei Tagen vollenden. Jesus wird von den Toten auferstehen.

Endlich war es für den Gekreuzigten ausgestanden, mit ersterbender Stimme flüsterte er: Es ist vollbracht!“ (Johannes 19.30) Sein Kopf, den der geschwächte Körper nicht mehr halten konnte, kippte nach vorne und drückte die Luftröhre ab. Der Tod trat durch Ersticken ein.

Am Karfreitag brachte Jesus stellvertretend für uns Sünder, die wir die eigentlich Schuldigen am zerrütteten Verhältnis zwischen Menschen und Gott sind, ein Blutopfer am Kreuz dar. In der Antike war es allgemein religiöser Brauch, Gottheiten Opfer darzubringen, um sich ihr Wohlwollen zu sichern. Im Judentum wurden im Tempel Tiere auf dem Altar geschlachtet und Gott geopfert, damit er nicht zürnt und straft, sondern den Sündern vergibt.
Blutige Opferungen für einen milden Gott waren aber nicht mehr nötig, nachdem Jesus von Nazareth am Kreuz für uns geschlachtet worden ist, wie der Prophet Jesaja das stellvertretende Leiden des Messias angekündigt hatte: „Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jesaja 53,5)
Gott nahm das Opfer von Jesus an und lässt es in Hinkunft für alle schuldig gewordenen Menschen gelten. Es muss nicht mehr wiederholt werden, deshalb kennt das Christentum keine Opferriten. Seit dem Karfreitag genügen Reue und Bitte um Vergebung, um mit Gott ins Reine zu kommen.
Die Botschaft vom stellvertretenden Leiden und Sühnen fremder Schuld stand auch für den Apostel Paulus im Zentrum seiner Missionspredigt: „Denn als erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift.“ (1 Korintherbrief 15,3) Aber das ist nur der erste Teil des Heilshandelns Gottes, es folgt ein zweiter Teil, wie Paulus fortfährt: „und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift.“ (1 Korintherbrief 15,4)

Karfreitag und Ostern, Opfertod und Auferstehung von den Toten: beide zusammen sind das unverzichtbare Fundament christlichen Glaubens. Jesus Christus hat für uns sein Leben gegeben und dann wieder für uns zurückbekommen: damit hat er uns Menschen die Hofnung gegeben, dass uns ein liebender, versöhnlicher Gott eines Tages die Tür zu seinem Himmelsreich öffnet.

1 Kommentar:

  1. Der Beitrag regt mich sehr zum nachdenken und besinnen an. Es wurde gut ausgeführt, was am Karfreitag essentielles gilt und woran wir denken sollen an diesem Tag.

    AntwortenLöschen