Jesus Christus – ein Normalo mit Charisma
Ich schau mir schon seit Jahrzehnten keine Jesus-Filme mehr an. Seine pathetischen Darstellungen auf der Leinwand sind in meinen Augen völlig unglaubwürdig und haben mit dem Jesus aus dem Neuen Testament nichts zu tun.
Da wird ein Mann gezeigt, der hölzern dasteht, den Blick erhaben in die Ferne schweifen lässt und hochtrabend daherschwafelt. So einem langweiligen Prediger hätte keiner zugehört! Wenn ihn überhaupt einer beachtet hätte, wäre dieser lachend vorüber gegangen.
Das Traurige ist, dass diese realitätsferne Jesus-Darstellung auch die ist, die uns in den Kirchen und im Religionsunterricht serviert wird. Da darf sich keiner wundern, wenn Christen zunehmend mit diesem erhabenen Langeweiler nichts mehr anfangen können.
Wer aber nicht aufgeben und sich nicht von Jesus abwenden will, hat die Möglichkeit, sich im Neuen Testament über den echten Jesus kundig zu machen. Dank Martin Luther kann jeder Christ (oder der es noch werden will) die Bibel in die Hand nehmen und selber nachlesen und muss nicht den Worten eines Geistlichen vertrauen. Allerdings sei gewarnt, neugierig gewordene Leser könnten von der ungewohnten Jesus-Persönlichkeit geschockt sein, wenn sie sich an das süßliche Bild eines harmlosen Sozialreformers gewöhnt haben. Aber mein Rat aus eigener Erfahrung ist: unbedingt weiter lesen! Es lohnt sich, wenn man sich nicht abschrecken lässt, denn der Jesus, der damals die Menschen fasziniert hat, ist ein Kirchengründer, der auch heute Menschen in seinen Bann ziehen kann.
Man wird einem Revolutionär mit einer kraftvollen Sprache begegnen, der unangepasst einen neuen Weg eingeschlagen hat. Aber dessen ungeachtet verhielt sich Jesus wie ein ganz normaler Mensch während seines öffentlichen Wirkens, war nicht immer und überall der Prediger. Er suchte die Unterhaltung mit seinen Mitmenschen und hatte die üblichen Bedürfnisse wie Hunger und Durst und wurde müde wie jeder andere auch. Einen „perfekt funktionierenden Übermenschen“ sucht man in den Evangelien vergeblich – glücklicherweise!
So stellt man beim Lesen fest, dass man Jesus in keine religiöse Gruppe einordnen konnte und kann: er ist fromm und doch kein Frömmler, er befolgt die Gebote Gottes und ist doch kein Gesetzesfanatiker, der auf Buchstabentreue besteht. Er kümmert sich um sozial benachteiligte Mitmenschen und beschränkt sein Wirken doch nicht auf soziales Engagement. Sein Auftreten entsprach und entspricht nicht den üblichen religiösen Normen. Wohin also gehört Jesus? Fazit: Jesus gehört nirgends dazu, er ist anders und einzigartig – und es lohnt sich, ihn als jenen Kirchengründer im Neuen Testament kennenzulernen, als der er die Menschen zu seiner Zeit fasziniert hat. Und so – und nur so - wie er wirklich ist, kann er auch heute ein Vorbild für ein erfülltes, christliches Leben sein. Jesus führte auch als Prediger ein normales alltägliches Leben, aber seine Persönlichkeit hatte Charisma. Und deshalb erreichte er die Menschen mit seiner religiösen Botschaft, weil er als Prediger eine große Ausstrahlung und Glaubwürdigkeit hatte. Wenn man den Jesus der Evangelien verfälscht darstellt, verliert er beides und wird – wie wir es heute erleben - zur Randfigur im Christentum.
Nach diesen Ausführungen ist es keine überraschende Erkenntnis, dass Jesus auch als religiöser Reformer kein asketisches Leben führte. Auf heute übertragen würde man feststellen: er führte ein christlich-frommes Leben in einer säkularen Gesellschaft und teilte als Gläubiger mit seinen „multikulti“ Mitmenschen den normalen Alltag.
Johannes der Täufer hatte eine andere Lebensweise gewählt. Er hatte sich von der Gemeinschaft abgesondert und lebte voller Verzicht am Rande der Wüste: „Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Lenden und aß Heuschrecken und wilden Honig.“ (Markus 1,6). Er war ein strenger Asket und doch nicht der Erlöser - das war Jesus, der auf fromme Äußerlichkeiten keinen Wert legte.
Damit eckte Jesus bei den Pharisäern und Schriftgelehrten an. Die Geistlichen konnten nicht verstehen, dass Jesus es ablehnte, seinen Glauben durch strikte Gesetzeseinhaltung wie ein grelles Transparent vor sich her zu tragen. Jesus war gegen starre religiöse Regeln nur um der Regeln willen. Von besonderen Frömmigkeitsübungen hat er nichts gehalten, rituell abgespulte Religiosität war ihm ein Gräuel. Also tat er es auch nicht.
Folgedessen hatte Jesus kein Interesse am Fasten. Auf Vorwürfe antwortete er mit einem Gleichnis: „Wie können die Hochzeitsgäste fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist? Solange der Bräutigam bei ihnen ist, können sie nicht fasten.“ (Markus 2,19) Das bezog Jesus damals auf seine Jünger und Anhänger, aber es gilt auch für uns heute: denn seit seiner Auferstehung von den Toten ist Jesus immer bei uns. Wir können jederzeit zu ihm beten und wissen, dass wir unter seiner Obhut stehen. Fastenübungen sind überflüssig, denn Jesus, der Bräutigam, ist mitten unter uns.
Jesus war ein geselliger Mann. Er nahm an Festen teil und an Abendessen in Gemeinschaft mit den unterschiedlichsten Leuten. Er war in Kana Gast bei einer Hochzeit, wo er bekanntlich mit einem Wunder einspringen musste, als der Wein ausging. Jesus setzte sich des Nachts mit dem Pharisäer Nikodemus zum gemütlichen Meinungsaustausch zusammen. Große Aufregung verursachten seine gemeinsamen Mahlzeiten mit den wegen ihres betrügerischen Abkassierens verachteten Zöllnern. Alle diese Berichte zeigen, dass Jesus einem geselligen Zusammensein nicht abgeneigt war, auch wenn er damit Verständnislosigkeit erntete: „Johannes der Täufer aß kein Brot und trank keinen Wein, so sagt ihr: Er ist besessen. Der Messias ist gekommen, isst und trinkt, so sagt ihr: Siehe, dieser Mensch ist ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder!“ (Lukas 7,33.34)
Jesus war auch immer wieder erschöpft und brauchte eine Erholungszeit, in der er sich in die Einsamkeit und Stille zurückzog. Seine öffentlichen Auftritte kosteten ihn viel Kraft, denn während er durch Galiläa zog, hatte er nicht nur immer seine Jünger um sich, sondern auch eine große Anhängerschaft. Wo immer der Rabbi aus Nazareth hinkam, drängten sich die Menschen um ihn. Er war nie allein. Und wenn Jesus in seinen Predigten eindringlich vom Reich Gottes verkündete, war er danach erschöpft und ruhebedürftig und wollte abschalten. So wie wir das auch von uns kennen, wenn wir uns für eine Sache besonders engagieren. Wir legen dann eine Pause ein, um neue Energie zu schöpfen – und das machte auch Jesus.
Nach dem Speisungswunder etwa schickte er seine Jünger im Boot über den See Genezareth und entließ die Menschenmenge nach Hause: „Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war er dort allein.“ (Matthäus 14,23)Sehr aufgewühlt hatte ihn auch das Streitgespräch mit den Pharisäern über Reinheit und Unreinheit beim Essen. Das Einhalten der strengen Speiseverbote bestimmter Lebensmittel war ein Grundpfeiler der jüdischen Religion, aber Jesus sah deren Sinn nicht ein, lehnte sie strikt ab und geriet darüber hart mit den Geistlichen aneinander: „Danach ging Jesus von dort weg und zog sich zurück in die Gegend von Tyros und Sidon.“ (Matthäus 15,21) Diese Städte lagen außerhalb von Galiläa, Jesus brauchte offenbar sehr großen Abstand. Wenn er sich von der Anspannung erholt hatte, kehrte er zurück zu den Menschen und erfüllte weiter seine Aufgabe, das Wort Gottes zu verkündigen.
In seinen Predigten sprach Jesus vom vergebungsbereiten, liebenden Gott. Und die Menschenmenge hörte ihm begeistert zu, weil er ihnen einen Gott näher brachte, bei dem sie Geborgenheit finden konnten, und der sie nicht danach beurteilte, ob sie alle Gesetzesregeln punktgenau eingehalten haben. Durch seinen Lebenswandel, der Askese genauso ablehnte wie die öffentliche Zurschaustellung von Frömmigkeitsübungen, unterstrich Jesus seine Botschaft, dass der Glaube und ein reines Herz zu Gott führen. Das Entscheidende am christlichen Leben ist nicht das Sammeln von frommen Werken, die wie nach einem Kochrezept abgespult werden. Ein Christ führt genauso ein vielfältiges, alltägliches Leben wie ein Nicht-Christ auch - aber in allem, was er tut, lässt er sich von Jesus leiten. Im Kleinen wie im Großen.
Ein Christ ist nicht nur dann ein guter Christ, wenn er durch spektakuläre Hilfsbereitschaft auffällt. Für Christen ist jeder Mitmensch der Nächste, nicht nur der, den man mit Almosen überhäufen kann. Jesus lehrte zu teilen, das ist etwas Anderes als gönnerhaft Geld für Bedürftige locker zu machen. Sein Einkommen zu teilen ist eine Gewissensfrage für Konsumenten. Will ich nur so einkaufen, dass ich allein davon profitiere, weil ich möglichst billig alles erstehe und dann noch vieles im Geldbörsel habe für Spaß und Prunk? Oder richte ich mein Kaufverhalten danach aus, dass ich in kleine, etwas teurere Geschäfte gehe und so die Existenz vieler Mitmenschen sichere, weil ich mit weniger Überfluss zufrieden bin? Das sind keine spektakulären Hilfsaktionen, mit denen man es in die Schlagzeilen der Medien schafft. Aber es ist das, was Jesus will: füreinander auch im Alltag dasein, weil jeder der Nächste ist. Wenn jeder Christ mit weniger privatem Wohlstand zufrieden ist, dann sind weniger von Armut bedroht, weil das Geld gerechter im Umlauf ist – und man selber muss deshalb auch nicht darben. Man teilt und nimmt Verzicht auf Überfluss in Kauf, Tag für Tag, weil in einer christlichen Gemeinschaft materielle Werte keinen höheren Stellenwert haben (dürfen) als das Wohlergehen aller Mitmenschen. Darin liegt auch die Stärke des christlichen Lebens: es zeigt sich nicht in großen Aktionen, sondern im alltäglichen Zusammenleben. Christsein ist im Alltag erkennbar im rücksichtsvollen Umgang mit allen Mitmenschen.
Man kann Gott nicht mit frommen Werken bestechen. Wenn der aufrechte Glaube an Jesus als den Messias fehlt, kann man Frömmigkeitsübungen gleich bleiben lassen. Aber wenn Jesus das Fundament christlichen Lebens ist, dann ist das ein Segen für alle Menschen. Ein Christ, der allein Jesus in den Mittelpunkt seines Lebens stellt „ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht. Und was er macht, das gerät wohl.“ (Psalm 1,3)
Jesus unterstrich durch seine Lebensweise die Glaubwürdigkeit seiner Predigten. Er lebte vor, was er redete, und die Leute sahen es und nahmen ihn zum Vorbild. Und wir heute sollten das auch tun und Jesu Worten vertrauen und ihm nachfolgen: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.“ (Johannes 13,15) Dann gewinnt die ganze Welt.
Ein sehr interessanter und ausagekräftiger Beitrag. Mich hat es Jesus und Gott näher gebracht, als ich selbst das Neue Testament gelesen habe. Es lohtn sich, wie es auch im Beitrag steht!
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