Sonntag, 5. November 2017


Jesus als Wunderheiler

Die Wundergeschichten der Evangelien bilden einen wesentlichen Teil der Berichte über Jesus von Nazareth und kommen sehr häufig vor. Es wird teils von Wundern erzählt, die an Jesus selbst geschehen sind (Geburt und Auferstehung), teils von Wundern, die er auf seinen Wanderungen vollbrachte.

Nachdem Jesus seinen Heimatort Nazareth verlassen hatte, trat er öffentlich auf: „Und Jesus zog umher in ganz Galiläa, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen im Volk.“ (Matthäus 4,23) Jesus suchte den Kontakt zu den Benachteiligten der Gesellschaft und sprach ihnen Trost und die Hoffnung zu, dass Gott sie nicht vergessen hat. Diese Liebe und Zuwendung Gottes unterstrich er durch Wundertätigkeiten.

Die Wunder, die Jesus im Namen Gottes vollbrachte, weisen ihn als den prophezeiten Messias aus. Sie haben Symbolcharakter, weil sie zeigen, wer Jesus tatsächlich ist, nämlich der Sohn Gottes und nicht nur ein engagierter Sozialreformer. Die Wundertaten betonen auch die Wichtigkeit des Glaubens, der Voraussetzung und Folge des Wunders ist: „Da wandte sich Jesus um und sprach: Sei getrost, meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen! Und die Frau wurde gesund zu derselben Stunde.“ (Matthäus 9,22) Und die, die er geheilt hatte, wurden zu seinen Anhängern.

Dem Rabbi aus Nazareth ging es nicht darum, seine Zuhörer mit „zauberischem Können“ zu beeindrucken oder die menschliche Sensationslust zu befriedigen. Solche Schauwunder lehnte er als Satanswerk ab, wie wir in der Versuchungsgeschichte (Matthäus 4,1-11; Lukas 4,1-13) nachlesen können: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen!“ (Matthäus 4,7; Lukas 4,12)

Jesu Wunder sind ausschließlich helfende Wunder - Teil der Zuwendung Jesu zum Menschen und Zeichen des Eingreifens Gottes in die Welt. Sie haben denselben tieferen Sinn wie seine Predigten: sie sollen den Menschen die uneingeschränkte Liebe Gottes vor Augen führen und auf das Reich Gottes hinweisen. In seinen Wundertaten führte Jesus vor, wie es den Menschen ergehen wird, die ins Paradies eingehen werden: kein Leid, keine Diskriminierung, keine Krankheiten, keine Naturkatastrophen, kein Tod.

Jesu Wunder stellen das Heilen einer „defekten Situation“ dar. In den meisten Fällen ist der Hilfsbedürftige ein leidender Mensch mit einer Krankheit, die zur damaligen Zeit ohne Chance auf Heilung war: „Es war aber dort ein Mensch, der lag 38 Jahre krank. Als Jesus den liegen sah und vernahm, dass er schon so lange gelegen hatte, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden?“ (Johannes 5,5.6)

Die Medizin war weit vom heutigen Wissensstand entfernt, und für viele Erkrankungen fand man keine andere Erklärung als die Bestrafung Gottes oder teuflische Besessenheit. Deshalb beschrieben die Evangelisten die Dämonenaustreibungen durch Jesus auch im Kontext der Zeit als Sieg über die bösen Mächte. Sie wussten noch nichts von angeborenen Behinderungen und Geisteskrankheiten. Heute verstehen wir diese Heilungen anders: Jesus hat durch seine liebevolle Zuwendung zu behinderten Menschen, mit denen sonst keiner etwas zu tun haben wollte, eine beruhigende Wirkung auf diese ausgeübt und ihnen ihre Gleichwertigkeit als Geschöpfe Gottes bewiesen. Das gab ihnen ihren Platz in der Gesellschaft zurück: „Und Jesus trieb einen bösen Geist aus, der war stumm. Und es geschah, als der Geist ausfuhr, da redete der Stumme.“ (Lukas 11,14)

Auch führte Jesus anhand von drei Menschenschicksalen vor Augen, dass er im Namen Gottes Herr über den Tod  ist (Tochter des Jairus: Matthäus 9,18-26; Jüngling zu Nain: Lukas 7,11-17; Lazarus: Johannes 11,1-44). Es war eine Demonstration gegen die strengen kultischen Reinheitsvorschriften, die im jüdischen Glauben einen so überragenden Raum einnahmen, dass sie von den Pharisäern über die Mitmenschlichkeit gestellt wurden. Das prangerte Jesus in seinem Gleichnis vom barmherzigen Samariter an, als der Priester und der Levit dem Schwerverletzten nicht helfen wollten, weil sie ihn schon für tot oder sterbend hielten und sich nicht kultisch verunreinigen wollten.
Nach dem Gesetz Mose macht das Berühren einer Leiche kultisch unrein und erlaubt die Teilnahme an Gottesdiensten und Opferungen erst wieder nach zahlreichen vorgeschriebenen Reinigungsbädern. Jesus hat diese strengen Reinheitsgebote nicht eingehalten, als er die drei Toten, die nicht einmal seine nächsten Anverwandten waren, vorsätzlich angefasst und auferweckt hat: „Und Jesus trat hinzu und berührte den Sarg, und die Träger blieben stehen. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, steh auf! Und der Tote richtete sich auf und fing an zu reden, und Jesus gab ihn seiner Mutter.“ (Lukas 7,14.15) Von anschließenden Reinigungsriten, die Jesus an sich durchführte, ist nichts bekannt.

Jesus hat sich nicht allein darauf beschränkt, Menschen zu helfen, die aufgrund von körperlichen Problemen und ihren Folgen nur noch auf ihn hoffen konnten. Er griff auch ein, wenn Naturgewalten das Leben der Leute akut bedrohten. Als er beispielsweise mit seinen Jüngern über den See Genezareth fuhr, „erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, so dass das Boot schon voll wurde.“ (Markus 4,37) Die Jünger kamen in Panik und hatten Todesangst, aber Jesus schlief ruhig auf einem Kissen. In großer Furcht weckten ihn die Jünger: „Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? Und Jesus stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem See: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich und es entstand eine große Stille.“ (Markus 4,38.39)

Ob wir in Zeiten des durch die Menschen verschuldeten Klimawandels und der dramatischen Erderwärmung auch auf ein Wunder Jesu hoffen dürfen? Es scheint mir, als ob die verantwortlichen Politiker dies erwarten. Denn anders kann ich mir nicht erklären, warum sie keine wirkungsvollen Gegenmaßnahmen treffen. Oder gehen sie etwa davon aus, dass Naturkatastrophen und Hungersnöte ihnen als „Elite“ nichts anhaben können?


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