Jesus und die Samaritanerin
(Johannes Evangelium 4,1-42)
Der schmale Landstreifen zwischen Libanon im Norden und Sinai im Süden ist ein geschichtsträchtiger Boden. Wir wissen so viel über die wechselvollen Ereignisse in diesem Teil der Welt, weil es das „Gelobte Land“ der Israeliten war und ihre Priester den Werdegang schriftlich überliefert haben. Das Alte Testament berichtet detailliert über die Besiedlung durch die Hebräer, beginnend mit Abraham und endend mit der Rückkehr aus dem babylonischen Exil.
Zur Zeit Jesu war aus dem ehemaligen Kanaan Palästina geworden und stand unter römischer Vorherrschaft. Es war in drei Landesteile aufgeteilt: im Norden Galiläa, daran anschließend Samaria und im Süden Judäa mit Jerusalem als Zentrum.
Aber die Geschichte hatte ihre Spuren in der Mentalität der Bewohner hinterlassen. Samaria in der Mitte des jüdischen Landes war ein Fremdkörper, und schuld daran waren die Assyrer. Aber die Wurzeln für die Entfremdung reichen in frühere Zeiten zurück, als das einheitliche israelitische Staatengebilde in zwei unabhängige Königreiche auseinanderbrach.
920 v. Chr. trennte sich der nördliche, größere Teil der israelitischen Stämme vom Herrscherhaus Davids. Nach Salomons Tod weigerten sich die zehn Stämme im Norden, seinen Sohn Rehabeam zum König zu wählen und begründeten damit ein zweites, unabhängiges Königreich „Israel“ mit einem eigenem Herrscher, Jerobeam. Der spätere König Omri ließ Samaria als eigene Hauptstadt erbauen.
Das Glück des kleinen Staates währte rund 200 Jahre. Zwischen 727-722 v. Chr. wurde das Nordreich Israel von der neuen Großmacht Assyrien erobert, und der größte Teil der Bevölkerung (Oberschicht, Handwerker, Geistliche, Intellektuelle) wurde verschleppt und in einem anderen Teil des assyrischen Reiches angesiedelt. Wohin sie kamen, konnte bis heute nicht herausgefunden werden, sie verschwanden spurlos aus der Geschichte. Im Gegenzug zu deren Deportation haben die Assyrer unterworfene Völker aus einem anderen Teil ihres Reiches im ehemaligen Nordreich angesiedelt. Auf diese Weise entstand eine jüdisch-heidnische Mischbevölkerung, die von den Juden nicht als ebenbürtig akzeptiert werden wird.
Dem Südreich Juda, das der Dynastie König Davids die Treue gehalten hatte, stand ein hoffnungsvolleres Schicksal bevor. Es existierte 200 Jahre länger als der nördliche Bruderstaat, erst 586 v. Chr. wurde es von der neuen Großmacht Babylonien erobert, der Tempel zerstört und ebenfalls ein Großteil der Bevölkerung deportiert. Aber anders als den Menschen von Israel wurde den von Juda ein gemeinsamer Siedlungsraum in der Nähe der Hauptstadt Babylon zugewiesen, wo sie nach ihrem Glauben leben durften. Und dann nahte das Ende des „Babylonischen Exils“: 538 v. Chr. unterwarf eine andere, neue Großmacht Babylonien und eroberte deren Gebiete. Die Perser erlaubten den Juden nach 50 Jahren Exil die Rückkehr nach Palästina, in ihre Heimat. Es war jedoch keine staatliche Unabhängigkeit, die sie bekamen, sie wurden von persischen Statthaltern regiert. Aber zum Unterschied vom Nordreich gab es keine Mischbevölkerung auf ihrem Wohngebiet, denn die Babylonier hatten keine fremden Ansiedlungen vorgenommen.
Die Juden, die aus dem Exil zurückkehrten, stellten strenge Anforderungen an den Neuanfang: es sollte nur das alte, unvermischte Gottesvolk dazu gehören. Und so verweigerten sie den Samaritanern die Teilnahme am Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem. Das hatte Feindschaft zur Folge. Die Samaritaner erbauten daraufhin auf dem Berg Garizim einen eigenen Tempel. Die beiden Nachbarn gingen sich nach Möglichkeiten in Hinkunft aus dem Weg. An dieser Situation hatte sich zur Zeit Jesu nichts geändert.
Im Johannes Evangelium wird nun davon berichtet, dass Jesus in Samaria Halt gemacht hat. Er hatte sich längere Zeit in Jerusalem aufgehalten. Nach Auseinandersetzungen mit Pharisäern wegen des Taufens „verließ Jesus Judäa und ging wieder nach Galiläa.“ (Johannes 4,3) Sein Weg führte durch Samaria. Bei Sychar legte Jesus ermüdet an einem Brunnen eine Rast ein. Es war ein geschichtsträchtiger Ort mit dem Namen „Jakobsbrunnen“, weil er nahe bei dem Feld war, das Jakob einst seinem Lieblingssohn Josef zugeteilt hatte: „Ich gebe dir ein Stück Land vor deinen Brüdern, das ich mit meinem Schwert und Bogen aus der Hand der Amoriter genommen habe.“ (1. Mose 48,22)
Jesus saß nun also alleine am Brunnen. Seine Jünger waren zum Einkaufen in die nahe gelegene Stadt gegangen. Der Rabbi war müde von der langen Wanderung und lehnte sich zum Entspannen an den Steinbrunnen. Es war die 6. Stunde. Jesus blieb aber nicht lange allein.
Eine Samaritanerin kam mit ihrem Krug des Weges und wollte Wasser schöpfen. Jesus war durstig und bat die Frau: „Gib mir zu trinken!“ (Johannes 4,7b) Die Samaritanerin reagierte erstaunt: wie kann ein Jude sie, die Samaritanerin, um Wasser bitten? Normalerweise gingen sich beide Bevölkerungsgruppen strickt aus dem Weg.
Aber mit seiner Bitte an die Samaritanerin unterstrich Jesus, dass seine Mission über das Judentum hinaus ging. Mit seinem Verhalten gegenüber der Samaritanerin zeigte der Rabbi aus Nazareth, dass sich seine Botschaft an alle Menschen richtet: „Wenn du erkennst die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken! Du bätest ihn, und der gäbe dir lebendiges Wasser.“ (Johannes 4,10) Damit will Jesus sagen, dass jeder, unabhängig von seiner Herkunft, eingeladen ist, sich zum Messias, der von Gott zum Heil in der Welt gesandt wurde, zu bekennen. Wer vom Brunnen trinkt, wird wieder durstig werden. Aber wer vom Wasser trinkt, das Jesus gibt, wird in Ewigkeit nicht dürsten. Dieses Wasser wird im Menschen zur Quelle, die zum ewigen Leben führt.
Während dieses Gesprächs waren Jesus und die Frau allein am Jakobsbrunnen. Aber dann kamen seine Jünger aus der Stadt mit Lebensmitteln zurück und drängten den Rabbi zu essen. Da ließ die Samaritanerin den Krug stehen und eilte in den Ort, um ihren Landsleuten von Jesus zu berichten: „Kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe, ob er nicht der Christus sei!“ (Johannes 4,29) Als die Leute das hörten, wurden sie neugierig und gingen hinaus zum Brunnen, an dem Jesus noch mit seinen Jüngern lagerte. Der Bericht der Frau hatte ihre Landsleute beeindruckt, und sie wollten mehr Worte von Jesus persönlich hören. Deshalb baten die Samaritaner Jesus darum, länger bei ihnen zu bleiben. Er nahm die Einladung gerne an und hielt sich weitere 2 Tage in ihrer Stadt auf. In dieser Zeit predigte ihnen Jesus das Evangelium und überzeugte die Leute von seiner göttlichen Mission: „Dieser ist wahrlich der Welt Heiland.“ (Johannes 4,42b)
Indem Jesus sich den Samaritanern als Messias zu erkennen gab, machte er den Universalanspruch des Evangeliums deutlich. Sein Auftrag an seine Jünger zur Missionierung soll sich nicht auf die Grenzen Judäas beschränken, sondern weltumspannend sein.
Jesus rief seine Jünger
zur Ernte jener Früchte auf, die er als Wanderprediger ausgesät
hatte: „Hebt eure
Augen auf und seht auf die Felder, denn sie sind reif zur Ernte.“
(Johannes 4,35b)
Einer seiner Jünger, Philippus, wird sich der Begebenheit am Brunnen erinnern und zur „Ernte“ nach Samaria zurückkehren und die Verkündigung fortsetzen, die Jesus begonnen hatte – mit großem Erfolg: „Als sie aber den Predigten des Philippus von dem Reich Gottes und von dem Namen Jesu Christi glaubten, ließen sich taufen Männer und Frauen.“ (Apostelgeschichte 8,12)
Aber es bleibt noch genug Arbeit für uns Christen heute. Noch warten viele reife Felder darauf, dass Erntehelfer kommen. Am 24. Dezember feiern die Christen die Geburt Jesu. Gibt es einen besseren Anlass, um sich darauf zu besinnen, das Evangelium zu all jenen zu bringen, die es noch nicht kennengelernt haben? Oder es jenen wieder näher zu bringen, die meinen, es nicht zu gebrauchen?
Ein sehr interessanter und umfassender Beitrag! Viele spannende, geschichtliche Fakten waren dabei :)
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