Die
Kirche Jesu Christi, unseres Herrn
Im
Jahre 381 ließ der römische Kaiser Theodosius I. die heidnischen
Tempel schließen und das Christentum zur Staatsreligion erheben. Aus
der kleinen Gruppe, die sich einst in Galiläa um den Nazarener Jesus
versammelt hatte, war durch unermüdliche Missionsarbeit und
Festigkeit im Glauben die bestimmende Reichsreligion geworden. Die
Jünger hatten den Aufruf ihres Rabbis beherzigt: „Die
Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum
bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.“
(Matthäus 9,37.38)
Das
ist zu Pfingsten passiert. Durch das Eingreifen Gottes, der die
Jünger mit dem heiligen Geist erfüllte und dadurch mit dem Mut zur
Mission ausstattete, wurden sie zu den ersten Aposteln, die weitere
Arbeiter für die Ernte gewannen. Die Jünger traten öffentlich auf
als Verkündiger des Messias in der Person des Jesus von Nazareth,
der die Hoffnung auf die Vergebung Gottes in die Welt gebracht hatte:
„Und in keinem
andern ist das Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den
Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden.“
(Apostelgeschichte 4,12)

Viele,
die zu Schawuot, dem Erntedankfest zum Abschluss der Getreideernte,
nach Jerusalem gekommen waren und die aufwühlende Rede des Simon
Petrus gehört hatten, ließen sich taufen und nahmen das Evangelium
mit in ihre Heimat. Die christliche Religion überschritt die Grenze
von Palästina. Diese Entwicklung beschleunigten jene Getauften,
denen es nicht genügte, im Alltag nach dem Evangelium zu leben. Sie
wollten als Missionare zu den Andersgläubigen im Römischen Reich
hingehen und sie mit ihren Predigten zur Umkehr und zur Taufe
aufrufen. Der Berühmteste unter ihnen war Paulus aus Tarsos, der
durch sein unermüdliches Wirken den Grundstein zur christlichen
Weltreligion legte. Wichtig war von Anfang an, dass das Christentum
als Gemeinschaft wuchs, deren Mittelpunkt allein Jesus Christus ist:
„Und seid darauf
bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des
Friedens: ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer
Hoffnung eurer Berufung: ein Herr, ein
Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der da ist über allen
und durch alle und in allen.“
(Epheserbrief
4,3-6)
Diese Einigkeit zu erhalten sollte sich allerdings im Laufe der
Kirchengeschichte als schwieriger erweisen als es in der Euphorie zu
Pfingsten erwartet wurde.

Als
Jesus noch durch Galiläa wanderte und zu den Menschen vom Gott der
Liebe, dem Vater im Himmel, predigte, erzählte er bevorzugt - zum besseren
Verständnis - in Gleichnissen aus der bäuerlichen Lebenswelt der
Zuhörer. Einer dieser Vergleiche handelte vom Wachstum eines
Senfkorns: „Das
Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf
seinen Acker säte; das ist das kleinste unter allen Samenkörnern;
wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter und
wird ein Baum, so dass die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen
in seinen Zweigen.“ (Matthäus
13,31.32) Damit
zieht Jesus auch eine Parallele zum Weg des Christentums in der Welt:
aus dem monotheistischen Glauben einer Sippe erwuchs es im Laufe von zwei Jahrtausenden zur Weltreligion mit den meisten Mitgliedern. Das
Evangelium prägte in
immer stärkerem Ausmaß die Zukunft der
Menschheit.
Das
erste Senfkorn wurde in Mesopotamien gepflanzt, als der Nomade
Therach mit seiner Sippe den Süden verließ und in den Norden weiter
zog. Warum hat er mit seiner Großfamilie das wohlhabende,
komfortable Ur, die Hauptstadt
der Sumerer, verlassen und sich im kaum bekannten Haran
niedergelassen? War er je Bürger von Ur oder ohnehin nur
„durchziehender Nomade“ gewesen? Seine
Stütze waren seine drei
erwachsenen Söhne
Abraham, Nahor und
Haran. Das
1. Buch Mose berichtet ausführlich über die Großfamilie
des Therach, nennt aber
keine Gründe für den Wohnortwechsel.
Aber dass
ein Plan Gottes dahinter steckte,
wird deutlich, als er Therachs
ältesten Sohn weiter nach Kanaan schickte
und den Rest der Sippe
in Haran wohnen ließ
- mit einer klaren
Botschaft an Abraham:
„Ich
will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen
großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.“ (1
Mose 12,2)

Abraham gehorchte Gott
und brachte
den Monotheismus, dem er
anhing, mit
in ein Land, in dem es
ausschließlich
den Polytheismus gab.
Vielen Göttern wurden
auf vielen Altären Brandopfer dargebracht. Diesem religiösen Brauch
folgte auch Abraham, aber er rief
nur den Namen
des einzigen
Gottes
im Himmel an,
dessen Willen er mit der Übersiedlung nach Kanaan ausführte. Er
hinterfragte Gottes Plan nicht, es würde schon einen Sinn machen:
„Deinen
Nachkommen will ich dies Land geben. Und Abraham baute dort einen
Altar des Herrn, der ihm erschienen war.“ (1
Mose12,7)
Der
religiöse Sinn
hinter der Patriarchen-Geschichte eröffnete
sich Jahrtausende später, nachdem
die Sippe des Therach
zum
Volk der Israeliten herangewachsen
war und
die Geschichte Kanaans prägte.
Die Israeliten hatten
Königreiche errichtet,
die jedoch nicht
von Bestand waren. Politisch
blieb die Lage instabil, aber die Religion des Eingottglaubens
verfestigte sich. Religiöse Schriften entstanden, die Geschichte
und Kult der Jahwe-Verehrung für die
nachfolgenden
Generationen fest
hielten. Aber nicht nur
Vergangenheit und Gegenwart fanden sich in den heiligen Schriften,
sondern auch die Zukunft: die Ankündigung der Geburt des Messias,
der die Menschen von den
Sünden
erlösen wird: „Und
es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamme Isais und ein Zweig aus
seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des
Herrn.“ (Jesaja
11,1.2a)

Nach
dem Willen Gottes sollte also gerade von diesem schmalen
Küstenstreifen im Vorderen Orient ausgehend der Glaube an den einen
einzigen Gott die Welt erobern – durch das Kommen des Heilandes in
die Welt. Am Anfang dieser Entwicklung stand die Besiedelung Kanaans
durch die Israeliten, die die Verehrung Jahwes als alleinig
existierenden Gott mitgebracht und durchgesetzt hatten. Baal und
Astarte wurden Schritt für Schritt zurückgedrängt und mussten
letzten Endes weichen. Die vielen Götter Kanaans verschwanden aus
der Gesellschaft, die Nachkommen Abrahams beteten allein
zu Jahwe, errichteten ihm einen einzigen Tempel im Land. Die Saat des
Senfkorns, dessen Wachstum Jesus in seinem Gleichnis bildlich
dargestellt hatte, war aufgegangen. Der Stamm war dank kräftiger
Wurzeln im Erdreich in die Höhe gewachsen, viele junge Triebe
verhießen eine fruchtbare Zukunft. Aus dem ersten zarten Pflänzchen
war ein junger, kräftiger Baum geworden. Wenn man das Gleichnis
umlegt auf die reale historische Situation, bedeutet es, dass das von
Gott den nomadischen Erzvätern zugewiesene Siedlungsland bereit war
für das Erlösungswerk Gottes, das er allen Menschen auf der Welt
anbieten wollte. Es war alles gerichtet für das Kommen des Messias.

Die
Zeit der Patriarchen lag viele Jahrhunderte zurück. Aus Kanaan war
längst Palästina geworden und gehörte zum Römischen Reich, als in
dieser politisch wenig beachteten Gegend der prophezeite Messias
geboren wurde: „Denn
also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab,
damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das
ewige Leben haben.“ (Johannes 3,16)
Mit der Geburt des Jesus von Nazareth,
des
Heilands, den Gott
als
Hoffnung für
die Sünder
in die Welt gesandt hatte,
begann sich
eine Veränderung im religiösen Leben der Menschen zu vollziehen.
Der Glaube an den einzigen Gott, der das Wesen des Volkes
Israel prägte, begann mit Jesu Geburt seinen Siegeslauf zu jenen
Völkern, die zu dieser Zeit in ihren Tempeln noch immer ihren vielen
Göttern huldigten und Opfer darbrachten. Sie ließen sich durch die
Missionare vom Evangelium überzeugen und schworen ihren vielen
Göttern, die ihren religiösen Sinn verloren hatten, ab. Das
Evangelium vom Sühneopfer Jesu am Kreuz und seiner Auferstehung am 3. Tag
vermittelte den Heiden ein ganz neues Gottesbild: es ging um die
Vergebung von Schuld durch einen gnädigen Gott und das ewige Leben
im Paradies nach dem Tod. Und Jesus von Nazareth, der verheißene
Messias, war der Schlüssel, der die Tür zum Reich Gottes im
Jenseits öffnete: „Ich
bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird
leben, auch wenn er stirbt; wer da lebt und glaubt an mich, der wird
nimmermehr sterben.“ (Johannes
11,25.26) Die Vergebung der
Sünden durch einen liebenden Gott ohne Gegenleistung und die
Auferstehung von den Toten am Ende der Zeit für ein ewiges,
glückliches Leben im Reich Gottes gaben den Menschen in ihrem
Erdendasein einen neuen religiösen Sinn. Sie lernten die
Geborgenheit durch einen beschützenden Gott kennen, an den sie sich
jederzeit im Gebet wenden konnten.
Den
Grundstein zur christlichen Weltreligion hat Jesus von Nazareth
dadurch gelegt,
dass
er als Wanderprediger in
Galiläa die kultischen
Gesetze der Tora
neu auslegte und sie zu einer Ethik des Evangeliums umformte, die auch
die Anhänger polytheistischer Religionen in ihrem Alltagsleben
übernehmen konnten. So hat Jesus etwa die strengen Reinheitsvorschriften abgelehnt
und während
seines Wirkens als
Prediger
auch nicht
eingehalten. Er konnte
am
Genuss bestimmter
Speisen, die als
verboten galten, nichts
religiös Verwerfliches erkennen: „Was
zum Mund hinein geht, das macht den Menschen nicht unrein; sondern
was aus dem Mund herauskommt, das macht den Menschen unrein.“
(Matthäus15,11)
Und damit meinte Jesus
u.a. böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Diebstahl, Lüge,
Lästerungen. So
machte Jesus das Essen einfach zu dem, was es eben ist: Essen zur
Ernährung und kein
religiöser
Verdienst, mit dem man
Gott beeindrucken kann.
Jesus ersetzte die
Befolgung
von Kultvorschriften
durch den Glauben, der
allein auf der Gesinnung beruhte. Gottes Liebe konnte man als Christ
nicht mehr durch fromme Übungen erlangen.
Die Getauften
begannen ein neues Leben, das
nur auf
dem Vertrauen auf den
Messias fußte:
„Ich
bin in die Welt gekommen, als ein Licht, damit, wer an mich glaubt,
nicht in der Finsternis bleibe.“ (Johannes
12,46)

Die
Botschaft vom Evangelium richteten die Missionare an alle, die sie
hören wollten – so wie Jesus einst in Galiläa zu einer sehr
gemischten Menschenmenge gesprochen hatte. Das war für die
urchristliche Gemeinde das Charakteristikum, dass sie aus
allen Gesellschaftsschichten und aus jedem Alter bestand und alle gleichwertig waren. Jeder, der
sich taufen lassen wollte, war willkommen: „Denn
ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid,
habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier
ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr
seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Galaterbrief
3,27.28)
Das
Christentum breitete sich im Römischen Reich unaufhaltsam aus. Der
Baum, der aus dem Samen des Senfkorns in Galiläa heran gewachsen
war, strebte in die Höhe und entfaltete sein breites Geäst. So
hatte Jesus von Nazareth es in seinem Gleichnis angekündigt, dass
das kleine Senfkorn,
wenn
es gewachsen ist, „größer wird als
alle Kräuter und ein Baum, so dass die
Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen.“
(Matthäus
13,32b)
Kaiser
Konstantin
hatte
begriffen, dass die christliche Religion nicht mehr
zu
besiegen war und die alten Götter des
Römischen Reiches
ausgedient hatten. Deshalb
erklärte
er 313
das
Christentum zur „erlaubten Religion“ und förderte sie sehr. Die
Folge war, dass die Mitgliederzahlen
sehr schnell anstiegen. Und als Kaiser Theodosius I. das Christentum 381 zur
allein zugelassenen Staatsreligion erhob, erschien die Zukunft der
Kirche in rosigem Licht.
Aber
mit der religiösen Machtposition kamen die theologischen
Streitigkeiten, und die Einheit der christlichen Kirche ging im Laufe
ihrer mehr als 2000jährigen Geschichte unwiederbringlich verloren.
Der eine starke Stamm, der die üppige Baumkrone trug, teilte sich
zuerst in zwei kräftige Äste, danach musste einer von ihnen eine
weitere Abspaltung erleben. Es waren zwei entscheidende Ereignisse,
die diese nachhaltigen Veränderungen für die christliche
Gemeinschaft mit sich brachten - und die bis heute andauern. Es
handelt sich dabei um den Bruch zwischen Ost- und Westkirche im 11.
Jh. und die Reformation im 16.Jh. Doch weder Verfolgungen noch
dogmatische Streitigkeiten konnten das Anwachsen des Christentums
bremsen oder gar beenden. Krisen und Streitigkeiten bis hin zu
Konfessionskriegen gab es mehr als genug, aber der Glaube an Jesus
Christus und sein Erlösungswerk erwiesen sich als starkes Fundament.
Der Baum blieb groß und üppig, das Christentum die größte
Weltreligion.

Die
christliche Kirche ist eine Gemeinschaft, die im Glauben vereint ist.
Ihr Fundament ist der Messias:
„Einen andern Grund kann niemand legen
als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ (1
Korintherbrief 3,11)
Jeder, der sich taufen lässt,
trägt
seinen Teil dazu bei, dass der Baum, der
aus dem Senfkorn gewachsen ist, weiter kräftig
nach oben strebt und sich seine Baumkrone nach allen Seiten üppig
ausdehnt. Kein
Kirchenmitglied ist eine Nebensache, jeder
einzelne trägt zum Gelingen bei. Da
Menschen unterschiedliche Begabungen haben, gab es von
Anfang an verschiedene Aufgabenverteilungen, je nach persönlichen
Fähigkeiten, aber alle
gleich wichtig und keines entbehrlich,
denn: „Es
sind verschiedene Ämter, aber es ist ein Herr. Es sind verschiedene
Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.“ (1
Korintherbrief 12,5.6)
Der stetig wachsende Erfolg des
Christentums scheint zu erklären, warum Jesus in seinem Gleichnis
die Möglichkeit einer Erkrankung des Baumes nicht anspricht. Der
Psalmist unterstreicht den Baum-Vergleich mit einem idyllischen Bild:
„Der Fromme ist
wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu
seiner Zeit,
und seine Blätter verwelken nicht. Und
was er macht, gerät wohl.“ (Psalm
1,3)
Nun müssen wir aber
feststellen, dass der Senfkorn-Baum, der symbolisch für das
Christentum steht, doch krank geworden ist. Seine Blätter werden
welk und fallen zu Boden, und das hat nichts mit dem Herbst zu tun.
Das Geäst dünnt aus, viele Zweige verdorren. Ein erschreckendes,
neues Bild, welches das Gleichnis vom Senfkorn ergänzt. Es drängen sich
Fragen nach dem Warum auf: Haben die Wurzeln keinen festen Halt mehr
im Boden und schwächen den Baum? Liegt es daran, dass es immer
weniger Fromme gibt, und dass der Glaube an den Messias Jesus von Nazareth
mangels Interesse verloren geht?
Danach
sieht es aus, die Finsternis scheint sich über das Licht zu legen.
Aber wer an die Worte des Herrn glaubt, hat keine Angst davor, dass
die christliche Lehre zu einer belächelten Nischenreligion verkommen
wird. Denn Jesus hat den Menschen ein Versprechen gegeben: „Himmel
und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.“
(Matthäus 24,35)
Und wenn man sich die
Geschichte der Kirche anschaut, begreift man, dass Jesus nicht nur
dann helfend eingreift, wenn einzelne Christen seinen Schutz
brauchen, sondern auch die Kirchengemeinschaft.
In dem Vertrauen auf unseren
Herrn und Heiland Jesus Christus können wir auch weiterhin unbeirrt
daran glauben, dass der aus dem Senfkorn gewachsene Baum sich erholt
und die Zukunft des Christentums dem Ende des Gleichnisses
entspricht: „Er
wird größer als
alle Kräuter und ein Baum, so dass die
Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen.“
(Matthäus
13,32b)