Samstag, 20. Oktober 2018


Das Gleichnis vom Fischnetz
(Matthäus 13,47-50)


Der See Genezareth war für die Wirtschaft Galiläas von zentraler Bedeutung. Der fischreiche Süßwassersee gab einem großen Teil der Bevölkerung Nahrung und Arbeit und verhalf den Menschen zu einem guten Auskommen. Er förderte ein mildes, feuchtes Klima, das den Bauern fruchtbare Ackerböden und Weingärten bescherte – im Gegensatz zu den trockenen Wüstengebieten im südlich gelegenen Judäa. 

Der See Genezareth versorgte zudem Mensch und Tier mit reichlich Trinkwasser und war somit das wichtigste Siedlungsgebiet in Galiläa.

Deshalb ist es nicht überraschend, dass der See Genezareth beim öffentlichen Auftreten von Jesus eine sehr wichtige Rolle spielte. Der Prediger aus Nazareth, aus einem Ort, der weit ab von den Ufern im Landesinneren lag, wanderte zwischen den Ortschaften rund um den See herum und überquerte ihn auch mehrmals. Einige seiner Jünger waren von Beruf Fischer, als sie sich dem Rabbi anschlossen. Ihre Berufungsgeschichten geben uns einen Einblick in das Arbeitsleben jener, die damals mit Fischfang ihren Lebensunterhalt verdienten. Simon Petrus und sein Bruder Andreas waren gerade dabei, ihre Netze auszuwerfen, und die Zebedäus-Brüder saßen mit ihrem Vater im Boot und flickten die Netze, als Jesus sie in die Nachfolge rief „Und er sprach zu ihnen: Folgt mir nach, ich will euch zu Menschenfischern machen!“ (Matthäus 4,19)

Es gehörte zu Jesu Stilmitteln in seinen Predigten, dass er Beispiele aus der Lebenswelt seiner Zuhörer nahm, um ihnen die Bedeutung des Reiches Gottes zu erklären. So konnte es nicht ausbleiben, dass zu den Bildern aus der Landwirtschaft auch solche aus dem Fischerleben dazu kamen: „Wiederum gleicht das Himmelreich einem Netz, das ins Meer geworfen ist und Fische aller Art fängt. Wenn es aber voll ist, ziehen sie es heraus an das Ufer, setzen sich und lesen die guten in Gefäße zusammen, aber die schlechten werfen sie weg.“ (Matthäus 13,47.48)

Ohne Zweifel sind die Aussagen von Jesus über das Himmelreich ewig gültige Wahrheiten des christlichen Glaubens - unabhängig von Zeit und Kultur. Das Evangelium, das Jesus vor ca. 2000 Jahren in Galiläa verkündet hat, ist auch für uns heute bindend und hat nichts von seiner Aktualität verloren. Anders verhält es sich dagegen mit den Bildern aus der Lebenswelt seiner Zuhörer, weil die sich seit damals tiefgreifend verändert hat. Probleme, die die Bewohner Galiläas damals hatten, gelten für uns heute, die wir in einer hochtechnisierten, globalisierten Welt leben, nicht mehr. Dafür haben sich andere, neue ergeben. 

Besonders der Klimawandel mit seinen schwerwiegenden Auswirkungen auf die Natur und die damit verbundene Ernährungslage stellen uns vor gewaltige Herausforderungen. Das Problem, das wir heute zu lösen haben, heißt: wenn wir mit der Zerstörung und Ausbeutung der Natur in dieser gewinnsüchtigen Rücksichtslosigkeit fortfahren, wird sich ein dramatischer Versorgungsengpass für die Menschheit einstellen. 

Deshalb stellt uns das Gleichnis vom Fischnetz vor ein Dilemma. Denn es geht Jesus nur um die Bedeutung des Reiches Gottes in dieser Geschichte, und er nimmt eben zur Erklärung ein unverfängliches Bild aus dem normalen Alltag seiner Mitmenschen. Ihm geht es in keiner Weise um Kritik am Verhalten der Fischer. Es war eben damals durch den Überflusss eines fischreichen Sees kein Problem, nur die Fische zu behalten, die man mit Gewinn verkaufen konnte. Heute aber in einer Zeit der ökologischen Krise liest man dieses Gleichnis mit anderen Augen.

Im Grunde genommen haben wir heute keine „schlechten Fische“ mehr, die wir aussortieren können. Überschusswaren aus der Natur sind längst verbraucht, da die Menschheit über ihre natürlichen Verhältnisse lebt und weiterhin so tut, als wären die Ressourcen der Erde unbegrenzt. Die Realität dagegen sieht derzeit nach einer Entwicklung Richtung Mangelware aus. Die Meere leeren sich durch Überfischung, Überdüngung und Verschmutzung. Bald wird es mehr Plastikmüll in den Ozeanen geben als Tiere. 

Und eine Alternative für Fischliebhaber werden zunehmend auch unsere Flüsse nicht bieten. Die langen Hitzeperioden ohne Regen lassen die Pegel in den Bächen drastisch sinken und die Temperaturen im Wasser steigen. Die Folge sind tausende verendete Fische, die bei diesen Bedingungen nicht überleben können. Und das ist erst der Anfang, denn die Erderwärmung schreitet schneller voran als uns lieb sein kann.

Die Aufteilung in „gute und schlechte“ Fische löst also in Zeiten, in denen immer mehr Menschen gegen das weltweite Artensterben ankämpfen und jeder Fisch „gut“ ist, Unverständnis aus. Aber ist das ein berechtigtes Argument, gleich die Bibel wegzulegen und zu sagen, das ist alles nur veraltetes Zeug, das uns heute nicht mehr betrifft?

Ich würde sagen, nein, keinesfalls. Denn entscheidend ist, dass das Evangelium als frohe Botschaft, die Jesus verkündete, heute genauso aktuell ist wie damals, egal mit welchem Bild Jesus sie den Menschen näher gebracht hat. Da er heute eine andere Lebenswelt vorfinden würde, bin ich sicher, er würde auch andere Bilder wählen. Doch die religiöse Grundaussage des Gleichnisses bleibt die gleiche: so wie nicht jeder Fisch ins gute Gefäß kommt, so kommt nicht jeder Mensch ins Paradies: „So wird es auch am Ende der Welt gehen: die Engel werden ausgehen und die Bösen von den Gerechten scheiden und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird Heulen und Zähneklappern sein.“ (Matthäus 13,49.50) Das ist hart und macht natürlich jedem Christen Angst. Jesus legt damit die Latte für uns hoch: wer kann vor Gottes Gericht bestehen? Jesus gibt uns aber auch sogleich wieder Hoffnung auf die Gnade Gottes: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr am Ende der Zeit gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird Gott euch messen.“ (Matthäus 7,1.2) Wer also seinem Nächsten mit Barmherzigkeit begegnet, kann selbst auch auf die Vergebung eines barmherzigen Gottes beim Jüngsten Gericht hoffen und ins Paradies eingehen: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“ (Matthäus 5,7) Nicht die Selbstgerechten und Hartherzigen finden Gnade vor Gott, sondern die Vergebungsbereiten und Nachsichtigen.

Damals, zur Zeit Jesu, kannten die Menschen weder Umwelt- noch Tierschutz. Da keine Arten vom Aussterben bedroht waren, gab es keine Notwendigkeit dafür. Auch galten Tiere als reine Nutztiere, um die man sich kümmerte und die man gut versorgte, weil sie für Bauern und Viehzüchter die Existenzgrundlage darstellten. Das gilt allerdings in erster Linie auch heute noch als Grund für die Haltung von Tieren. Doch artgerecht ist sie meist nicht, weil die Gier nach noch größerem Gewinn das Leid der Tiere bewusst in Kauf nimmt.  

Wenn Jesus also heute als Wanderprediger auftreten würde, könnte er hier sein Beispiel finden und zwischen „guten Tierfreunden“ und „schlechten Tierquälern“ unterscheiden und aus den Sprüchen zitieren: Der Fromme erbarmt sich seines Tieres; aber das Herz der Gottlosen ist unbarmherzig.“ (Sprüche 12,10) 

 

1 Kommentar:

  1. ein sehr interessanter Beitrag! Es ist toll, dass er in die heutige Zeit einbezogen wird, denn das denke ich, ist sehr wichtig :)

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