Samstag, 1. Februar 2020


Wege der Nachfolge

„Denn wie der Leib einer ist und 
doch viele Glieder hat,
alle Glieder des Leibes aber, 
obwohl sie viele sind, 
doch ein Leib sind.
Denn wir sind durch einen Geist 
alle zu einem Leib getauft.“
(1 Korinther 12,12.13a)


Martin Luther nahm die Nachfolge Jesu Christi sehr ernst. Er kannte die Bibelstelle, in der Jesus die unbedingte Bereitschaft dazu forderte: „Jesus sprach: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker verlässt um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der nicht hundertfach empfange: jetzt in dieser Zeit mitten unter Verfolgungen und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.“ (Markus 10,29.30)

Obwohl der junge Student eine glänzende Karriere vor sich hatte, gab er um der Nachfolge willen alles auf und wählte das verzichtreiche Dasein im Kloster. Zurück ließ Martin einen tobenden Vater und eine Mutter, die mit ihm nichts mehr zu tun haben wollte. Zurück ließ er auch ein Jusstudium, das ihm den sozialen Aufstieg ermöglicht hätte.

In dem Bewusstsein, den einzig richtigen Weg der Nachfolge beschritten zu haben, bemühte sich der junge Mönch zudem, die Klosterregeln besonders genau einzuhalten. Marin Luther war felsenfest davon überzeugt, die Forderung von Jesus verstanden zu haben und sie jetzt zu erfüllen. 
Aber Gott hatte ein anderes Verständnis von Nachfolge: breit gefächert und nicht auf ein Leben in Askese beschränkt: Es sind verschiedene Gaben: aber es ist ein Geist. Es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr. Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da bewirkt alles in allen.“ (1 Korinther 12,4-6) Und Gott ist derjenige, der entscheidet, wann er wen und wie braucht. Er ist es, der die Ämter je nach Fähigkeit und Notwendigkeit verteilt.

Das musste auch Martin Luther erfahren: Gott holte ihn aus dem Kloster wieder heraus und stellte ihn ins normale Alltagsleben zurück. Er führte ihm auch wieder eine Familie zu, weil er sah, dass der Reformator auf seinem schweren Weg der Nachfolge eine Stütze brauchte. Diese neue Familie, die er mit Katharina von Bora gründete, gab Martin Luther den Halt, den er für seine aufreibende Reformarbeit benötigte.

Luthers großes Vorbild, der Apostel Paulus, dagegen blieb Junggeselle auch als christlicher Missionar. Gott war der Auffassung, dass dieser keine Gefährtin brauche, sondern seine Aufgabe im Dienste des Evangeliums ohne Partnerin bestens bewältigen könne. Offenbar war die Forderung Jesu, die Familie zu verlassen, um ihm nachzufolgen, keine absolute Voraussetzung, wenn man sich in den Dienst Jesu stellen wollte. 

Es war von ihm so gemeint, dass jeder Christ bereit sein muss, für jene Aufgabe, die Gott für ihn ausgewählt hat, alles zurückzulassen, je nach Bedarf: „Einer sprach zu Jesus: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind. Jesus aber antwortete ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ (Lukas 9,61.62) Der Mensch bringt die vorbehaltlose Bereitschaft ein - und Gott entscheidet über die Art und Weise.

Damit die christliche Gemeinschaft funktionieren kann, braucht es eine solidarische Aufgabenverteilung, die sich an den Fähigkeiten von jedem einzelnen orientiert. Niemand ist überflüssig oder zu unbedeutend: Das Auge kann nicht sagen zu der Hand: Ich brauche dich nicht; oder auch das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht. Vielmehr sind die Glieder des Leibes, die uns die schwächsten zu sein scheinen, die nötigsten.“ (1 Korinther 12,21.22) Es ist Gott, und nur er allein, der am besten weiß, wem er welche Aufgaben anvertrauen kann. Keiner ist für Gott wichtiger als der andere, deshalb darf es in der Kirche auch keine Hierarchie und keine Überheblichkeit geben, damit im Leib keine Spaltung sei, sondern die Glieder in gleicher Weise füreinander sorgen.“ (1 Korinther 12,25)

Nicht nur die christliche Lebensweise unterliegt dem Wandel der Zeit, sondern auch die Vorstellungen von der Nachfolge Jesu. Viele Christen in unserer Zeit sehen im Rückblick Vorgangsweisen in der Kirchengeschichte – zu Recht – sehr kritisch und sind froh, sie überwunden zu haben. Es gibt heute keine Inquisition und keine brennenden Scheiterhaufen mehr, und das ist ein Sieg für das Evangelium, das Jesus einst verkündet hat. Aber genauso verurteilen wir heute die Anwendung von Waffengewalt im Namen des Glaubens. Karl der Große hat die Sachsen mit dem Schwert bekehrt und nicht mit der Predigt. Dabei steht außer Frage, dass der bedeutende Kaiser des Heiligen Römischen Reiches persönlich ein sehr frommer Mann war, dem die Verbreitung der christlichen Lehre eine Herzensangelegenheit war.

Ebenso wie dem schwedischen König Gustav II. Adolf, der als Feldherr im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) große Berühmtheit erlangte. Er war ein tief gläubiger Lutheraner, der auf frommes Leben in seinem Heerlager absoluten Wert legte. Pfarrer sorgten dafür, dass 2x am Tag alle Soldaten beteten und keine Schlacht ohne gemeinsames Gebet begonnen wurde. An jedem Sonntag fand ein gemeinsamer Gottesdienst im Feld statt. Selbstverständlich war das Fluchen verboten. Einen Widerspruch zur Anwendung von Waffengewalt, um den rechten Glauben durchzusetzen, sah König Gustav II. Adolf nicht. Und er unterschied sich darin nicht von den anderen christlichen Herrschern seiner Zeit, egal ob sie Protestanten oder Katholiken waren. Sie alle sahen es als legitimes Mittel zur Durchsetzung des rechten Bekenntnisses an, einen Religionskrieg zu führen.

Am 16. November 1632 fiel Gustav II. Adolf in der Schlacht von Lützen. Aber zuvor hatte er im selben Jahr noch Zeit, in der estnischen Stadt Dorpat (dem heutigen Tartu), die damals zu seinem Herrschaftsgebiet gehörte, eine Universität zu gründen. Sie besteht heute noch und ist die wichtigste Hochschule des baltischen Landes. Zum Dank wurde dem König auf der Rückseite des Gebäudes ein Denkmal errichtet. 


Die Nachfolge Jesu hat viele Gesichter. Gustav II. Adolf und ich: gemeinsam ist uns unser unerschütterlicher Glaube an unseren gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus – aber wir haben ein völlig unterschiedliches Verständnis vom Verbreiten des Glaubens. Er mit dem Schwert und ich mit dem Wort.

„Wir alle aber sind der Leib Christi und jeder von uns ein Glied.“ (1 Korinther 12,27)

1 Kommentar:

  1. Ein wundervoller und zum Denken anregender Blogbeitrag! Ich finde es sehr schön, wie darüber geschrieben wird, was es bedeutet den Weg Gottes einzuschlagen, mit dem Wissen, dass es der richtige ist, auf den Gott uns schickt.

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