Die
Karwoche: Höhepunkt des Kirchenjahres
In
einer Woche beginnt mit dem Palmsonntag die Karwoche, die mit dem
höchsten christlichen Feiertag, Ostern, endet. In zahlreichen
Gottesdiensten und Gedenkveranstaltungen wird an Kreuzigung und
Auferstehung Jesu erinnert – aber nicht in diesem Jahr: die
Coronapandemie lässt öffentliche Veranstaltungen nicht zu.
Das
ist aber für die Gläubigen kein Grund, die Karwoche ganz abzusagen.
Im christlichen Leben gibt es eine Vielfalt von Möglichkeiten,
religiöse Anlässe zu feiern. Kirchengebäude werden erst seit der
Spätantike errichtet, aber kultische Zusammenkünfte gab es bereits
im Urchristentum.
Damals trafen sich die Getauften in Privathäusern
zu Andachten, und auch in den Jahrhunderten danach blieb diese Form
der Feier trotz prachtvoller Kirchenbauten erhalten. In Ländern mit
freier Religionsausübung bieten Andachten in privaten Räumen eine
Ergänzung zu den Gottesdiensten in den Kirchen. In Staaten, in denen
Christen unterdrückt und verfolgt werden, ist es die einzig mögliche
Form religiöser Veranstaltungen.
Es
ist nicht entscheidend, ob es sakrale Räume sind oder sich eine
große Menschenmenge versammelt, um als Gottesdienst zu gelten. Jesus
versichert uns: „Denn
dort, wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich
mitten unter ihnen.“ (Matthäus 18,20)
Aber in vielen Fällen derzeit sind es nicht einmal zwei oder drei,
sondern es bleibt bei einem. Wenn jetzt also viele in dieser
Corona-Ausnahmesituation allein in ihrer Wohnung der Osterereignisse
gedenken, ist Jesus auch bei jedem einzelnen. Schließlich kennen wir
das aus der Gebetssituation: da gibt es auch nur zwei Beteiligte:
den Beter und Gott.
Der
einfachste Weg für Singles, sich allein religiös zu betätigen, ist
das Lesen in der Bibel. Sich in Ruhe über die Heilige Schrift zu
beugen und sich in die Texte zu vertiefen, die man sich selbst
ausgesucht hat, ist eine Andacht, in der Jesus ganz nahe ist. Die
Bedeutung der Heiligen Schrift für Gläubige fasst der Verfasser
eines der späteren Briefe des Neuen Testaments zusammen: „Denn
alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur
Unterweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit.“
(2 Timotheusbrief 3,16)
Das
Neue Testament umfasst 27 Schriften und beginnt mit den 4 Evangelien.
Die Überschriften in den Texten sind eine nützliche
Orientierungshilfe. In der Karwoche wird man wohl eher dazu neigen,
die Passionsgeschichten zu lesen, die mit dem Bericht
über den Einzug Jesu in Jerusalem beginnen – und mit diesem Ereignis
beginnt auch die Karwoche.
Der
Palmsonntag hat seinen Namen von den Palmblättern bekommen, die die
jubelnden Menschen vor Jesus bei seinem Ritt auf der Eselin auf die
Straße breiteten. In Europa sind daraus die bei uns wachsenden
Palmkätzchen geworden, die die in unseren Breiten fehlenden Palmen
ersetzen. Die Palmkätzchen gedeihen im Frühling auf den
Weidenbäumen - zur selben Jahreszeit, in der die Karwoche
stattfindet. In vielen Wohnungen werden Palmkätzchenzweige in eine Vase gestellt. Damit soll sichtbar an den Einzug Jesu in Jerusalem erinnert werden.
Christliche
Bräuche sind sichtbares Leben nach der Lehre der Bibel. Man gibt
sich durch sein Verhalten als Christ zu erkennen, deshalb ist es
wichtig zu beachten, dass man mit seinem Tun keinen Schaden
anrichtet. Sollten Blumengeschäfte also wegen der
Ausgangsbeschränkungen nicht geöffnet haben, aber Spaziergänge
erlaubt bleiben, ist es für Gläubige keine fromme Tat, Palmkätzchen
in der Natur für die Vase Zuhause abzureißen. Sie sind die erste
Nahrung für unsere Bienen, die wegen des Pestizidwahns in der
Landwirtschaft ohnehin schon um ihr Überleben kämpfen und denen man
nicht auch noch ihr Futter wegnehmen darf! Es ist christlicher, auf
den Brauch in diesem Jahr zu verzichten, als rücksichtslos in der
Natur Palmkätzchenzweige abzureißen und Tiere verhungern zu lassen.
Das nämlich versteht Gott nicht unter „hegen und pflegen“.
Nach
dem Palmsonntag ist es der Gründonnerstag, der als nächster
Gedenktag einen wichtigen Platz im Kirchenkalender einnimmt. Das
Abschiedsmahl, das Jesus mit seinen Jüngern vor seiner Verhaftung
feierte und das dann in seine Kirche als Sakrament aufgenommen wurde,
wird verschiedentlich nachgespielt.
In vielen Pfarrgemeinden wird am
Abend im Pfarrsaal ein gemeinschaftliches Abendessen ohne das
Sakrament des Heiligen Abendmahles eingenommen. Das ist in diesem
Jahr nur innerhalb der Familie erlaubt, kann aber problemlos im ganz
privaten Rahmen gefeiert werden. Ein Abendessen, zu dem sich die
Familie um den Tisch setzt und während dessen aus der Bibel
vorgelesen und gebetet wird, ist vom Ablauf her dasselbe wie im
Pfarrsaal, nur eben in viel kleinerem Rahmen. Wenn nötig auch im
kleinsten für einen allein.
Nach
dem Essen richtete Jesus an seine Jünger eine Botschaft, die auch
für uns gültig ist: „Das ist mein Gebot,
dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.“ (Johannes
15,12) Was kann es für ein deutlicheres Zeichen der
Nächstenliebe geben als Rücksichtnahme darauf, dass dem anderen
kein Schaden zugefügt wird? In diesem Sinne wird es den Christen in
diesem von der Coronapandemie geprägten Jahr nicht schwer fallen,
die großen Feiern auf privatem Niveau auszurichten. Das schmälert
die Bedeutung von Ostern in keinster Weise, denn das Erlösungswerk
Jesu Christi selbst bleibt das absolut wichtigste im Leben eines jeden
Christen, unabhängig davon, wie und wo man feiert. Wenn herkömmliche
Traditionen nicht möglich sind, dann lässt man sich eben
Neugestaltungen durch kreative Ideen einfallen. Die Kirchengeschichte
führt uns vor Augen, dass das religiöse Leben der Christen immer
etwas Wandelbares gewesen ist, das sich auch den kulturellen
Veränderungen angepasst hat. Nicht verändert hat sich die ewig
gültige Botschaft vom Opfertod Jesu am Kreuz und seiner leiblichen
Auferstehung von den Toten – und das wird sie auch nie: „Himmel
und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen!“
(Matthäus 24,35)
Am
Karfreitag ist die Liturgiefarbe schwarz als Zeichen tiefster Trauer.
Es ist der Todestag unseres Herrn Jesus Christus, und er erlitt einen
grausamen Tod. Emotional besonders aufwühlend ist der Bericht über
die Entscheidung der Menschenmenge zwischen zwei Verurteilten
anlässlich des bevorstehenden Passahfestes: „Zum
Fest aber hatte der Statthalter die Gewohnheit, dem Volk einen
Gefangenen loszugeben, welchen sie wollten.“ (Matthäus 27,15)
Sicher, der mächtige Pontius Pilatus hätte Jesus auch einfach
freilassen können, da er offensichtlich von dessen Unschuld
überzeugt war. Aber er hatte nicht den Mut, sich dem Hohepriester,
der ihm mit einer Anklage in Rom drohte, entgegen zu stellen, also
suchte er sich anders heraus zu winden. Der Statthalter war sich
sicher, dass die Menschenmenge nicht wollte, dass der berüchtigte
Schwerverbrecher Barabbas anstatt Jesu frei gelassen würde.
Schließlich wusste Pontius Pilatus über den euphorischen Jubel
Bescheid, mit dem Jesus bei seiner Ankunft in Jerusalem begrüßt
worden war. Aber er sollte sich irren. Die anfängliche Begeisterung
war bei der Menschenmenge in Hass und Wut umgeschlagen, und sie
schrien völlig außer sich: „Kreuzige,
kreuzige ihn!“ (Lukas 23,21) Da knickte der mächtige
römische Beamte ein und ließ der tobenden Menge ihren Willen.
Aber
warum war es soweit gekommen? Was war in diesen wenigen Tagen
zwischen Ankunft und Verhaftung passiert? Der Grund für den
Umschwung der öffentlichen Meinung war eine tiefe Enttäuschung, die
sich bei den Menschen breit gemacht hatte: sie hatten einen anderen
Messias erwartet. Und enttäuschte Hoffnungen können enorme
Aggressionen frei setzen. Und je größer die Erwartungen, desto
größer die Enttäuschung, wenn sie sich nicht erfüllen. Die
Menschen in Jerusalem hatten in Jesus, den verehrten Rabbi aus
Galiläa, den Erlöser von der heidnischen Fremdherrschaft der Römer
erwartet. Aber das interessierte Jesus nicht, er war kein politischer
Befreier, sein Anliegen war die Erlösung von der Sünde, die von
Gott trennt: „Denn der Messias ist gekommen
zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“ (Lukas 19,10) Den
wollten die Menschen zu diesem Zeitpunkt aber nicht.
Der
Ostermorgen. Jetzt tritt das Erlösungswerk Jesu Christi in seine
entscheidende Phase: der Gekreuzigte kehrt als Lebender in die Welt
zurück. Seine Jüngerinnen und Jünger werden es als Augenzeugen in
der Mission verkündigen, und weder Unglaube noch römische Schwerter
konnten die frohe Botschaft aufhalten. Das Evangelium breitete sich
zum Segen für die Menschen rund um den Erdball unaufhaltsam aus.
Die, die es hörten, haben an die Auferstehung Jesu geglaubt, auch
wenn sie gegen jedes Naturgesetz verstößt. Sie haben die Hoffnung
begriffen, die durch Jesus in die Welt gekommen ist: „Ich
bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in
der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Johannes
8,12)
In
sehr vielen Pfarrgemeinden wurden jedes Jahr
Auferstehungsgottesdienste gefeiert. Sie begannen noch in der
Dunkelheit, und beim Sonnenaufgang wurde die Auferstehung Jesu
verkündet. Das geht in diesem Jahr aus bekannten Gründen nicht.
Kein Grund, traurig zu sein, denn privat kann jeder den
Auferstehungsvorgang aus der Kirche nachvollziehen. Ich werde mir am
Ostersonntag den Wecker richten, um bei Sonnenaufgang am Fenster
stehen zu können und mitzuerleben, wie die Sonnenstrahlen das Dunkel
der Nacht verdrängen. Und der anbrechende Morgen wird mich daran
erinnern, dass Jesus durch die Überwindung der Dunkelheit des Todes
das Licht in das Leben der Menschen zurückgebracht hat. Denn damit
wird uns die Gewissheit gegeben, dass auch wir eines Tages aus der
Finsternis des Grabes in die Helle des Reiches Gottes gelangen
können.
Bräuche
und Riten, die Ausdruck
christlichen Lebens sind,
haben sich im Laufe der
Kirchengeschichte immer wieder verändert.
Sie wurden und werden
beeinflusst von kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen und
von der Möglichkeit, seinen christlichen Glauben offen leben zu
können. Das
geht nicht immer, und man muss sich Variationen überlegen.
Aber
wenn sich
Feierlichkeiten unverändert an Jesus Christus orientieren und ihn,
unseren Herrn und Erlöser, in den Mittelpunkt stellen, ist eine Abänderung oder auch Neugestaltung ein legitimes Handeln,
denn „Alles, was
zum Leben und zur Frömmigkeit dient, hat uns seine göttliche Kraft
geschenkt durch die Erkenntnis dessen, der uns berufen hat durch
seine Herrlichkeit und Kraft, durch Jesus Christus.“ (2
Petrusbrief 1,3)
Ein sehr schöner und anregender Beitrag! Ich finde es sehr schön, sich auf die wahren Werte des evangelischen Glaubens zu besinnen, auf die Worte Jesu' zu hören und danach zu leben. Ich werde mich auch nicht von Corona unterkriegen lassen, und alleine die Karwoche und Ostern entsprechend gestalten und an Jesus denken.
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