Samstag, 28. März 2020


Die Karwoche: Höhepunkt des Kirchenjahres

In einer Woche beginnt mit dem Palmsonntag die Karwoche, die mit dem höchsten christlichen Feiertag, Ostern, endet. In zahlreichen Gottesdiensten und Gedenkveranstaltungen wird an Kreuzigung und Auferstehung Jesu erinnert – aber nicht in diesem Jahr: die Coronapandemie lässt öffentliche Veranstaltungen nicht zu.

Das ist aber für die Gläubigen kein Grund, die Karwoche ganz abzusagen. Im christlichen Leben gibt es eine Vielfalt von Möglichkeiten, religiöse Anlässe zu feiern. Kirchengebäude werden erst seit der Spätantike errichtet, aber kultische Zusammenkünfte gab es bereits im Urchristentum. 

Damals trafen sich die Getauften in Privathäusern zu Andachten, und auch in den Jahrhunderten danach blieb diese Form der Feier trotz prachtvoller Kirchenbauten erhalten. In Ländern mit freier Religionsausübung bieten Andachten in privaten Räumen eine Ergänzung zu den Gottesdiensten in den Kirchen. In Staaten, in denen Christen unterdrückt und verfolgt werden, ist es die einzig mögliche Form religiöser Veranstaltungen.

Es ist nicht entscheidend, ob es sakrale Räume sind oder sich eine große Menschenmenge versammelt, um als Gottesdienst zu gelten. Jesus versichert uns: Denn dort, wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Matthäus 18,20) Aber in vielen Fällen derzeit sind es nicht einmal zwei oder drei, sondern es bleibt bei einem. Wenn jetzt also viele in dieser Corona-Ausnahmesituation allein in ihrer Wohnung der Osterereignisse gedenken, ist Jesus auch bei jedem einzelnen. Schließlich kennen wir das aus der Gebetssituation: da gibt es auch nur zwei Beteiligte: den Beter und Gott.

Der einfachste Weg für Singles, sich allein religiös zu betätigen, ist das Lesen in der Bibel. Sich in Ruhe über die Heilige Schrift zu beugen und sich in die Texte zu vertiefen, die man sich selbst ausgesucht hat, ist eine Andacht, in der Jesus ganz nahe ist. Die Bedeutung der Heiligen Schrift für Gläubige fasst der Verfasser eines der späteren Briefe des Neuen Testaments zusammen: „Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Unterweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit.“ (2 Timotheusbrief 3,16)

Das Neue Testament umfasst 27 Schriften und beginnt mit den 4 Evangelien. Die Überschriften in den Texten sind eine nützliche Orientierungshilfe. In der Karwoche wird man wohl eher dazu neigen, die Passionsgeschichten zu lesen, die mit dem Bericht über den Einzug Jesu in Jerusalem beginnen – und mit diesem Ereignis beginnt auch die Karwoche.

Der Palmsonntag hat seinen Namen von den Palmblättern bekommen, die die jubelnden Menschen vor Jesus bei seinem Ritt auf der Eselin auf die Straße breiteten. In Europa sind daraus die bei uns wachsenden Palmkätzchen geworden, die die in unseren Breiten fehlenden Palmen ersetzen. Die Palmkätzchen gedeihen im Frühling auf den Weidenbäumen - zur selben Jahreszeit, in der die Karwoche stattfindet. In vielen Wohnungen werden Palmkätzchenzweige in eine Vase gestellt. Damit soll sichtbar an den Einzug Jesu in Jerusalem erinnert werden.

Christliche Bräuche sind sichtbares Leben nach der Lehre der Bibel. Man gibt sich durch sein Verhalten als Christ zu erkennen, deshalb ist es wichtig zu beachten, dass man mit seinem Tun keinen Schaden anrichtet. Sollten Blumengeschäfte also wegen der Ausgangsbeschränkungen nicht geöffnet haben, aber Spaziergänge erlaubt bleiben, ist es für Gläubige keine fromme Tat, Palmkätzchen in der Natur für die Vase Zuhause abzureißen. Sie sind die erste Nahrung für unsere Bienen, die wegen des Pestizidwahns in der Landwirtschaft ohnehin schon um ihr Überleben kämpfen und denen man nicht auch noch ihr Futter wegnehmen darf! Es ist christlicher, auf den Brauch in diesem Jahr zu verzichten, als rücksichtslos in der Natur Palmkätzchenzweige abzureißen und Tiere verhungern zu lassen. Das nämlich versteht Gott nicht unter „hegen und pflegen“.

Nach dem Palmsonntag ist es der Gründonnerstag, der als nächster Gedenktag einen wichtigen Platz im Kirchenkalender einnimmt. Das Abschiedsmahl, das Jesus mit seinen Jüngern vor seiner Verhaftung feierte und das dann in seine Kirche als Sakrament aufgenommen wurde, wird verschiedentlich nachgespielt. 

In vielen Pfarrgemeinden wird am Abend im Pfarrsaal ein gemeinschaftliches Abendessen ohne das Sakrament des Heiligen Abendmahles eingenommen. Das ist in diesem Jahr nur innerhalb der Familie erlaubt, kann aber problemlos im ganz privaten Rahmen gefeiert werden. Ein Abendessen, zu dem sich die Familie um den Tisch setzt und während dessen aus der Bibel vorgelesen und gebetet wird, ist vom Ablauf her dasselbe wie im Pfarrsaal, nur eben in viel kleinerem Rahmen. Wenn nötig auch im kleinsten für einen allein.

Nach dem Essen richtete Jesus an seine Jünger eine Botschaft, die auch für uns gültig ist: „Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.“ (Johannes 15,12) Was kann es für ein deutlicheres Zeichen der Nächstenliebe geben als Rücksichtnahme darauf, dass dem anderen kein Schaden zugefügt wird? In diesem Sinne wird es den Christen in diesem von der Coronapandemie geprägten Jahr nicht schwer fallen, die großen Feiern auf privatem Niveau auszurichten. Das schmälert die Bedeutung von Ostern in keinster Weise, denn das Erlösungswerk Jesu Christi selbst bleibt das absolut wichtigste im Leben eines jeden Christen, unabhängig davon, wie und wo man feiert. Wenn herkömmliche Traditionen nicht möglich sind, dann lässt man sich eben Neugestaltungen durch kreative Ideen einfallen. Die Kirchengeschichte führt uns vor Augen, dass das religiöse Leben der Christen immer etwas Wandelbares gewesen ist, das sich auch den kulturellen Veränderungen angepasst hat. Nicht verändert hat sich die ewig gültige Botschaft vom Opfertod Jesu am Kreuz und seiner leiblichen Auferstehung von den Toten – und das wird sie auch nie: „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen!“ (Matthäus 24,35)

Am Karfreitag ist die Liturgiefarbe schwarz als Zeichen tiefster Trauer. Es ist der Todestag unseres Herrn Jesus Christus, und er erlitt einen grausamen Tod. Emotional besonders aufwühlend ist der Bericht über die Entscheidung der Menschenmenge zwischen zwei Verurteilten anlässlich des bevorstehenden Passahfestes: „Zum Fest aber hatte der Statthalter die Gewohnheit, dem Volk einen Gefangenen loszugeben, welchen sie wollten.“ (Matthäus 27,15) Sicher, der mächtige Pontius Pilatus hätte Jesus auch einfach freilassen können, da er offensichtlich von dessen Unschuld überzeugt war. Aber er hatte nicht den Mut, sich dem Hohepriester, der ihm mit einer Anklage in Rom drohte, entgegen zu stellen, also suchte er sich anders heraus zu winden. Der Statthalter war sich sicher, dass die Menschenmenge nicht wollte, dass der berüchtigte Schwerverbrecher Barabbas anstatt Jesu frei gelassen würde. Schließlich wusste Pontius Pilatus über den euphorischen Jubel Bescheid, mit dem Jesus bei seiner Ankunft in Jerusalem begrüßt worden war. Aber er sollte sich irren. Die anfängliche Begeisterung war bei der Menschenmenge in Hass und Wut umgeschlagen, und sie schrien völlig außer sich: „Kreuzige, kreuzige ihn!“ (Lukas 23,21) Da knickte der mächtige römische Beamte ein und ließ der tobenden Menge ihren Willen.

Aber warum war es soweit gekommen? Was war in diesen wenigen Tagen zwischen Ankunft und Verhaftung passiert? Der Grund für den Umschwung der öffentlichen Meinung war eine tiefe Enttäuschung, die sich bei den Menschen breit gemacht hatte: sie hatten einen anderen Messias erwartet. Und enttäuschte Hoffnungen können enorme Aggressionen frei setzen. Und je größer die Erwartungen, desto größer die Enttäuschung, wenn sie sich nicht erfüllen. Die Menschen in Jerusalem hatten in Jesus, den verehrten Rabbi aus Galiläa, den Erlöser von der heidnischen Fremdherrschaft der Römer erwartet. Aber das interessierte Jesus nicht, er war kein politischer Befreier, sein Anliegen war die Erlösung von der Sünde, die von Gott trennt: „Denn der Messias ist gekommen zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“ (Lukas 19,10) Den wollten die Menschen zu diesem Zeitpunkt aber nicht.

Der Ostermorgen. Jetzt tritt das Erlösungswerk Jesu Christi in seine entscheidende Phase: der Gekreuzigte kehrt als Lebender in die Welt zurück. Seine Jüngerinnen und Jünger werden es als Augenzeugen in der Mission verkündigen, und weder Unglaube noch römische Schwerter konnten die frohe Botschaft aufhalten. Das Evangelium breitete sich zum Segen für die Menschen rund um den Erdball unaufhaltsam aus. Die, die es hörten, haben an die Auferstehung Jesu geglaubt, auch wenn sie gegen jedes Naturgesetz verstößt. Sie haben die Hoffnung begriffen, die durch Jesus in die Welt gekommen ist: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Johannes 8,12)

In sehr vielen Pfarrgemeinden wurden jedes Jahr Auferstehungsgottesdienste gefeiert. Sie begannen noch in der Dunkelheit, und beim Sonnenaufgang wurde die Auferstehung Jesu verkündet. Das geht in diesem Jahr aus bekannten Gründen nicht. Kein Grund, traurig zu sein, denn privat kann jeder den Auferstehungsvorgang aus der Kirche nachvollziehen. Ich werde mir am Ostersonntag den Wecker richten, um bei Sonnenaufgang am Fenster stehen zu können und mitzuerleben, wie die Sonnenstrahlen das Dunkel der Nacht verdrängen. Und der anbrechende Morgen wird mich daran erinnern, dass Jesus durch die Überwindung der Dunkelheit des Todes das Licht in das Leben der Menschen zurückgebracht hat. Denn damit wird uns die Gewissheit gegeben, dass auch wir eines Tages aus der Finsternis des Grabes in die Helle des Reiches Gottes gelangen können. 


Bräuche und Riten, die Ausdruck christlichen Lebens sind, haben sich im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder verändert. Sie wurden und werden beeinflusst von kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen und von der Möglichkeit, seinen christlichen Glauben offen leben zu können. Das geht nicht immer, und man muss sich Variationen überlegen. 

Aber wenn sich Feierlichkeiten unverändert an Jesus Christus orientieren und ihn, unseren Herrn und Erlöser, in den Mittelpunkt stellen, ist eine Abänderung oder auch Neugestaltung ein legitimes Handeln, denn Alles, was zum Leben und zur Frömmigkeit dient, hat uns seine göttliche Kraft geschenkt durch die Erkenntnis dessen, der uns berufen hat durch seine Herrlichkeit und Kraft, durch Jesus Christus.“ (2 Petrusbrief 1,3)

1 Kommentar:

  1. Ein sehr schöner und anregender Beitrag! Ich finde es sehr schön, sich auf die wahren Werte des evangelischen Glaubens zu besinnen, auf die Worte Jesu' zu hören und danach zu leben. Ich werde mich auch nicht von Corona unterkriegen lassen, und alleine die Karwoche und Ostern entsprechend gestalten und an Jesus denken.

    AntwortenLöschen