Sonntag, 15. November 2020

 

Das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner

Die Geschichte, die Jesus erzählt, handelt von zwei Männern, die beruflich nicht gegensätzlicher hätten sein können. Auf der einen Seite steht ein hochangesehener Geistlicher, auf der anderen ein verachteter Steuereintreiber. Aber eines haben sie gemeinsam: sie glauben an Gott und gehen zum Beten in den Tempel.

Allerdings unterscheidet sich ihr Auftreten Gott gegenüber grundlegend.


Der Pharisäer hat sein ganzes Leben in den Dienst Gottes gestellt, als er den Beruf eines Geistlichen gewählt hat. Er befolgt penibel alle religiösen Gesetze. Er ist davon überzeugt, dass nicht nur die Gläubigen sondern auch Gott von seiner Frömmigkeit beeindruckt sind: „Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und geben den Zehnten von allem, was ich einnehme.“ (Lukas 18,11.12) Der Pharisäer hat nicht den geringsten Zweifel, dass er Gottes Willen umsetzt und stolz darauf sein kann – und das zeigt er beim Gebet auch ohne jede Zurückhaltung.

Ganz anders dagegen verhält sich der Zöllner. Er ist sich seiner Sünden bewusst und zeigt deshalb ein anderes Gebetsverhalten. Er weiß, dass er vor einem Gott, der die Menschen danach beurteilt, ob sie alle Gebote und religiösen Alltagsvorschriften einhalten, nicht bestehen kann. Die einzige Chance, die der Zöllner hat, ist ein gnädiger Gott, der ihm seine Sünden vergibt. Deshalb nimmt er eine demütige Stellung ein: „Er aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!“ (Lukas 18,13)


Die Menschen, die Jesus zuhörten, als er dieses Gleichnis erzählte, verstanden nicht, worauf der Rabbi hinaus wollte. Die Pharisäer waren hoch angesehen, weil sie von früh bis spät Gott dienten und für nichts Anderes Interesse hatten, als die göttlichen Gebote einzuhalten. Deshalb genossen sie großen Respekt und galten als eine Autorität in Glaubensfragen, der die Laien nachzueifern suchten. Bis Jesus kam, stellte niemand die strenge Frömmigkeit der Pharisäer in Frage.

Dagegen wollte mit den Zöllnern keiner etwas zu tun haben, denn sie galten als Betrüger. Sie hatten den Ruf – nicht zu Unrecht – viel mehr Geld von den Mitmenschen abzukassieren, als diese an Abgaben zu leisten hatten. Den „Überschuss“ pflegten sie in die eigene Tasche zu stecken und ihr privates Vermögen auf unehrliche Weise zu vermehren. Ganz offensichtlich hielten sie die Gebote Gottes nicht ein, ihre Frömmigkeit wurde allgemein angezweifelt. Mit solchen Leuten wollten die Mitmenschen nichts zu tun haben, sie gingen den Zöllnern privat lieber aus dem Weg. Dort, wo die „frommen“ Pharisäer Respekt und Ansehen genossen, schlug den „gottlosen“ Zöllnern Verachtung entgegen.

Die Zuhörer, die Jesus umringt hatten, verstanden nicht, wozu ihnen der Rabbi diese Geschichte erzählte. Die Sachlage war doch klar: Gott findet es sicher in Ordnung, wie der Pharisäer im Tempel beim Gebet auftritt, schließlich ist er ein sehr frommer Mann und darf das auch zur Schau stellen. Er hat jede Menge gute Werke vorzuweisen, weil er die religiösen Vorschriften brav einhält, also warum sollte er nicht Gott gegenüber damit protzen dürfen? Dagegen steht es dem betrügerischen Zöllner durchaus zu, mit gesenktem Kopf vor Gott zu treten, denn er hat an frommen Taten nichts anzubieten.

Aber zur Überraschung der Menschenmenge drehte Jesus diese Sichtweise völlig um und erklärte, dass es der Zöllner ist, der Gnade vor Gott gefunden hat, und nicht der Pharisäer. Arroganz und Selbstgerechtigkeit sind mit aufrichtigem Glauben nicht vereinbar: „Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“ (Lukas 18,14b)

Jesus hatte bei einigen Gläubigen, nicht nur bei den Pharisäern, festgestellt, dass „sie sich anmaßten, fromm zu sein, und die anderen verachteten.“ (Lukas 18,9) Deshalb erzählte er ihnen dieses Gleichnis, um sie auf ihren religiösen Irrweg aufmerksam zu machen.

In seiner Geschichte wirft Jesus den Pharisäern vor, dass sie die Sünde, für die man um Gottes Vergebung bitten muss, nicht ernst nehmen - und damit auch Gott nicht mehr ernst nehmen. Sie fürchten ihn nicht, weil sie darauf vertrauen, dass sie durch ihre frommen Werke, d.h. das strenge Einhalten religiöser Alltagsvorschriften, abgesichert sind, und Gott deshalb kein Recht hat, sie für andere Übertretungen zu bestrafen. Sie sind überzeugt davon, dass ihre Lebensweise, die sich buchstabengetreu an die Gesetze ihrer heiligen Schriften hält, „kleinere“ Sünden ausgleicht. Nach ihrem religiösen Verständnis kommt es nur darauf an, mehr gute als schlechte Werke vorweisen zu können. Dann muss Gott sie ohne Vergebung ins Paradies einlassen.

Diese Verhalten, wie es der Pharisäer im Tempel zeigt, verurteilt Jesus als Selbstgerechtigkeit und Hochmut: denn es ist nicht Gott, der über den Sünder richtet, sondern der Sünder schreibt Gott vor, wie und ob er überhaupt richten darf. Mit dieser Gesinnung stellt sich der Mensch über Gott. Darin sieht Jesus eine ungeheure Anmaßung und Respektlosigkeit gegenüber der Allmacht Gottes.

Doch so arrogant darf man Gott, dem Schöpfer der Welt und Richter am Ende der Zeit, nicht gegenüber treten, denn dann kann man keine Gnade vor Gott finden. Das will Jesus den Menschen mit seinem Gleichnis vor Augen führen. Gott steht über den Menschen, sie können ihm keine Vorschriften machen.


Und das ist es auch, was Jesus uns heutigen Christen mit dieser Geschichte sagen will: wer sich vor Gott mit seiner Frömmigkeit brüstet, hat bei ihm schon verloren. Glaube ist eine Sache zwischen Gott und dem Menschen, der zu ihm betet. Es kommt allein darauf an, vor Gott zu bestehen, und nicht, die Bewunderung der anderen Leute zu erlangen. Echter Glaube braucht kein Publikum auf Erden, denn es ist allein Gottes Zustimmung, die zählt, und nicht der Applaus von Bewunderern: „Wenn du betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir‘s vergelten.“ (Matthäus 6,6)

Es ist ein Fehler zu denken, dass man mit Gott seinen Spaß treiben und ihn beherrschen kann. Martin Luther hat das verstanden und die Erklärungen zu den Zehn Geboten jeweils mit dem Satz begonnen: „Wir sollen Gott fürchten und lieben“. Wer seinen christlichen Glauben ernst nimmt, wird das beherzigen und danach seine Frömmigkeit ausrichten.

1 Kommentar:

  1. Ein sehr gelungener Beitrag, der zum Nachdenken anregt! Es ist wirklich so, es sollte wichtig sein, wie wir vor Gott sind und nicht vor anderen- das ist manchmal nicht leicht, die Meinung anderer außen vor zu lassen. Aber gut, sich das immer wieder ins Gedächtnis zu rufen!

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