Samstag, 15. Juni 2024

 


Ehrfurcht vor Gott



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ie Menschen waren sich zu jeder Zeit bewusst, dass es eine überirdische Macht gibt, die über sie bestimmt. In Demut wendet sich deshalb der Betende an den allmächtigen Gott, um sein Anliegen vorzubringen. Ich hebe meine Augen auf zu dir, der du im Himmel wohnst.“ (Psalm 123,1) Er ist sich seiner Unterlegenheit bewusst und tritt Gott mit Respekt entgegen: Dein Wort ist wahrhaftig und gewiss; Heiligkeit ist die Zierde deines Hauses, Herr, für alle Zeit.“ (Psalm 93,5Ohne Heiligkeit hört Gott auf, Gott zu sein. Denn sie schafft die Distanz zwischen dem Schöpfer der Welt und seinen Geschöpfen und macht die Hierarchie deutlich: Der Herr ist König, herrlich geschmückt! Der Herr ist umgürtet mit Kraft. Er hat den Erdkreis gegründet, dass er nicht wankt. Von Anbeginn steht dein Thron fest; du bist ewig.“ (Psalm 93,1.2)

Heiligkeit erfordert eine ehrfurchtsvolle Anrufung des allmächtigen göttlichen Wesens. Um ihren Gottheiten Ehrfurcht zu bezeigen und sie gnädig zu stimmen, machten ihnen die Menschen in der alten Zeit Geschenke in Form von Opfergaben. Dies war ein wesentliches Glaubenselement aller Religionen in der Antike, das aber in der Praxis unterschiedlich ausgeführt wurde. Die Gemeinsamkeit bestand darin, dass die Opferungen auf einem Altar dargebracht wurden. Diese Aufgabe fiel Priestern oder Priesterinnen zu, die sie im Rahmen einer rituellen Zeremonie für Einzelpersonen, für eine Gruppe oder weil ihre Religion regelmäßige Kulthandlungen erforderte, durchführten.

Auch die Religion der Israeliten kannte die Kulthandlung der Opferung auf einem Altar. Das Alte Testament berichtet in den Geschichtsbüchern, wie sich aus einfachen Steinen der Nomadenzeit die kultisch streng geregelten Opferaltäre im Jerusalemer Tempel entwickelten. Die Absicht blieb stets die gleiche: man wollte dem allmächtigen Gott Ehrfurcht erweisen.

Die erste Opferung, von der in der Bibel berichtet wird, ist die von Kain und Abel: Es begab sich nach etlicher Zeit, dass Kain dem Herrn Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett.“ (1 Mose 4,3.4a) Die Brüder wollten sich bei Gott für gute Erträge bedanken. Bekanntlich ging die Aktion gründlich schief: Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.“ (1 Mose 4,4b.5a) 

Diese erste Geschichte einer Opferung zeigt bereits, worauf es Gott ankommt, nämlich auf die Gesinnung und nicht die Art des Opfers. Denn wie in den Gesetzestexten nachzulesen ist, kannten die Israeliten nicht nur Tieropfer: „Nun bringe ich die Erstlinge der Früchte des Landes, die du Herr, mir gegeben hast. - Und du sollst sie niederlegen vor dem Herrn, deinem Gott, und anbeten den Herrn, deinen Gott.“ (5 Mose 26,10) Dass Abel ein Schaf opferte und Kain Feldfrüchte, konnte also nicht der Grund dafür sein, dass Gott dem älteren Bruder zürnte.

Auch das zweite Opfer, von dem die Bibel berichtet, war ein Dankopfer. Noah dankte Gott nach überstandener Sintflut: Er aber baute dem Herrn einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. Und der Herr roch den lieblichen Geruch.“ (1 Mose 8,20.21a) Daraufhin gab der besänftigte Gott das Versprechen, dass er sich im Zorn nicht mehr dazu hinreißen lassen wird, die Erde zu verfluchen und alles zu erschlagen, was da lebt. 

Nicht bei allen Opferungen geht klar hervor, welchen tieferen Sinn sie haben. Nach dem Auftrag Gottes in ein neues Land zu ziehen, weg von seiner Familie in Haran, errichtete Abraham in Kanaan Altäre, um Gott anzubeten. Was er opferte, wird nicht gesagt. Als Nomade zog Abraham durch seine neue Heimat, und wo er anhielt, errichtete er einen Altar, zuerst in Sichem, dann in Bethel „und rief den Namen des Herrn an.“ (1 Mose 12,8bJakob folgte dem Beispiel seines Großvaters und baute ebenfalls Altäre dort, wo er sich niederließ. In der Nähe von Sichem kaufte er sogar Land um 100 Goldstücke und „errichtete dort einen Altar und nannte ihn ‚Gott ist der Gott Israels‘.“ (1 Mose 33,20) 

Wie die Altäre der Erzväter aussahen, erfahren wir nicht. Wahrscheinlich haben sie Steine aufgeschichtet oder vorhandene große Felsblöcke genutzt.

Das änderte sich mit der Errichtung der Stiftshütte, die die Israeliten auf ihrem Zug durch die Wüste Sinai zur Verehrung Gottes aufbauten. Sie bestand aus mehreren Räumen mit unterschiedlichen kultischen Bedeutungen. Nach diesem Vorbild wird König Salomo später den Tempel auf dem Berg Zion errichten. Es gab 2 Altäre: im Vorhof stand der Brandopfer-Altar („eherner Altar“), auf dem die Tiere getötet und ihr Fleisch und Fett verbrannt wurden; im anschließenden Heiligtum stand der Räucheropfer-Altar, von dem duftender Rauch aufstieg.

Das „Heilige“ war ein durch einen Vorhang vom Vorhof abgetrennter Raum, den nur die Priester betreten durften. Darin standen drei Kultgegenstände: der Goldene Altar für das Räucheropfer, der 7armige Leuchter und der Tisch mit den Schaubroten. Für den Räucheropfer-Altar gab es strenge Vorschriften: „Ihr sollt kein fremdes Räucherwerk darauf tun, auch kein Brandopfer, Speiseopfer oder Trankopfer darauf opfern.“ (2 Mose 30,9) Zudem musste dieses Räucherwerk, das nur für die Ehrung Gottes bestimmt war, einzigartig sein: Und der Herr sprach zu Mose: Nimm dir Spezereien: Balsam und reinen Weihrauch, vom einen soviel wie vom anderen, und mache Räucherwerk daraus, gemengt nach der Kunst des Salbenbereiters, gesalzen, rein, zum heiligen Gebrauch.“ (2 Mose 30,34.35) Solche Duftmischung durfte nur als dem Herrn geheiligt dienen, niemand durfte sich privat an diesem Geruch erfreuen. Die Ehrfurcht vor der Göttlichkeit erforderte Exklusivität.


Das Christentum ging von Anfang an einen eigenen Weg, der sich grundlegend von den anderen Religionen des Altertums unterschied. Es gab und gibt bis heute zwar auch in einer christlichen Kirche einen Altar, dem aber eine andere Bedeutung zukommt. Die Christen verwenden den Altar nicht zum Opfern, aber er steht als zentraler Kultgegenstand im vorderen Teil des Kirchenraumes, und auf ihn sind im Rahmen eines Gottesdienstes die Augen der Gläubigen gerichtet. Auf dem Altar liegt in der Mitte die Bibel, das Wort Gottes, aus der im Verlauf der Liturgie vorgelesen wird. Links und rechts davon schmücken Kerzen und Blumen die Tischfläche, die mit einem Tuch in der jeweiligen Farbe des Kirchenjahres abgedeckt ist. Wenn das Heilige Abendmahl während des Gottesdienstes gefeiert wird, sind zudem die Schale mit den Hostien und der Kelch mit dem Wein auf den Altar gestellt, um den sich die Gemeindemitglieder zum Empfang des Sakraments versammeln.

Durch seinen Opfertod am Kreuz hat Jesus eine neue Frömmigkeit begründet, die allein auf Gesinnung und Glaube aufbaut und keine materiellen Gaben an Gott benötigt: So lasst uns nun durch ihn Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. Gutes zu tun und mit anderen zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott!“ (Hebräerbrief 13,15.16) Jesus Christus hat durch sein Blutopfer am Kreuz stellvertretend für die Sünder, die wir Menschen sind, weitere Opfer überflüssig gemacht: Und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch.“ (Epheserbrief 5,2) Durch welches Opfer könnte man den Tod Jesu am Kreuz übertreffen

Durch keines: Er ist die Versöhnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt.“ (1 Johannesbrief 2,2) Der Messias, der Sohn Gottes, hat sich selbst als Opfer dargebracht: Nach Gottes Willen sind wir angenommen ein für allemal durch das Opfer des Leibes Jesu Christi.“ (Hebräerbrief 10,10) Mit dieser einzigartigen Tat in der Geschichte der Religionen war der Weg frei gemacht für eine Ehrfurcht vor Gott, die ohne Vorleistung durch Altar-Opferungen die göttliche Vergebung ermöglicht: Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt hat seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden.“ (1 Johannesbrief 4,9.10)

Aber noch einmal sollte das junge Christentum große Probleme mit Götter-Opfern bekommen. Der christliche Glaube breitete sich zur Glanzzeit des Römischen Reiches hoffnungsvoll aus. Das Imperium stand mächtig und wohlhabend da und sah in der kleinen christlichen Gemeinde keine Bedrohung. Aber im 3. Jahrhundert verschlechterte sich die politische Lage dramatisch und wurde instabil. Kaiser Decius machte als einen der Gründe für diesen Niedergang aus, dass die römische Bevölkerung ihren Göttern untreu geworden war. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, erließ Decius 251 n. Chr. ein „Opferedikt“: jeder Bewohner des Reiches musste 1x im Jahr einem vergöttlichten Kaiser ein Opfer am Altar darbringen und sich als Beweis eine schriftliche Bestätigung ausstellen lassen. Eine Verweigerung wurde streng bestraft, meistens mit der Hinrichtung. Das Opferedikt des Decius führte zu einer in erster Linie gegen die Christen gerichtete Verfolgung, denn ihr Glaube an den einzigen Gott verbot es ihnen, anderen Gottheiten die Ehre am Altar zu erweisen: Wer den Göttern opfert und nicht dem Herrn allein, der soll dem Bann verfallen.“ (2 Mose 22,19)

Kaiser Decius stellte mit seinem Edikt die junge Kirche auf eine harte Probe. Obwohl viele Christen aus Todesangst die geforderte Opferung durchführten, zeigte sich letztendlich der Glaube an Jesus Christus als so tragfähig, dass er sich allen Bedrohungen zum Trotz weiter ausbreitete. Der Aufruf des Apostels Paulus rund 200 Jahre früher hatte in der Bedrängnis geholfen: Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark! Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.“ (1 Korintherbrief 16,13.14) Die Zeit der Götter-Opfer im Römischen Reich war abgelaufen, als Kaiser Theodosius I. das Christentum im Jahre 381 zur Staatsreligion erhob. Die Tempel mit ihren Altären wurden für immer geschlossen.

Jesus Christus hat es beendet, sich durch ständig neue Opferungen Gottes Zuwendung verdienen zu müssen: Wo aber Vergebung der Sünden ist, da geschieht kein Opfer mehr für die Vergebung der Sünde.“ (Hebräerbrief 10,18) Die Befreiung vom Opferdienst bedeutet aber nicht, dass es für Christen nicht mehr gilt, Gott in Ehrfurcht zu begegnen - er ist die Heiligkeit: „Alle aber miteinander haltet fest an der Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit.“ (1 Petrusbrief 5,5b.6) Gott wird die, die ihre Knie in Ehrfurcht von seiner Heiligkeit beugen, nach dem Gericht in sein Himmelreich aufnehmen.

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