Abschied von Galiläa
Jesus wollte seinen Herkunftsort nicht von seiner Mission ausschließen, sondern das Evangelium auch hier persönlich verkündigen. Am Sabbat begab sich Jesus in die Synagoge. Da man ihn unbedingt predigen hören wollte, reichte man ihm die Jesaja-Rolle mit der Messias-Prophezeiung. Hoffnungsvoll gab sich Jesus den Leuten als der verheißene Messias zu erkennen. Vergebens. Da er von klein auf als unauffälliger Dorfbewohner in Nazareth gelebt hatte, glaubte ihm keiner, und sie vertrieben ihn mit Gewalt aus ihrer Mitte: „Und Jesus wunderte sich über ihren Unglauben. Und er ging rings umher in die Dörfer und lehrte.“ (Markus 6,6) Jesus kehrte nie wieder nach Nazareth zurück, es war nicht seine Art, Zwangsbekehrungen auszuüben. Er brachte das Evangelium in Galiläa zu jenen, die schon sehnsüchtig auf das Kommen des Messias warteten. Jesus rief ihnen zu: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,15) und erfüllte mit seinen verheißungsvollen Worten die Herzen seiner Zuhörer mit großer Freude.
Galiläa war eine kleine Provinz im Norden Palästinas mit dem See Genezareth als Wirtschaftszentrum. Regiert wurde der Landstrich von Herodes Antipas. Aber Jesus mied die Residenzen des Fürsten, er biederte sich nie an die Mächtigen an: „Und Jesus zog umher in ganz Galiläa, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium vom Himmelreich und heilte Krankheiten und Gebrechen im Volk.“ (Matthäus 4, 23) Seine Botschaft war neu und begeisterte die Menschen. Viele folgten ihm von einem Ort zum anderen, um seine Worte über das ewige Leben im Reich Gottes zu hören.
Eines Abends, es dunkelte bereits, äußerte Jesus den Wunsch, mit einem Boot an das andere Ufer hinüber zu fahren. Er war müde und wollte die Zeit zum Schlafen nützen. Jesus zog sich in den hinteren Teil des Schiffes zurück und war gleich auf einem Kissen eingeschlafen. „Und es hob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde.“ (Markus 4,37) Die Jünger gerieten in Panik und bekamen Todesangst. Das Boot drohte zu sinken, das rettende Ufer war weit entfernt. Aufgeregt weckten sie den Meister und flehten ihn um Hilfe an: „Und Jesus stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem See: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich, und es entstand eine große Stille! (Markus 4,39) Betroffen sahen sich die Jünger an: wir sind mit Jesus zusammen und haben trotzdem Angst? Wir wissen doch, dass wir dem Messias nachfolgen? Wieso ist unser Glaube immer noch so wankelmütig? Die Jünger lernten aus ihrem Fehler und folgten nunmehr ihrem Meister verstärkt in dem Bemühen nach, Jesus vorbehaltlos zu vertrauen. Am Ende der Mission Jesu, wenn er gekreuzigt wird, wird ihr Glaube auf eine harte Probe gestellt werden, die sie nur knapp schaffen. Aber darauf kommt es letztendlich an: eine Glaubenskrise zu bestehen. Nach Jesu Rückkehr in den Himmel halten die Jünger am Evangelium fest und tragen die Botschaft des Heilands in die Welt hinaus.
In Kapernaum legte Jesus den Grundstein für seine Bekanntheit als religiöser Reformer. Er lehrte in der Synagoge und heilte einen Mann von seinen frommen Wahnvorstellungen. Nachdem er die Schwiegermutter von Simon Petrus vom Fieber geheilt hatte, brachten auch andere Einwohner der Stadt ihre Kranken mit mancherlei Leiden zu ihm. Selbst der römische Hauptmann von Kapernaum kam mit der Bitte zum Rabbi, seinen kranken Knecht, der unter großen Schmerzen litt, gesund zu machen. Die Bewohner wollten unbedingt, dass Jesus bei ihnen bleibt, aber Jesus musste ablehnen: „Ich muss auch den anderen Städten predigen vom Reich Gottes; denn dazu bin ich gesandt.“ (Lukas 4,43)
Für die Jünger und das Volk schien Jesus eine göttliche Mission zu erfüllen, die sich auf Galiläa beschränkte. Immerhin wanderte er nun schon einige Jahre als Prediger durch die Nordprovinz von Palästina. Die Menschen hörten Jesus vom Reich Gottes, das auf Gläubige im Jenseits wartet, reden, machten sich aber keine weiteren Gedanken darüber, dass es dazu noch eines Versöhnungsopfers mit Gott in Jerusalem benötigte.
Dieses religiöse Ritual war an sich nichts Neues, jeder Israelit kannte es und feierte es 1x im Jahr. An diesem höchsten Feiertag, Jom Kippur; wurde es vor dem Tempel von Jerusalem durchgeführt. Der Hohepriester verrichtete selbst alle rituellen Dienste und trat vor Gott, um Vergebung für die Sünden des Volkes Israel im zurückliegenden Jahr zu erbitten. Zwei Lämmer wurden Gott als Blutopfer dargebracht. Der Hohepriester belud die beiden Tiere symbolisch mit den Sünden des Volkes und jagte danach das eine Lamm zum Sterben in die Wüste und schlachtete das andere auf dem Altar. Danach gingen die Leute, mit Gott versöhnt, nach Hause. In einem Jahr werden sie wiederkommen und das Versöhnungsritual wiederholen.
An dieses fromme Ritual der Sündenvergebung knüpft Jesus mit seiner blutigen Hinrichtung am Kreuz an. Er ist das unschuldige Lamm, das getötet wird, um stellvertretend für die sündigen Menschen sein Blut zu vergießen und so den Gläubigen die Vergebung Gottes zu bringen.
Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied zwischen Jom Kippur und Jesus von Nazareth: sein Blutopfer erbringt der Messias nur einmal, es ist nicht wiederholbar. Denn Gott hat durch das Sterben seines Sohnes gezeigt, dass er zur Versöhnung mit dem sündigen Menschen bereit ist - aber nur, wenn dieser Verantwortung für sein Fehlverhalten gegen Gott übernimmt. Vor der Vergebung kommt die Reue des Sünders. Sie ist wiederholbar, weil der Sohn Gottes sich am Kreuz geopfert hatte.
In einer zweiten Leidensankündigung seinen Jüngern gegenüber präzisierte Jesus sein bevorstehendes Schicksal: „Der Messias wird überantwortet werden in die Hände der Menschen, und sie werden ihn töten; und wenn er getötet ist, so wird er nach 3 Tagen auferstehen.“ (Markus 9,31) Die Jünger begriffen nichts, und sie bekamen es mit der Angst zu tun.
Jesus ließ seine Heimat hinter sich, sie hatte ihren Zweck erfüllt. In Nazareth war er aufgewachsen und hatte in der Familie die religiösen Bräuche, die den Alltag der Israeliten prägten, kennen gelernt. Im Dorf war er offenbar auch in die Schule gegangen, denn er konnte lesen und schreiben. In Galiläa hatte Jesus als Wanderprediger den Grundstein für seine göttliche Mission als Messias gelegt. In Jerusalem würden sein Versöhnungsopfer am Kreuz und seine Auferstehung von den Toten den Schlusspunkt setzen und den Menschen den Weg ins Paradies ebnen.
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