Sonntag, 29. Juni 2025

 

Abschied von Galiläa


Jesus war als ältestes von mehreren Kindern in Nazareth aufgewachsen. Aber eines Tages kehrte er seinem Heimatdorf den Rücken und hörte auf, im familiären Zimmermanns-Betrieb zu arbeiten. In seinem neuen Leben begann Jesus in Galiläa als Wanderprediger zu wirken. Besonders die Ortschaften um den See Genezareth waren sein Betätigungsfeld. 
Nazareth hatte Jesus zwar hinter sich gelassen, aber eines Tages kam er in sein Heimatdorf zurück. Dort kannte ihn jeder, und seine Mutter und Geschwister lebten nach wie vor im Ort. Aber inzwischen hatte sich in Nazareth herum gesprochen, dass Jesus, einer der ihren, in Galiläa als religiöser Prediger berühmt geworden war.

Jesus wollte seinen Herkunftsort nicht von seiner Mission ausschließen, sondern das Evangelium auch hier persönlich verkündigen. Am Sabbat begab sich Jesus in die Synagoge. Da man ihn unbedingt predigen hören wollte, reichte man ihm die Jesaja-Rolle mit der Messias-Prophezeiung. Hoffnungsvoll gab sich Jesus den Leuten als der verheißene Messias zu erkennen. Vergebens. Da er von klein auf als unauffälliger Dorfbewohner in Nazareth gelebt hatte, glaubte ihm keiner, und sie vertrieben ihn mit Gewalt aus ihrer Mitte: „Und Jesus wunderte sich über ihren Unglauben. Und er ging rings umher in die Dörfer und lehrte.“ (Markus 6,6) Jesus kehrte nie wieder nach Nazareth zurück, es war nicht seine Art, Zwangsbekehrungen auszuüben. Er brachte das Evangelium in Galiläa zu jenen, die schon sehnsüchtig auf das Kommen des Messias warteten. Jesus rief ihnen zu: Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,15) und erfüllte mit seinen verheißungsvollen Worten die Herzen seiner Zuhörer mit großer Freude.

Galiläa war eine kleine Provinz im Norden Palästinas mit dem See Genezareth als Wirtschaftszentrum. Regiert wurde der Landstrich von Herodes Antipas. Aber Jesus mied die Residenzen des Fürsten, er biederte sich nie an die Mächtigen an: Und Jesus zog umher in ganz Galiläa, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium vom Himmelreich und heilte Krankheiten und Gebrechen im Volk.“ (Matthäus 4, 23) Seine Botschaft war neu und begeisterte die Menschen. Viele folgten ihm von einem Ort zum anderen, um seine Worte über das ewige Leben im Reich Gottes zu hören.

Das Zentrum von Jesu Missionstätigkeit war Kapernaum, der Wohnort von Simon Petrus und seiner Familie. Im Haus des Jüngers heilte Jesus bei seiner Ankunft dessen Schwiegermutter vom Fieber. Der Meister blieb gern gesehener Gast, und alle Hausbewohner dienten ihm mit Freude. Jesus nahm die Gastfreundschaft gerne an, denn auch er brauchte von Zeit zu Zeit eine Pause, um sich von den anstrengenden Wanderungen zu erholen. Oft zog er sich auch von seinen Jüngern in die Einsamkeit der Natur zurück, hatte aber natürlich auch das Bedürfnis nach körperlicher Hygiene, für die man ein Haus mit seinen Waschmöglichkeiten brauchte. Eine weitere namentlich genannte Familie, die Jesus in seinen Grundbedürfnissen unterstützte, war jenes der drei Geschwister Martha, Maria und Lazarus. Die Anhängerschaft Jesu war groß. Es dienten ihm die Menschen, die in ihm den Messias erkannt hatten, mit großer Begeisterung – jeder auf seine Weise und so gut er konnte. Es gibt nicht nur eine Form der Nachfolge. Paulus, der nach Christi Rückkehr in den Himmel die Weltkirche begründen wird, warnt davor, eine bestimmte fromme Tätigkeit, etwa die Verkündigung oder die Sozialhilfe, überzubewerten und höher zu stellen als andere Dienste im Namen Jesu: „Vielmehr sind die Glieder des Leibes, die uns die schwächsten zu sein scheinen, die nötigsten!“ (1 Korinther 12,22) 

Immer wieder überquerte Jesus mit seinen Jüngern den See Genezareth, was nicht ungefährlich war. Der See, auch Galiläisches Meer genannt, hatte seine Tücken. Boote mussten stets damit rechnen, dass das Wasser von Stürmen aufgewühlt wurde. 

Eines Abends, es dunkelte bereits, äußerte Jesus den Wunsch, mit einem Boot an das andere Ufer hinüber zu fahren. Er war müde und wollte die Zeit zum Schlafen nützen. Jesus zog sich in den hinteren Teil des Schiffes zurück und war gleich auf einem Kissen eingeschlafen. „Und es hob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde.“ (Markus 4,37) Die Jünger gerieten in Panik und bekamen Todesangst. Das Boot drohte zu sinken, das rettende Ufer war weit entfernt. Aufgeregt weckten sie den Meister und flehten ihn um Hilfe an: „Und Jesus stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem See: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich, und es entstand eine große Stille! (Markus 4,39) Betroffen sahen sich die Jünger an: wir sind mit Jesus zusammen und haben trotzdem Angst? Wir wissen doch, dass wir dem Messias nachfolgen? Wieso ist unser Glaube immer noch so wankelmütig? Die Jünger lernten aus ihrem Fehler und folgten nunmehr ihrem Meister verstärkt in dem Bemühen nach, Jesus vorbehaltlos zu vertrauen. Am Ende der Mission Jesu, wenn er gekreuzigt wird, wird ihr Glaube auf eine harte Probe gestellt werden, die sie nur knapp schaffen. Aber darauf kommt es letztendlich an: eine Glaubenskrise zu bestehen. Nach Jesu Rückkehr in den Himmel halten die Jünger am Evangelium fest und tragen die Botschaft des Heilands in die Welt hinaus.

Jesus verband als Prediger die Verkündigung des Evangeliums mit praktischen Beispielen. Er sprach nicht nur vom Reich Gottes in theoretischen Worten, sondern führte durch Heilungen und Naturwunder vor, was die Menschen im Himmelreich Gottes zu erwarten hatten. Sie müssen sich nicht mehr vor Krankheiten fürchten. Und die Natur bringt nicht Verderben und Tod, sondern Wohlergehen und Freude.

In Kapernaum legte Jesus den Grundstein für seine Bekanntheit als religiöser Reformer. Er lehrte in der Synagoge und heilte einen Mann von seinen frommen Wahnvorstellungen. Nachdem er die Schwiegermutter von Simon Petrus vom Fieber geheilt hatte, brachten auch andere Einwohner der Stadt ihre Kranken mit mancherlei Leiden zu ihm. Selbst der römische Hauptmann von Kapernaum kam mit der Bitte zum Rabbi, seinen kranken Knecht, der unter großen Schmerzen litt, gesund zu machen. Die Bewohner wollten unbedingt, dass Jesus bei ihnen bleibt, aber Jesus musste ablehnen: „Ich muss auch den anderen Städten predigen vom Reich Gottes; denn dazu bin ich gesandt.“ (Lukas 4,43)

Den genauen Weg, den Jesus in Galiläa genommen hat, kennen wir nicht, denn die Evangelisten nannten Orte nur im Zusammenhang mit besonders ausführlichen Predigten und Wundertaten. Neben Kapernaum hören wir vom Städtebund Dekapolis, von Magdala, Kana, Nain und einigen mehr. In dem reichen Fischerdorf Bethsaida heilte Jesus einen Blinden.

Für die Jünger und das Volk schien Jesus eine göttliche Mission zu erfüllen, die sich auf Galiläa beschränkte. Immerhin wanderte er nun schon einige Jahre als Prediger durch die Nordprovinz von Palästina. Die Menschen hörten Jesus vom Reich Gottes, das auf Gläubige im Jenseits wartet, reden, machten sich aber keine weiteren Gedanken darüber, dass es dazu noch eines Versöhnungsopfers mit Gott in Jerusalem benötigte.

Dieses religiöse Ritual war an sich nichts Neues, jeder Israelit kannte es und feierte es 1x im Jahr. An diesem höchsten Feiertag, Jom Kippur; wurde es vor dem Tempel von Jerusalem durchgeführt. Der Hohepriester verrichtete selbst alle rituellen Dienste und trat vor Gott, um Vergebung für die Sünden des Volkes Israel im zurückliegenden Jahr zu erbitten. Zwei Lämmer wurden Gott als Blutopfer dargebracht. Der Hohepriester belud die beiden Tiere symbolisch mit den Sünden des Volkes und jagte danach das eine Lamm zum Sterben in die Wüste und schlachtete das andere auf dem Altar. Danach gingen die Leute, mit Gott versöhnt, nach Hause. In einem Jahr werden sie wiederkommen und das Versöhnungsritual wiederholen.

An dieses fromme Ritual der Sündenvergebung knüpft Jesus mit seiner blutigen Hinrichtung am Kreuz an. Er ist das unschuldige Lamm, das getötet wird, um stellvertretend für die sündigen Menschen sein Blut zu vergießen und so den Gläubigen die Vergebung Gottes zu bringen.

Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied zwischen Jom Kippur und Jesus von Nazareth: sein Blutopfer erbringt der Messias nur einmal, es ist nicht wiederholbar. Denn Gott hat durch das Sterben seines Sohnes gezeigt, dass er zur Versöhnung mit dem sündigen Menschen bereit ist - aber nur, wenn dieser Verantwortung für sein Fehlverhalten gegen Gott übernimmt. Vor der Vergebung kommt die Reue des Sünders. Sie ist wiederholbar, weil der Sohn Gottes sich am Kreuz geopfert hatte.

Die erste Ankündigung seines bevorstehenden Leidensweges kam für die Jünger völlig überraschend. Wovon sprach da der Meister? Die Ältesten und der Hohepriester sowie die Schriftgelehrten wollten Jesus in Jerusalem töten, aber er werde am 3. Tag wieder aufstehen? Besonders fassungslos regierte Simon Petrus: „Gott bewahre dich, Herr! Das widerfahre dir nur nicht!“ (Matthäus 16,22) Jesus sah, dass Petrus nichts von seiner Messianität verstanden hatte und wies ihn zurück: „Du bist mir ein Ärgernis; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist!“ (Matthäus 16,23)

In einer zweiten Leidensankündigung seinen Jüngern gegenüber präzisierte Jesus sein bevorstehendes Schicksal: „Der Messias wird überantwortet werden in die Hände der Menschen, und sie werden ihn töten; und wenn er getötet ist, so wird er nach 3 Tagen auferstehen.“ (Markus 9,31) Die Jünger begriffen nichts, und sie bekamen es mit der Angst zu tun.

Und dann kam der Tag, an dem es nicht mehr bei einer Ankündigung blieb, sondern Jesus seine Mission in Galiläa für beendet erklärte und den Weg nach Süden einschlug. Noch einmal erklärte Jesus seinen Jüngern den Grund für den Ortswechsel: Seht, wir ziehen hinauf nach Jerusalem, und der Messias wird den Hohepriestern und Schriftgelehrten überantwortet werden, und sie werden ihn zum Tode verurteilen und werden ihn den Heiden überantworten, damit sie ihn verspotten und geißeln und kreuzigen; und am dritten Tag wird er auferstehen.“ (Matthäus 20,18.19) Die Jünger waren über diese Worte entsetzt, aber sie gingen mit ihrem Meister mit – in der Hoffnung, dass alles doch nicht so schlimm werden wird. Jesus hatte in Galiläa nur Gutes getan, warum sollte er in Jerusalem gekreuzigt werden?

Nachdem Jesus den Weg in die Provinz Judäa eingeschlagen hatte, blickte er nicht mehr zurück. Er hielt sich an seine Forderung zur rechten Nachfolge: wer sich ihm anschließen will, aber sich umdreht und sein altes Leben nicht zurücklassen kann, ist nicht geeignet für die Nachfolge Jesu Christi: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ (Lukas 9,62)

Jesus ließ seine Heimat hinter sich, sie hatte ihren Zweck erfüllt. In Nazareth war er aufgewachsen und hatte in der Familie die religiösen Bräuche, die den Alltag der Israeliten prägten, kennen gelernt. Im Dorf war er offenbar auch in die Schule gegangen, denn er konnte lesen und schreiben. In Galiläa hatte Jesus als Wanderprediger den Grundstein für seine göttliche Mission als Messias gelegt. In Jerusalem würden sein Versöhnungsopfer am Kreuz und seine Auferstehung von den Toten den Schlusspunkt setzen und den Menschen den Weg ins Paradies ebnen.

Abschied von Nazareth, Abschied von Galiläa, Abschied von der Welt: kein Blick zurück, sondern nur das Erklimmen einer weiteren Stufe im Dienste Gottes. Auch wir Menschen durchlaufen viele Phasen in unserem Leben, niemand ist von heute auf morgen glaubensfester Christ. Viele oft steinige Erfahrungen mit Gott sind nötig, um im Glauben Schritt für Schritt weiter bis zu jenem Punkt zu gelangen, an dem man sich nicht mehr umdreht, sondern nur noch der Aufforderung Jesu Folge leistet: „Kommt und seht!“ (Johannes 1,39a) Und angelangt an diesem Punkt kann nichts mehr das Vertrauen in den Heiland erschüttern. Man führt den Pflug nur noch vorwärts.

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