Der Messias kommt in die Welt
Der vierte Evangelist – die Kirche gab ihm den Namen Johannes – überlegte angestrengt: Wie konnte er weitere Menschen vom Glauben an Jesus als den Messias überzeugen? Viele hatten sich bereits taufen lassen, aber noch immer hielt die überwiegende Mehrheit der Leute den alten Göttern die Treue. Rund ein Jahrhundert war seit der Geburt Jesu vergangen. Das Christentum hatte überall im Römischen Reich Fuß gefasst, weil die Aposteln und Missionare unermüdlich das Wort Gottes gepredigt hatten. Aber die Christen waren immer noch eine kleine Gruppe, die verstreut über das römische Imperium lebte. Es bedurfte noch weiterer Anstrengungen, um Menschen mit der frohen Botschaft zu erreichen. Johannes wollte dazu einen Beitrag leisten und griff zu Feder und Tinte. Er hatte den Plan gefasst, ein Evangelium zu schreiben, in dem er noch einmal eindringlich darlegte, dass das Fundament der Kirche allein der Glaube an Jesus Christus, den gekreuzigten und auferstandenen Sohn Gottes, ist. Die Biographie des Jesus von Nazareth interessierte Johannes nicht – noch weniger als die anderen drei Evangelisten.
Im vorletzten Kapitel seines Buches gibt Johannes einen Einblick in seine Vorgangsweise. Er hat unter den vielen Zeichen, die Jesus getan hatte, eine Auswahl getroffen und nicht alle bekannten Taten aufgenommen: „Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“ (Johannes 20,31) Johannes legt in seinem Evangelium den Schwerpunkt von Jesu öffentlichem Wirken auf seine Auftritte in Jerusalem. Er hat nur wenige Heilungen und Gleichnisse in seinen Text eingebaut. Dafür nehmen ausführliche, öffentliche Diskussionen zwischen Jesus auf der einen Seite, den Pharisäern und dem Volk auf der anderen den Hauptteil des Buches ein. Es sind hitzige Auseinandersetzungen, die letztendlich aber nicht dazu führen, dass Jesus eine große Anhängerschaft um sich sammeln konnte. Bei den meisten Leuten, die zuhörten, siegte der Zweifel, und sie taten Jesus als Scharlatan ab. Denn sie haben nicht erkannt, dass Jesus „das wahre Licht ist, das allen Menschen leuchtet, die in diese Welt kommen.“ (Johannes 1,9)
Das Bild vom Licht, das die Dunkelheit überwindet, hat Jesus verwendet, um den Menschen deutlich zu machen, welche entscheidende Bedeutung er für jeden einzelnen haben kann – wenn man sich ihm zuwendet: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (8,12) Der Vergleich war in der alten Zeit zutreffend und allen verständlich. Es gab keine Elektrizität, und Kerzen waren nur für Reiche erschwinglich. Den weniger Begüterten blieben Öllampen, die aber aus Kostengründen auch sparsam verwendet wurden. Wenn die Sonne unterging, hüllte Dunkelheit das Land ein. Die Finsternis erforderte einen Stopp aller Aktivitäten. Man war ihr ausgeliefert und empfand sie als etwas Bedrohliches, Unheimliches. Man wusste nicht, was sich im Dunklen verbarg. Im übertragenen Sinn gilt das auch für das Leben nach dem Tod: was erwartet uns Menschen im Jenseits? Wenn Jesus sich nun als das „Licht des Lebens“ präsentiert, will er den Menschen die Ungewissheit nach dem Tod nehmen – die Angst vor der ewigen Dunkelheit im Jenseits: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.“ (Johannes 5,24)
Heute würde Jesus wohl den Vergleich mit dem Licht nicht mehr verwenden. Wir leiden mittlerweile nicht mehr unter zu wenig Helligkeit nach dem Sonnenuntergang, sondern unter zu viel. Die sogenannte Lichtverschmutzung macht die Nacht zum Tag, und wir sind es gewohnt, nicht jeden Abend in Dunkelheit zu versinken. Wir haben weltweit tausende Lichter, die die Finsternis erhellen. Eines mehr oder weniger fällt nicht mehr auf. Das kann man auch im übertragenen Sinn sehen: es gibt mittlerweile eine unübersehbare Zahl von Heilsbringern, die den Menschen die Erlösung hier und drüben versprechen. Die Auswahl wird immer größer und spricht immer mehr Publikum an, auch und vor allem unter den Christen. Die Folgen sind einschneidend. Das Evangelium Jesu Christi verliert als Heilsbotschaft seine einzigartige Ausstrahlung und sinkt zu einer Möglichkeit unter vielen anderen herab. Ist das die Zukunft des Christentums, dass das Licht, das Jesus in die Welt gebracht hat, erlischt, weil es von einem Lichtermeer verschluckt wird?
Wenn es so ist - und man muss es befürchten - heißt das, dass jene Recht behalten, die es von Anfang an ablehnten, Jesus als Messias anzuerkennen: „Um eines guten Werkes willen steinigen wir dich nicht, sondern um der Gotteslästerung willen, denn du bist ein Mensch und machst dich selbst zu Gott.“ (Johannes 10,33) Die Gegner Jesu versuchten ihn zu ergreifen, aber er entging ihren Händen. Schließlich werden die Skeptiker aber nicht locker lassen und erst zufrieden sein, als sie Jesus am Kreuz physisch vernichtet hatten. Sie dachten, dass mit ihm seine Botschaft vom gottgesandten Messias untergehen würde. Aber nach dem Karfreitag kam der Ostersonntag, und die Zweifler mussten verstummen. Jesus Christus hatte den Tod überwunden und damit bewiesen, dass er der von Gott gesandte Messias ist: „Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.“ (Johannes 9,5)
Ich vertraue auf das Wort Jesu. Wenn er sagt, dass das Evangelium nicht untergehen wird, dann wird es das auch nicht – düstere Aussichten hin oder her. In den rund 2000 Jahren ihres Bestehens hat die christliche Kirche Höhen und Tiefen durchgemacht. Gott hat immer einen Weg gefunden, ihr auch aus schwierigsten Krisen wieder heraus zu helfen.
Heute ist der 1. Advent, und sehr viele Christen zünden auf ihrem Adventkranz die erste Kerze an. Es ist eine symbolische Handlung und steht für das Licht, das Jesus in die Welt gebracht hat. In den folgenden drei Sonntagen wird es mit jeder Kerze heller, und am Heiligen Abend erstrahlt der Christbaum in vollem Kerzenlicht. Es soll uns vor Auge führen, was der Apostel Paulus den Christen mit auf den Weg des Glaubens gegeben hat: „Denn wir alle sind Kinder des Lichts und Kinder des Tages, wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. So lasst uns nun nicht schlafen wie die anderen, sondern lasst uns wachsam sein.“ (1. Thessalonicherbrief 5,5.6) So lasst uns nun unbeirrt das Evangelium von Jesus, dem Messias, in der Welt verkünden, damit alle Menschen das rettende Licht in ihr Leben holen können.
Ein sehr schöner und stimmungsvoller Beitrag! Die Vergleiche mit der heutigen Zeit gefallen mir sehr gut.
AntwortenLöschenIch habe auch, wie jedes Jahr, eine Kerze angezündet und gedenke im Stillen an Jesus und hoffe auf das Reich Gottes nach dem Tod.