Nebenschauplätze der Kreuzigung
Karfreitag, Todestag Jesu. Verhaftet in der Nacht, abgeführt in das Haus des Hohepriesters Kaiphas, weitergereicht an den Statthalter Pontius Pilatus, Kreuzigung auf Golgatha, der Schädelstätte außerhalb Jerusalems. Die vier Evangelisten berichten sehr ausführlich über das Drama am Ende der Erdenmission des Messias. Nicht auf alle Aspekte konnten die Evangelisten im Detail eingehen, der Bericht wäre zu lang geworden, und es hätte auf den Handlungsablauf keinen Einfluss gehabt. Aber es lohnt sich, drei Schauplätze genauer zu betrachten und ihren tieferen Sinn zu hinterfragen.
Das Gebet in Gethsemane
Die Passionsgeschichte unseres Herrn warf bereits in Galiläa ihre Schatten voraus. Eines Tages begann Jesus von seinem zukünftigen Leidensweg zu sprechen und verkündete seinen Jüngern: „Der Messias muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohepriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und am dritten Tag auferstehen.“ (Lukas 9,22) Die Jünger konnten sich ein derartig blutiges Ende ihres Meisters nicht vorstellen.
Nicht lange nach diesem Erlebnis wird Jesus wieder auf einem Berg diese drei Jünger beiseite nehmen und ins Vertrauen ziehen. Auch dieses Mal wird es um seine Rolle als Sohn Gottes gehen, aber nicht um seine Herrlichkeit als Gesalbter des Vaters, sondern um sein Blutopfer als Lamm Gottes für die Vergebung der Sünden.
Die Passion des Messias begann auf dem Ölberg, der höchsten Erhebung in unmittelbarer Nähe von Jerusalem. An seinem Fuße lag der Garten Gethsemane, ein Naherholungsgebiet. Hierher war Jesus mit den verbliebenen elf Jüngern nach dem Abschiedsessen gegangen. Über den Ölberg hatte Jesus noch vor wenigen Tagen seinen umjubelten Einzug in Jerusalem gehalten, nun erwartete er im Dunkel der Nacht seine Verhaftung durch die Soldaten des Hohepriesters. Bevor es jedoch so weit war, nahm Jesus wiederum Simon Petrus und die Zebedäus-Brüder Jakobus und Johannes zur Seite. Die Rollenverteilung war dieselbe wie auf dem Berg in Galiläa – sie sollten ihm in einer besonderen Situation zur Seite stehen. Diesmal war Jesus niedergeschlagen und verzagt und bat sie: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod; bleibt hier und wacht mit mir!“ (Matthäus 26,38)
Jesus zog sich ein Stück von den drei Männern zurück und betete abseits von ihnen zu Gott um Beistand und Mut. Als er zu Petrus, Johannes und Jakobus zurückkehrte, erwartete ihn eine Enttäuschung: „Er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Könnt ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen?“ (Matthäus 26,40) Die drei Jünger zeigten am Ölberg ein anderes Verhalten als auf dem Berg in Galiläa, diesmal ließen sie es an Anteilnahme fehlen. Hier deutet sich das Versagen der Jünger beim Prozess Jesu und seiner anschließenden Kreuzigung an: sie werden ihn im Stich lassen und fliehen, um sich selbst zu retten. Jesus hat in Gethsemane in Todesangst 3x gebetet und sie im Glauben an Gott überwunden. Petrus wird im Hof des Hauses des Hohepriesters – in Bedrängnis geraten – nicht beten und in Todesangst seinen Rabbi 3x verleugnen.
Der Palast des Tetrarchen Herodes Antipas
Nach seiner Verhaftung wurde Jesus zum Verhör ins Haus des Hohepriesters gebracht. Der Hohe Rat der Geistlichen stellte Jesus unter Anklage, verhörte ihn, sah seine Schuld als erwiesen an und bestand auf seine Hinrichtung. Man wollte das Problem, das man mit diesem populären Religionsreformer hatte, ein für allemal aus der Welt schaffen. Aber das war nicht so einfach zu bewerkstelligen, denn die politische Lage schränkte die Handlungsfähigkeit des Hohen Rates empfindlich ein.
Das Königreich des Herodes des Großen war nach seinem Tod 4 v. Chr. unter drei seiner Söhne aufgeteilt worden, verblieb aber unverändert unter römischer Oberhoheit. Den Königstitel bekam (noch) keiner der Erben. Nach der Absetzung des ältesten Sohnes Archelaos wegen Unfähigkeit wurden dessen Gebiete Samaria, Judäa und Idumäa in eine römische Provinz umgewandelt und von einem römischen Statthalter direkt verwaltet. Er allein hatte hier das Recht, Todesurteile zu verhängen.
Jerusalem, der Sitz des Hohen Rates, lag im römischen Herrschaftsgebiet und unterstand damit römischem Recht. Dieses verhängte zwar für Hochverrat gegen die Staatsmacht die Todesstrafe, kannte aber das jüdische Schwerverbrechen der „Gotteslästerung“ nicht. Das brachte den Hohen Rat in eine schwierige Lage, und die Geistlichen mussten sich überlegen, wie sie den Präfekten trotzdem von der Notwendigkeit der Hinrichtung des Jesus von Nazareth überzeugen konnten.
Das, wovor die römischen Machthaber am meisten Angst hatten, waren Aufstände in den eroberten Gebieten. Wagten trotzdem Einheimische den Widerstand, um die Besatzer los zu werden, griff die Staatsmacht mit großer Härte durch und ließ die Verurteilten am Kreuz hinrichten.
An diesem Punkt setzten die Geistlichen nun an und warfen Jesus vor, ein Königreich mit ihm als Herrscher errichten zu wollen. Das klang nach Hochverrat und musste doch den Statthalter zum Handeln zwingen, doch Pilatus glaubte ihnen nicht und blieb zurückhaltend.
Nun war der Titel „König der Juden“ nicht grundsätzlich gegen Roms Vorherrschaft gerichtet. Rom tolerierte „Vasallenkönige“, wenn sie vom Kaiser eingesetzt wurden. So war dem loyalen Herodes dem Großen der Königstitel verliehen worden als Dank für seine Bündnistreue. Und aus demselben Grund wurde auch sein Enkel Herodes Agrippa I. mit der Krone belohnt. Eine kaiserliche Zustimmung, wie sie die Herodes-Dynastie bekommen hatte, konnte Jesus natürlich nicht vorweisen - wozu auch, er hatte keinerlei politische Umsturzpläne, ihm ging es allein um das Reich Gottes.
Jesus war als Einwohner von Galiläa ohne Zweifel ein Untertan des Herodes Antipas und somit dessen Gerichtsbarkeit unterstellt. Der hätte den Rabbi aus Nazareth, der mit seinen Predigten so viel Staub aufwirbelte, auch hinrichten lassen dürfen. Das geht klar aus dem Schicksal des Johannes des Täufers hervor, dessen Todesurteil allein Herodes Antipas fällte.
Hätte also der Hohe Rat überhaupt das Recht gehabt, einen Untertan des Herodes Antipas in der römischen Provinz Judäa zu verhaften und vom römischen Statthalter dessen Hinrichtung zu verlangen? Diese Gedanken kamen auch dem Pontius Pilatus: „Er fragte, ob dieser Mensch aus Galiläa wäre. Und als er vernahm, dass er ein Untertan des Herodes war, sandte er ihn zu diesem, der zu den Festtagen in Jerusalem war.“ (Lukas 23,7.8) Falls sich der Präfekt einen Ausweg aus seinem Dilemma, einen in seinen Augen unschuldigen Menschen auf geistlichen Druck hin in den Tod schicken zu müssen, erwartet hatte, wurde er enttäuscht. Herodes Antipas machte von seinen Herrscher-Rechten keinen Gebrauch: „Aber Herodes verachtete Jesus und verspottete ihn, legte ihm ein weißes Gewand an und sandte ihn zurück zu Pilatus.“ (Lukas 23,11) Warum entzog sich der Tetrarch seiner Verantwortung? Herodes Antipas wusste, dass er sich mit der Hinrichtung des populären Täufers beim Volk sehr unbeliebt gemacht hatte. Er war auch darüber gut informiert, dass der Wanderprediger Jesus in Galiläa eine große Anhängerschaft hatte, deren Reaktion er nicht abschätzen konnte. Es war für den Fürsten jetzt in Jerusalem aber ein Leichtes, sich aus der Affäre zu ziehen, weil doch Verhaftung und Prozess außerhalb seines Herrschaftsgebietes stattgefunden hatten. Man könnte also auch Herodes Antipas die Worte des Pontius Pilatus zuschreiben: „Er nahm Wasser und wusch sich die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig an seinem Blut; seht ihr zu!“ (Matthäus 27,24)
Das Begräbnis eines Hingerichteten
Jesus starb den schmachvollen Tod eines Verbrechers. Noch am Tag der Hinrichtung verschied er, und so konnte der Tote noch vor Sonnenuntergang vom Kreuz abgenommen werden. Nun musste er begraben werden. Seine Jünger konnten sich nicht darum kümmern, denn sie verbargen sich vor den Soldaten, um nicht selbst verhaftet zu werden. So schien der Leichnam Jesu den üblichen Weg eines hingerichteten Staatsverbrechers zu nehmen, er würde irgendwo verscharrt werden.
Aber nicht alle Anhänger des Messias zogen sich zurück: „So kam Josef von Arimathäa, ein angesehener Ratsherr, der auch auf das Reich Gottes wartete, der wagte es und ging hinein zu Pilatus und bat um den Leichnam Jesu.“ (Markus 15,43) Er wollte seinen verehrten Rabbi in sein eigenes neues Felsengrab legen. Da der Statthalter sowieso nicht aus Überzeugung das Todesurteil unterschrieben hatte, übergab er dem Bittsteller entgegen dem Brauch, Verbrechern ein würdevolles Begräbnis zu verweigern, den Toten.
Die Geistlichen legten keinen Protest ein, sie hatten mit der Kreuzigung ohnehin ihr Ziel erreicht. Was konnte es schon schaden, wenn der tote Wanderprediger in ein schönes Felsengrab gelegt wurde und nicht in ein Erdloch? Aber der Hohe Rat erinnerte sich daran, dass Jesus in Galiläa angekündigt hatte, dass er nach 3 Tagen aus dem Grab auferstehen werde. Zwar glaubten die Geistlichen das natürlich nicht, aber sie misstrauten den Anhängern Jesu. Immerhin hat einer von ihnen, noch dazu ein hochangesehener Ratsherr, den Rabbi ehrenvoll nach jüdischem Brauch begraben. Wer weiß, wer noch alles kommt und sich öffentlich zu dem Gekreuzigten bekennt? Sie erbaten von Pontius Pilatus deshalb eine Bewachung des Grabes, „damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen und zum Volk sagen: Er ist auferstanden von den Toten, und der letzte Betrug ärger wird als der erste!“ (Matthäus 27,64)
Nun wissen wir, dass diese Wachsoldaten keinen Betrug verhindern mussten. Denn die Jünger hatten keine Notwendigkeit - wie von den Geistlichen befürchtet - zu einer Notlüge zu greifen, um doch noch das Ansehen ihres Meisters zu retten. Der gekreuzigte Jesus überwand tatsächlich den Tod und kehrte am Ostermorgen lebend aus dem Grab zurück – so wie er es in Galiläa angekündigt hatte.
Wenn die Geistlichen von damals sehen könnten, wie die Christen heute mit der Auferstehung Jesu umgehen, würden sie sich entspannt zurücklehnen. Vor einem Jesus Christus, dessen Auferstehung totgeschwiegen wird, wie es heute in der Christenheit üblich geworden ist, geht keine Gefahr mehr aus. Er hätte genauso gut als Leichnam im Grab liegen bleiben können – aus heutiger Sicht zumindest.
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