Samstag, 26. Januar 2019


Liebe zu den gering Geschätzten in der Gesellschaft

Der Ruf des Rabbis aus Nazareth, der nicht nur über das Reich Gottes zu den Menschen predigte, sondern ihnen auch durch Heilungswunder aus aussichtslosen, verzweifelten Situationen half, verbreitete sich schnell in ganz Palästina. Das führte dazu, dass viele Bewohner aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten mit ihren Anliegen zu ihm kamen.

Eines Tages wandte sich ein Angehöriger der politischen Elite an ihn: Und Jesus kam abermals nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser zu Wein gemacht hatte. Und es war ein Mann im Dienst des Königs; dessen Sohn lag krank in Kapernaum.“ (Johannes 4,46) 
Als dieser Vater hörte, dass Jesus nach Kana kam „ging er hin zu ihm und bat ihn, herabzukommen und seinem Sohn zu helfen; denn der war todkrank.“ (Johannes 4,47b) Der Hofbeamte flehte den Rabbi an, seinem Kind zu helfen, bevor es stirbt: „Und Jesus spricht zu ihm: Geh hin, dein Sohn lebt! Der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und ging hin.“ (Johannes 4,50) Auf dem Weg nach Hause liefen ihm schon die Knechte entgegen und riefen ihm zu, dass sein Sohn lebe.

Für den Hofbeamten war viel auf dem Spiel gestanden, denn der Tod des Sohnes wäre auch für seinen gesellschaftlichen Status ein schwerer Schlag gewesen. In der Antike war die Geburt eines gesunden Buben das wichtigste Ereignis. Das Ansehen des Familienoberhauptes hing davon ab, viele Söhne er vorweisen konnnte. Wir können im 1. Buch Mose bei den Erzvätergeschichten nachlesen, was für Dramen sich abspielten, wenn es mit dem männlichen Nachwuchs nicht klappte. Für den königlichen Beamten aber war nun die Welt wieder in Ordnung, denn Jesus hatte ihm geholfen und seinen Buben gerettet.

Aber waren die Menschen damals wirklich nur interessiert, sich für das Leben ihrer wohlgeratenen Söhne einzusetzen? Die Evangelien sagen „Nein“ und bringen Beispiele dafür, dass Liebe und Mitgefühl vieler Menschen über die vorherrschenden Werte hinausging. Mädchen, Knechte, behinderte Söhne hatten nach damals geltender Norm kein Ansehen – aber sie hatten Familienmitglieder, denen ihr Wohlergehen ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit am Herzen lag. Auch sie kamen zu Jesus und flehten ihn um Hilfe an. Und sie kamen nicht umsonst. Denn dem Rabbi aus Nazareth waren sie genauso willkommen wie der Hofbeamte: denn für Jesus zählte jeder Mensch gleich viel. Für ihn gab es keine Werteskala von wichtigen und unwichtigen Mitgliedern der Gesellschaft. Jesus setzte sich damit über die geltenden Normen hinweg. Und gerade deshalb vertrauten ihm die Leute.

So trat eines Tages ein Mann auf Jesus zu, der zwar Vater eines Sohnes war - aber dieses Kind war geistig behindert. Völlig verzweifelt bat er Jesus um Hilfe: „Herr, erbarme dich über meinen Sohn, denn er ist mondsüchtig und hat schwer zu leiden; er fällt oft ins Feuer und oft ins Wasser.“ (Matthäus 17,15) 

Und auch der Vater einer Tochter wollte sein Kind nicht einfach verlieren, nur weil es ein Mädchen war: „Da kam einer von den Vorstehern der Synagoge, mit Namen Jairus. Und als er Jesus sah, fiel er ihm zu Füßen und bat ihn sehr und sprach: Meine Tochter liegt in den letzten Zügen; komm doch und lege deine Hände auf sie, damit sie gesund werde und lebe.“ (Markus 5,22.23) 
Beide Väter wurden von Jesus nicht abgewiesen. Ohne zu zögern heilte er ihre Kinder.


Ganz ungewöhnlich war allerdings ein anderer Mann, der sich eines Tages an Jesus wandte. „Als Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen.“ (Matthäus 8,5.6) Bemerkenswert ist, dass es sich um einen römischen Hauptmann handelte, der in Palästina stationiert war. Rom übte als Besatzungsmacht die Oberhoheit über die Länder rund um das Mittelmeer aus, mischte sich aber nicht in die Religion der eroberten Völker ein. Auffällig ist nicht nur, dass sich ein römischer Soldat, der eigentlich an viele Götter glaubte, an einen jüdischen Rabbi wandte, sondern auch die Sorge des hochgestellten Militärs um einen seiner Bediensteten. Denn die Römer waren nicht für ihre Fürsorge für ihre Hausangestellten bekannt. Besonders rücksichtslos gingen sie mit ihren Sklaven um, deren Arbeit doch immerhin Roms Wohlstand sicherte. Dieser Hauptmann dachte offenbar anders. Denn als Jesus sich bereit erklärte, mit ihm in sein Haus zum Kranken zu gehen, wehrte er ab: „Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.“ (Matthäus 8,8) Jesus war beeindruckt vom Glauben des Römers und machte seinen Knecht gesund zu derselben Stunde.

Die Evangelisten berichten wiederholt von Menschen, denen jene wichtig sind, die in der Gesellschaft keine Anerkennung genießen und für die Gemeinschaft leicht „ersetzbar“ sind. Das ist ein wichtiger Hinweis auf die Werte in der christlichen Kirche, in der jedes Mitglied dieselbe Bedeutung hat und es keine Über- und Unterordnung gibt. Wir müssen zugeben, dass dieses Ideal in der Praxis nicht annähernd so eingehalten wird, wie Jesus es sich gewünscht hat. Aber das ist kein Grund, nicht unbeirrt weiter danach zu streben. Denn die Einladung, die Jesus ausgesprochen und an ALLE gerichtet hat, gilt für uns heute genauso wie für seine Zeitgenossen damals:

Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig 
und beladen seid; 
ich will euch erquicken.
Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, 
denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. 
Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“
(Matthäus 11,28-30)

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