Sonntag, 11. August 2019


Gaius bekommt Post
(3. Johannesbrief)

Der Älteste an Gaius, den Lieben, den ich liebhabe in der Wahrheit.“ (1)

Der dritte Johannesbrief ist ein kurzer Privatbrief, nur 15 Verse lang, der auf einem einzigen Papyrusblatt geschrieben wurde. Wegen seiner ungeklärten Verfasserschaft bedurfte es einiger theologischer Kontroversen, bis er in den Kanon des Neuen Testaments aufgenommen wurde. Dieser kleine, in der Liturgie wenig bis gar nicht beachtete Brief, gibt uns trotz seiner Kürze einen guten Einblick in das frühe Gemeindeleben der entstehenden christlichen Kirche.

Der Absender nennt seinen Namen nicht, sondern bezeichnet sich als „Ältester“ (in Griechisch „Presbyter“). Offenbar reicht diese Angabe dem Empfänger Gaius, um zu wissen, wer ihm schreibt: das geht aus dem Grußwort hervor: „Denn ich habe mich sehr gefreut, als die Brüder kamen und Zeugnis gaben von deiner Wahrheit, wie du ja lebst in der Wahrheit. Ich habe keine größere Freude als die, zu hören, dass meine Kinder in der Wahrheit leben.“ (3 Johannesbrief Vers 3.4) Dass hier keine Unbekannten miteinander Kontakt haben, belegen auch die Schlussverse: Ich hoffe aber, dich bald zu sehen; dann wollen wir mündlich miteinander reden. Es grüßen dich die Freunde. Grüße auch die Freunde, jeden mit Namen.“ (3 Johannesbrief Vers 14.15)

Die Bezeichnung „Ältester bzw. Presbyter“ tragen Personen, die in Pfarrgemeinden Leitungsaufgaben übernehmen, damals wie heute. Dieser Älteste aus dem dritten Johannesbrief scheint eine überregional bekannte Persönlichkeit in den christlichen Gemeinden gewesen zu sein, der sich um Wandermissionare gekümmert hat. Dieser Umstand ist ein Hinweis auf die Entstehungzeit des Briefes, denn Wanderprediger gab es nur in der Frühzeit des Christentums. Sie trugen das Evangelium entsprechend dem Missionsbefehl unseres Herrn Jesus Christus in die Welt hinaus zu denen, die noch nichts vom Messias gehört haben. Demnach lässt der Inhalt auf einen Entstehungszeitraum gegen Ende des 1. Jahrhunderts schließen. Auch eine Ortsangabe fehlt im Brief, vermutlich handelt es sich aber um Gemeinden in Kleinasien, in denen eine rege Missionstätigkeit stattfand, wie wir aus den Briefen des Apostels Paulus wissen.

Die christlichen Wandermissionare reisten meist nicht allein, sondern waren zu zweit oder dritt unterwegs. Vom Apostel Paulus sind einige Weggefährten mit Namen bekannt: Timotheus, Titus, Silvanus. Bei Bedarf sandte er diese auch immer wieder mit Aufgaben in die von ihm bekehrten Gemeinden. Aber auch wenn das Engagement der herumziehenden Prediger groß war, so konnten sie ihre Tätigkeit doch nicht zum Nulltarif ausführen. Reisekosten, Verpflegung, Unterbringung, Gebühr für Briefe, die versandt werden mussten, kosteten Geld. Es gab zwei Möglichkeiten, dieses Leben zu finanzieren.

Erstens, die Missionare verdienten sich ihren Lebensunterhalt selbst, indem sie unterwegs ihren erlernten Beruf ausübten. So machte es Paulus in Korinth, als er bei dem Ehepaar Aquila und Priszilla wohnte: „Und weil er das gleiche Handwerk hatte, blieb er bei ihnen und arbeitete mit ihnen; sie waren nämlich von Beruf Zeltmacher.“ (Apostelgeschichte 18,3) 

Das klingt nach einem leichten, idyllischen Leben: man suchte sich halt zwischendurch einen Job, während man in der Gemeinde das Wort Gottes verkündete. Aber Bequemlichkeit war eher die Ausnahme als die Regel. 
Paulus selbst gibt uns in seinem Brief an die Korinther einen Einblick in die Realität: „Bis auf diese Stunde leiden wir Hunger und Durst und Blöße und werden geschlagen und haben keine Bleibe und mühen uns ab mit unserer Hände Arbeit. Man schmäht uns, so segnen wir; man verfolgt uns, so dulden wir‘s.“ (1 Kor 4,11.12) Tatsächlich war es ein hartes, entbehrungsreiches Dasein, das die Wandermissionare aus Liebe zu Jesus Christus auf sich genommen hatten.

Angesichts dieser unsicheren Existenz war die zweite Art der materiellen Unterstützung sehr willkommen: die vollumfängliche Gastfreundschaft der jeweiligen Gemeinden. 

Und hier setzt der Verfasser des dritten Johannesbriefes an, wenn er an Gaius schreibt: „Mein Lieber, du handelst treu in dem, was du an den Brüdern tust, zumal an den fremden, die deine Liebe bezeugt haben vor der Gemeinde; und du wirst gut daran tun, wenn du sie weiterleitest, wie es würdig ist vor Gott.“ (3 Johannesbrief Vers 5.6) 

Die Wandermissionare blieben unterschiedlich lang an einem Ort. Besonders bei Neubekehrungen war meist ein längerer Aufenthalt nötig, um feste Strukturen aufzubauen, die auch nach der Abreise der Prediger hielten. Paulus bemühte sich mit Hilfe von Briefen, die Beziehung zu den von ihm gegründeten Gemeinden aufrecht zu halten und ihnen bei Schwierigkeiten aus der Ferne zu helfen. Aber er hielt auch den persönlichen Kontakt aufrecht, indem er Mitarbeiter mit Botschaften zu den Getauften schickte: „Ich hoffe aber in dem Herrn Jesus, dass ich Timotheus bald zu euch senden werde, damit ich auch erquickt werde, wenn ich erfahre, wie es um euch steht.“ (Philipperbrief 2,19) So gab es ein reges Kommen und Gehen zwischen den Gemeinden und den Missionaren – und Konflikte konnten nicht ausbleiben.

Offenbar war die uneingeschränkte Gastfeundschaft für fremde Wandermissionare nicht unumstritten. Diotrephes, der in der Gemeinde des Gaius großen Einfluss hatte, war dagegen. Er weigerte sich, den Absender und seine Glaubensbrüder gastlich aufzunehmen und zu versorgen. Empört schrieb deshalb der Älteste an Gaius: „Darum will ich ihn, wenn ich komme, erinnern an seine Werke, die er tut; denn er macht uns schlecht mit bösen Worten und begnügt sich nicht damit: er selbst nimmt die Brüder nicht auf und hindert auch die, die es tun wollen, und stößt sie aus der Gemeinde.“ (3 Johannesbrief Vers 10) Was hatte zu diesen schlimmen, aggressiven Spannungen in dieser frühchristlichen Gemeinde geführt? War Diotrephes gastunfreundlich oder fürchtete er Konkurrenz im eigenen Haus, weil er, wie ihm der Schreiber vorwirft, unter ihnen der Erste sein will“? (3 Johannesbrief Vers 9)

Im frühen Christentum gab es noch keine Ämterhierarchie, sondern es war eine Gemeinschaft Gleichrangiger. Das schließt aber ein Dominanzverhalten einzelner nicht aus, denn in einer Gruppe gibt es eben die verschiedensten Charaktere: jene, die im Vordergrund stehen wollen, andere, die sich lieber im Hintergrund halten. Und so kristallisierte sich in den jungen, christlichen Gemeinden bei einzelnen eine „informelle“ Führungsrolle heraus. 
Von Bedeutung wird sicher auch gewesen sein, dass man über einen gewissen Besitz verfügen musste, um Gastfreundschaft gewähren zu können. Dazu brauchte man ein geräumiges Haus und entsprechende Mittel, um zusätzliche Leute mit Speis und Trank bewirten zu können. Die Besitzer von großen Privathäusern genossen auch aus einem anderen Grund eine bevorzugte Stellung in der Gemeinde, denn sie stellten die Räume für die Gottesdienste zur Verfügung. Sakrale Bauten gab es noch nicht, und die Christen hielten deshalb ihre Versammlungen im Privatbereich ab. Diotrephes dürfte wohl zu jenen gehört haben, die ein Haus ihr Eigen nennen konnten, ansonsten hätte er wohl kaum Anspruch auf eine Führungsrolle erheben können und wäre auch nicht als Gastgeber für Wandermissionare in Frage gekommen.

Da wir keine Stellungnahme von Diotrephes selbst haben, können wir über seine Beweggründe nur spekulieren. Nach dem oben angeführten möglichen persönlichen Ehrgeiz könnte er aber auch sachliche Vorbehalte gegenüber dem Ältesten und den ihm nahestehenden Missionaren gehabt haben. Hielt er sie für nicht vertrauenswürdig? Befürchtete Diotrephes, von eigennützigen Propheten mit einer falschen Lehre ausgenutzt zu werden? Wir wissen vom Apostel Paulus, dass er seine Gemeinden immer wieder vor Irrlehrern warnte: „Denn solche dienen nicht unserm Herrn Christus, sondern ihrem Bauch; und durch süße Worte und prächtige Reden verführen sie die Herzen der Arglosen.“ (Römerbrief 16,18)

Eine Warnung, die bereits Jesus in der Bergpredigt ausgesprochen hat: „Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig sind sie reißende Wölfe.“ (Matthäus 7,15) Aber wie soll man die echten von den falschen Propheten unterscheiden können, wenn sie doch alle vorgeben, das Evangelium von Jesus Christus zu verkünden? 
Jesus meinte, das gehe einfach: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man denn Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? So bringt ein guter Baum gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt schlechte Früchte.“ (Matthäus 7,16.17) Und was Jesus dem noch hinzufügte, sollte uns nachdenklich machen und zur Gewissenhaftigkeit im Glauben veranlassen: „Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel.“ (Matthäus 7,21)

Wir Christen heute haben einen großen Vorteil gegenüber den frühchristlichen Gemeinden: wir können die rechte Lehre über unseren Herrn Jesus Christus in der Heiligen Schrift nachlesen. Ausreden, die Bibel nicht benützen zu können, gelten nicht, denn sie ist in fast jede Sprache der Welt übersetzt und für jede Brieftasche erschwinglich. Die Wahrheit über den Messias liegt in schriftlicher Form vor uns, und jeder kann sich als mündiger Christ darüber informieren. Und wer nach dem Wort Gottes, wie Jesus es verkündet hat, lebt, kann sich von dem Rat des Ältesten, den dieser Gaius gibt, ebenfalls angesprochen fühlen: „Mein Lieber, folge nicht dem Bösen nach, sondern dem Guten. Wer Gutes tut, der ist von Gott; wer Böses tut, der hat Gott nicht gesehen.“ (3 Johannesbrief Vers 11)



1 Kommentar:

  1. Ein sehr schöner und lehrreicher Beitrag! Es hat mich sehr zum Nachdenken angeregt, und ich finde es großartig einen Einblick in das Leben von Paulus zu erfahren. Es ist auch spannend zu hören, was für Hürden Paulus meistern musste.

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