Gaius
bekommt Post
(3.
Johannesbrief)
„Der
Älteste an Gaius, den Lieben, den ich liebhabe in der Wahrheit.“
(1)
Der
dritte Johannesbrief ist ein kurzer Privatbrief, nur 15 Verse lang,
der auf einem einzigen Papyrusblatt geschrieben wurde. Wegen seiner
ungeklärten Verfasserschaft bedurfte es einiger theologischer
Kontroversen, bis er in den Kanon des Neuen Testaments aufgenommen
wurde. Dieser kleine, in der Liturgie wenig bis gar nicht beachtete
Brief, gibt uns trotz seiner Kürze einen guten Einblick in das frühe
Gemeindeleben der entstehenden christlichen Kirche.
Der
Absender nennt seinen
Namen nicht, sondern
bezeichnet sich als „Ältester“ (in Griechisch „Presbyter“).
Offenbar reicht diese Angabe dem Empfänger Gaius,
um zu wissen, wer ihm schreibt: das geht aus dem Grußwort
hervor: „Denn ich habe mich sehr gefreut, als
die Brüder kamen und Zeugnis gaben von deiner Wahrheit, wie du ja
lebst in der Wahrheit. Ich habe keine größere Freude als die, zu
hören, dass meine Kinder in der Wahrheit leben.“ (3
Johannesbrief Vers 3.4) Dass hier keine Unbekannten miteinander
Kontakt haben, belegen auch die Schlussverse: „Ich
hoffe aber, dich bald zu sehen; dann wollen wir mündlich miteinander
reden. Es grüßen dich die Freunde.
Grüße auch die
Freunde, jeden mit Namen.“ (3 Johannesbrief Vers 14.15)
Die
Bezeichnung „Ältester bzw. Presbyter“ tragen Personen, die in
Pfarrgemeinden Leitungsaufgaben übernehmen, damals wie heute. Dieser
Älteste aus dem dritten Johannesbrief scheint eine überregional
bekannte Persönlichkeit in den christlichen Gemeinden gewesen zu
sein, der sich um Wandermissionare gekümmert hat. Dieser Umstand ist
ein Hinweis auf die Entstehungzeit des Briefes, denn Wanderprediger
gab es nur in der Frühzeit des Christentums. Sie trugen das
Evangelium entsprechend dem Missionsbefehl unseres Herrn Jesus
Christus in die Welt hinaus zu denen, die noch nichts vom Messias
gehört haben. Demnach lässt der Inhalt auf einen
Entstehungszeitraum gegen Ende des 1. Jahrhunderts schließen. Auch
eine Ortsangabe fehlt im Brief, vermutlich handelt es sich aber um
Gemeinden in Kleinasien, in denen eine rege Missionstätigkeit
stattfand, wie wir aus den Briefen des Apostels Paulus wissen.
Die
christlichen Wandermissionare reisten meist nicht allein, sondern
waren zu zweit oder dritt unterwegs. Vom Apostel Paulus sind einige
Weggefährten mit Namen bekannt: Timotheus, Titus, Silvanus. Bei
Bedarf sandte er diese auch immer wieder mit Aufgaben in die von ihm
bekehrten Gemeinden. Aber auch wenn das Engagement der herumziehenden
Prediger groß war, so konnten sie ihre Tätigkeit doch nicht zum
Nulltarif ausführen. Reisekosten, Verpflegung, Unterbringung, Gebühr
für Briefe, die versandt werden mussten, kosteten Geld. Es gab zwei
Möglichkeiten, dieses Leben zu finanzieren.
Erstens,
die Missionare verdienten sich ihren Lebensunterhalt selbst, indem
sie unterwegs ihren erlernten Beruf ausübten. So machte es Paulus in
Korinth, als er bei dem Ehepaar Aquila und Priszilla wohnte: „Und
weil er das gleiche Handwerk hatte, blieb er bei ihnen und arbeitete
mit ihnen; sie waren nämlich von Beruf Zeltmacher.“
(Apostelgeschichte 18,3)
Das klingt nach einem leichten, idyllischen
Leben: man suchte sich halt zwischendurch einen Job, während man in
der Gemeinde das Wort Gottes verkündete. Aber Bequemlichkeit war
eher die Ausnahme als die Regel.
Paulus selbst gibt uns in seinem
Brief an die Korinther einen Einblick in die Realität: „Bis
auf diese Stunde leiden wir Hunger und Durst und Blöße und werden
geschlagen und haben keine Bleibe und mühen uns ab mit unserer Hände
Arbeit. Man schmäht uns, so segnen wir; man verfolgt uns, so dulden
wir‘s.“ (1 Kor 4,11.12) Tatsächlich war es ein hartes,
entbehrungsreiches Dasein, das die Wandermissionare aus Liebe zu
Jesus Christus auf sich genommen hatten.
Angesichts
dieser unsicheren Existenz war die zweite Art der materiellen
Unterstützung sehr willkommen: die vollumfängliche Gastfreundschaft
der jeweiligen Gemeinden.
Und hier setzt der Verfasser des dritten
Johannesbriefes an, wenn er an Gaius schreibt: „Mein
Lieber, du handelst treu in dem, was du an den Brüdern tust, zumal
an den fremden, die deine Liebe bezeugt haben vor der Gemeinde; und
du wirst gut daran tun, wenn du sie weiterleitest, wie es würdig ist
vor Gott.“ (3 Johannesbrief Vers 5.6)
Die Wandermissionare
blieben unterschiedlich lang an einem Ort. Besonders bei
Neubekehrungen war meist ein längerer Aufenthalt nötig, um feste
Strukturen aufzubauen, die auch nach der Abreise der Prediger
hielten. Paulus bemühte sich mit Hilfe von Briefen, die Beziehung zu
den von ihm gegründeten Gemeinden aufrecht zu halten und ihnen bei
Schwierigkeiten aus der Ferne zu helfen. Aber er hielt auch den
persönlichen Kontakt aufrecht, indem er Mitarbeiter mit Botschaften
zu den Getauften schickte: „Ich hoffe aber
in dem Herrn Jesus, dass ich Timotheus bald zu euch senden werde,
damit ich auch erquickt werde, wenn ich erfahre, wie es um euch
steht.“ (Philipperbrief 2,19) So gab es ein reges Kommen und
Gehen zwischen den Gemeinden und den Missionaren – und Konflikte
konnten nicht ausbleiben.
Offenbar
war die uneingeschränkte Gastfeundschaft für fremde
Wandermissionare nicht unumstritten. Diotrephes,
der in der Gemeinde des Gaius
großen Einfluss hatte, war dagegen. Er weigerte sich, den Absender
und seine Glaubensbrüder gastlich aufzunehmen
und zu versorgen. Empört schrieb deshalb der Älteste an
Gaius: „Darum
will ich ihn, wenn ich komme, erinnern an seine Werke, die er tut;
denn er macht uns schlecht mit bösen Worten und begnügt sich nicht
damit: er selbst nimmt die Brüder nicht auf und hindert auch die,
die es tun wollen, und stößt sie aus der Gemeinde.“
(3 Johannesbrief Vers
10) Was hatte zu diesen schlimmen, aggressiven Spannungen in
dieser frühchristlichen Gemeinde geführt? War
Diotrephes
gastunfreundlich oder
fürchtete
er Konkurrenz im
eigenen Haus, weil er, wie ihm der Schreiber vorwirft, „unter
ihnen der Erste sein will“?
(3 Johannesbrief Vers
9)
Im
frühen Christentum gab es noch keine Ämterhierarchie, sondern es
war eine Gemeinschaft Gleichrangiger. Das schließt aber ein
Dominanzverhalten einzelner nicht aus, denn in einer Gruppe gibt es
eben die verschiedensten Charaktere: jene, die im Vordergrund stehen
wollen, andere, die sich lieber im Hintergrund halten. Und so
kristallisierte sich in den jungen, christlichen Gemeinden bei
einzelnen eine „informelle“ Führungsrolle heraus.
Von Bedeutung
wird sicher auch gewesen sein, dass man über einen gewissen Besitz
verfügen musste, um Gastfreundschaft gewähren zu können. Dazu
brauchte man ein geräumiges Haus und entsprechende Mittel, um
zusätzliche Leute mit Speis und Trank bewirten zu können. Die
Besitzer von großen Privathäusern genossen auch aus einem anderen
Grund eine bevorzugte Stellung in der Gemeinde, denn sie stellten die
Räume für die Gottesdienste zur Verfügung. Sakrale Bauten gab es
noch nicht, und die Christen hielten deshalb ihre Versammlungen im
Privatbereich ab. Diotrephes
dürfte wohl zu jenen
gehört haben,
die ein Haus ihr Eigen nennen konnten, ansonsten
hätte
er wohl kaum Anspruch auf eine Führungsrolle erheben können und
wäre auch nicht als Gastgeber für Wandermissionare in Frage
gekommen.
Da
wir keine Stellungnahme von Diotrephes selbst haben, können wir
über seine Beweggründe nur spekulieren. Nach dem oben angeführten
möglichen persönlichen Ehrgeiz könnte er aber auch sachliche
Vorbehalte gegenüber dem Ältesten und den ihm nahestehenden
Missionaren gehabt haben. Hielt er sie für nicht vertrauenswürdig?
Befürchtete Diotrephes, von eigennützigen Propheten mit einer
falschen Lehre ausgenutzt zu werden? Wir wissen vom Apostel Paulus,
dass er seine Gemeinden immer wieder vor Irrlehrern warnte: „Denn
solche dienen nicht unserm Herrn Christus, sondern ihrem Bauch; und
durch süße Worte und prächtige Reden verführen sie die Herzen der
Arglosen.“ (Römerbrief 16,18)
Eine
Warnung, die bereits Jesus in der Bergpredigt ausgesprochen hat:
„Seht euch vor vor den falschen Propheten,
die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig sind sie reißende
Wölfe.“ (Matthäus 7,15) Aber wie soll man die echten von
den falschen Propheten unterscheiden können, wenn sie doch alle
vorgeben, das Evangelium von Jesus Christus zu verkünden?
Jesus
meinte, das gehe einfach: „An
ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man denn Trauben lesen
von den Dornen oder Feigen von den Disteln? So bringt ein guter Baum
gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt schlechte Früchte.“
(Matthäus 7,16.17) Und was Jesus dem noch hinzufügte, sollte uns
nachdenklich machen und zur Gewissenhaftigkeit im Glauben
veranlassen: „Es werden nicht alle, die zu
mir sagen: Herr, Herr! in das Himmelreich kommen, sondern die den
Willen tun meines Vaters im Himmel.“ (Matthäus 7,21)
Wir
Christen heute haben einen großen Vorteil gegenüber den
frühchristlichen Gemeinden: wir können die rechte Lehre über
unseren Herrn Jesus Christus in der Heiligen Schrift nachlesen.
Ausreden, die Bibel nicht benützen zu können, gelten nicht, denn
sie ist in fast jede Sprache der Welt übersetzt und für jede
Brieftasche erschwinglich. Die
Wahrheit über den Messias liegt in
schriftlicher Form vor
uns, und jeder kann sich als mündiger Christ darüber
informieren. Und
wer nach dem
Wort Gottes, wie Jesus es verkündet hat,
lebt, kann
sich von dem Rat des Ältesten, den dieser Gaius gibt, ebenfalls
angesprochen fühlen: „Mein
Lieber, folge nicht dem Bösen
nach, sondern dem Guten. Wer Gutes tut, der ist von Gott; wer Böses
tut, der hat Gott nicht
gesehen.“ (3 Johannesbrief Vers 11)
Ein sehr schöner und lehrreicher Beitrag! Es hat mich sehr zum Nachdenken angeregt, und ich finde es großartig einen Einblick in das Leben von Paulus zu erfahren. Es ist auch spannend zu hören, was für Hürden Paulus meistern musste.
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